Düsseldorf Russlands Präsident Wladimir Putin hat mit einer vagen Andeutung für Aufsehen gesorgt. Bei einem Treffen mit seinem engsten Verbündeten, dem belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko, sprach Putin von „gewissen positiven Veränderungen“ in den Verhandlungen zwischen russischen und ukrainischen Unterhändlern. Die Gespräche würden inzwischen „praktisch täglich“ geführt. Was genau Putin damit meinte, ließ er im Unklaren.
Betont unbeeindruckt gab sich der russische Präsident angesichts der Sanktionen wegen seines Krieges gegen die Ukraine. Er sprach zwar von einem „massiven Schlag“ gegen die Wirtschaft Russlands. Allerdings habe sich das Land in den vergangenen Jahren an die vielen Sanktionen bereits angepasst. „Und wir sind natürlich stärker geworden“, sagte er.
Nicht weniger kryptisch ließ der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski kurz darauf verlauten, die Ukraine stehe kurz vor einem Sieg über die russischen Invasionstruppen. Die ukrainische Armee habe einen „strategischen Wendepunkt“ erreicht.
Zugleich sagte aber in einer TV-Ansprache, es brauche noch Zeit und Geduld, bis der Sieg erreicht sei. „Es ist unmöglich zu sagen, wie viele Tage wir noch brauchen, um ukrainisches Land zu befreien. Aber wir können sagen, dass wir es schaffen werden.“
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Worauf Selenski sich dabei genau bezog, blieb unklar. Die internationale Gemeinschaft forderte er auf, ihre Sanktionen gegen Russland zu verschärfen.
Putin sieht „constructive Veränderungen“ im Dialog mit Kiew
Neue Sanktionen gegen Russland
Dieser Forderung kamen die westlichen Staaten am Abend nach. US-Präsident Joe Biden teilte mit, dass die G7-Staaten und die Europäische Union gemeinsam ein viertes Sanktionspaket beschlossen haben. Damit sollen alle normalen Handelsbeziehungen zu Russland abgebrochen werden.
Möglich wird das, indem Russland nicht mehr nach dem „Meistbegünstigungsprinzip“ behandelt wird. Diese Grundregel der Welthandelsorganisation WTO besagt, dass Staaten allen Handelspartnern jene Privilegien einräumen sollen, die sie auch dem meistbegünstigten Handelspartner zugestehen. Damit sollen weltweit Handelshemmnisse abgebaut werden.
Mit der Aussetzung dieses Prinzips sind nun höhere Zölle auf russische Waren möglich. Zudem verbieten die Sanktionen den Import von Alkohol, Meeresfrüchten und Diamanten. Luxusgüter dürfen nicht mehr nach Russland ausgeführt werden und weitere russische Politiker fallen nun unter Finanz- und Reisesanktionen des Westens. Die Sanktionen sollen in den kommenden Tagen in Kraft treten.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kündigte nahezu parallel zu Bidens Vorstoß ein viertes Sanktionspaket der EU an, das am Samstag ergriffen werden soll. Die EU will unter anderem Russlands Mitgliedschaft bei der Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds sperren. „Wir werden sicherstellen, dass Russland von diesen Institutionen keine Finanzmittel, Darlehen oder sonstigen Vorteile mehr erhalten kann“, sagte von der Leyen.
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Einen europäischen Importstopp für Energieträger soll es dagegen nicht geben. Das teilten mehrere EU-Staatschefs nach ihrem Treffen im französischen Versailles mit. Allerdings unterstützt die EU die Ukraine mit weiteren Waffen – 500 Millionen Euro will der Staatenbund dafür bereitstellen.
Zudem behält sich die EU weitere Sanktionen vor. „Nichts ist verboten, nichts ist tabu“, sagte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. „Wir werden alles tun, was effizient ist und einen nützlichen Effekt hat, um Russland auf dem Weg der Aggression zu stoppen.“
Die militärische Lage: Russen gruppieren ihre Einheiten neu
Das russische Militär hat seine Luftangriffe in der Ukraine unterdessen ausgeweitet und auch den westlichen Teil des Landes unter Beschuss genommen. Wie das Verteidigungsministerium am Freitag mitteilte, habe die Armee Luftwaffenstützpunkte in westlichen Städten Iwano-Frankiwsk und Luzk mit „Hochpräzisionswaffen“ außer Gefecht gesetzt. Luzk und Iwano-Frankiwsk befinden sich nördlich und südlich der Stadt Lwiw unweit der polnischen Grenze, in die zunächst viele Ukrainer wegen der Kämpfe geflohen waren.
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Im Osten hätten prorussische Separatisten die Stadt Wolnowacha unter ihre Kontrolle gebracht. Die Angaben waren nicht unabhängig zu überprüfen. Eine Bestätigung von ukrainischer Seite gab es zunächst nicht.
Bei dem russischen Luftangriff auf eine psychiatrische Klinik in Charkiw sind ukrainischen Rettungskräften zufolge keine Menschen zu Schaden gekommen. Die Patienten seien zuvor im Keller des Gebäudes in Sicherheit gebracht worden. Die ostukrainische Stadt Charkiw steht ihrem Bürgermeister zufolge unter ständigem Beschuss. 48 Schulen der Stadt seien bereits zerstört worden.
Auch um die belagerte Hafenstadt Mariupol wird weiter heftig gekämpft. Die Stadt sein nun komplett eingekesselt, alle Zugänge seien entweder zerstört oder vermint, hieß es von russischer Seite. In der Stadt sitzen mehrere Hunderttausend Bewohner fest, ihre Lage wird angesichts der Kämpfe und Angriffe immer dramatischer.
Nahe der Hauptstadt Kiew gruppiert das russische Militär seine Einheiten neu. Satellitenbilder der Firma Maxar zeigten gepanzerte Fahrzeuge in Orten nahe des Antonow-Flughafens in Hostomel nordwestlich der Hauptstadt.
Experten der britischen Regierung halten Angriffe russischer Truppen auf Kiew in den kommenden Tagen für wahrscheinlich. „Russland wird wohl versuchen, seine Kräfte neu aufzustellen für erneute Offensiven“, heißt es laut einer am Freitag veröffentlichten Einschätzung des Londoner Verteidigungsministeriums.
Russland beansprucht das besetzte Atomkraftwerk Saporischschja inzwischen für sich. Laut Angaben der ukrainischen Betreibergesellschaft seien die technischen Mitarbeiter darüber informiert worden, dass das AKW nun der russischen Rosatom gehöre. Die Internationale Atomenergiebehörde hatte sich zuvor äußerst besorgt geäußert, weil die Verbindung zum größten europäischen Atommeiler von russischen Truppen unterbrochen worden battle.
Die Flüchtlingslage: 2,5 Millionen Menschen haben Ukraine verlassen
Mittlerweile haben mehr als 2,5 Millionen Menschen die Ukraine verlassen. Der größte Teil von ihnen ist in Polen angekommen – und soll von dort aus in Zukunft besser verteilt werden.
Der polnische Innenminister Mariusz Kaminski kündigte ein „Staffettensystem“ für die Aufnahme und Weiterleitung ukrainischer Flüchtlinge an. Dies sei mit den Partnern der westlichen Länder vorbereitet worden, sagte er am Freitag in Warschau. Flüchtlinge, die in Warschau, Krakau oder anderen polnischen Städten einträfen oder sich bereits in den Aufnahmezentren des Landes befänden, würden in Autobussen oder Sonderzügen die Weiterreise in andere europäische Staaten antreten.
Seit Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine sind in Polen bereits mehr als 1,5 Millionen Flüchtlinge aus dem östlichen Nachbarland in Polen eingetroffen. Landesweit gibt es nach Angaben des Innenministeriums 36 Aufnahmezentren, von Montag an soll es für Flüchtlinge auch ein Registrierungssystem in den Kommunen geben. Auch der Transport der Flüchtlinge von den Grenzen werde koordiniert. Dazu seien 1300 Busse angemietet oder von der Feuerwehr bereitgestellt worden.
Nach Angaben der Bundespolizei sind mindestens rund 110.000 Menschen aus der Ukraine nach Deutschland gekommen. Wie die Behörde am Freitag in Potsdam mitteilte geht sie davon aus, dass die tatsächlichen Zahlen höher liegen. Ukrainer mit biometrischem Reisepass dürfen sich ohne Visum 90 Tage lang frei in der EU bewegen.
Weil der überwiegend Teil von ihnen in Berlin eintrifft, hat das Land Berlin heute die Bundeswehr um Unterstützung bei der Aufnahme und Versorgung gebeten. Innenministerin Nancy Faeser (SPD) kündigte an, dass die Flüchtlinge auch auf die anderen Bundesländer verteilt werden sollen.
Die Vizeregierungschefin der Ukraine Iryna Wereschtschuk kündigte neue Fluchtrouten zur Evakuierung von Zivilisten an. Zur seit Tagen belagerten Hafenstadt Mariupol im Gebiet Donezk sagte sie: „Wir warten und hoffen, dass heute diese Route funktioniert.“ Lastkraftwagen mit Hilfsgütern und leere Bussen seien aus Saporischschja Richtung Mariupol unterwegs.
Russland sperrt Facebook, Instagram und Twitter
Die staatliche russische Kommunikationsbehörde hat inzwischen alle internationalen sozialen Medien gesperrt – nachdem der Facebook-Konzern Meta teilweise seine Regeln gelockert hatte, um Aufrufe zur Gewalt gegen russische Truppen in der Ukraine zuzulassen.
Als Beispiel für die Ausnahme nannte ein Facebook-Sprecher den Satz „Tod den russischen Eindringlingen“. „Wir werden weiterhin keine glaubwürdigen Aufrufe zur Gewalt gegen russische Zivilisten erlauben“, schrieb er bei Twitter. Die Lockerung soll nur für Nutzer in einigen Ländern, darunter Ukraine, Russland, Polen, Lettland, Litauen, Estland und Ungarn gelten.
Fb ist in Russland bereits seit Tagen nicht mehr abrufbar. Nun sind auch die Plattformen Instagram und Twitter gesperrt.
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ARD und ZDF nehmen Berichterstattung aus Russland wieder auf
Die deutschen Fernsehsender ARD und ZDF wollen dagegen bald wieder aus ihren Studios in Moskau berichten. Man wolle wieder „über die politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Scenario in Russland“ berichten, „die Berichterstattung über die militärische Lage in der Ukraine“ jedoch von anderen Standorten leisten.
Die Berichterstattung battle am Wochenende vorübergehend ausgesetzt worden. Grund battle eine Gesetzesänderung in Russland, wonach die Verbreitung angeblicher Falschinformationen über die russischen Streitkräfte mit hohen Geldstrafen und bis zu 15 Jahren Haft bestraft werden kann.
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