New York, Düsseldorf Russlands Präsident Wladimir Putin verschärft seine Rhetorik gegenüber dem Westen und kritisiert die verhängten Strafmaßnahmen scharf. „Diese Sanktionen, die verhängt werden, kommen einer Kriegserklärung gleich“, sagte der Kremlchef am Samstag in einer im Fernsehen übertragenen Rede.
Zugleich warnte er bei einem Treffen mit Mitarbeiterinnen der Airline Aeroflot die Nato davor, eine Flugverbotszone für die Ukraine einzurichten. „In der gleichen Sekunde werden wir sie als Teilnehmer des militärischen Konflikts betrachten“, sagte der russische Präsident. Jeder Schritt in eine solche Richtung werde als Intervention angesehen, der eine Bedrohung für die russischen Truppen darstelle, drohte Putin.
Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski hatte die Nato gedrängt, eine Flugverbotszone über seinem Land einzurichten und damit zu verhindern, dass Russland Luftangriffe auf sein Land starten kann.
Die Nato lehnte ab und erklärte zur Begründung, eine solche Flugverbotszone könnte einen größeren Krieg in Europa auslösen. Die Alliierten seien sich einig, dass Nato-Flugzeuge nicht im ukrainischen Luftraum operieren sollten, hatte der Generalsekretär des Militärbündnisses, Jens Stoltenberg, zuletzt mehrfach gesagt.
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Immerhin bremste Putin bei einem brisanten Thema: Die Voraussetzungen dafür, innerhalb von Russland Kriegsrecht auszurufen, sehe er nicht. Für eine solche Lage seien eine Aggression von außen oder Kämpfe in konkreten Regionen erforderlich, sagte Putin am Samstag nach Angaben russischer Agenturen in Moskau.
„Aber wir haben eine solche Scenario nicht, und ich hoffe, sie kommt auch nicht.“ Auch den Ausnahmezustand aircraft er nicht. Er trat damit Befürchtungen vieler Russen entgegen. Viele haben deshalb das Land schon verlassen.
Die Themen dürften auch bei seinem Austausch mit dem israelischen Ministerpräsidenten Naftali Bennett diskutiert worden sein, den er überraschend am Samstag in Moskau traf. Nach dem Gespräch reiste Bennett nach Berlin, um sich mit Bundeskanzler Olaf Scholz zu beraten.
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Einmal mehr wiederholte Putin bei seinen Auftritten seine Bedingungen für ein Ende des russischen Kriegs gegen die Ukraine. „Unsere Vorschläge liegen bei einer Gruppe von Unterhändlern aus Kiew auf dem Tisch. Wir hoffen, dass sie positiv darauf reagieren werden.“ Die wichtigste Forderung sei die Entmilitarisierung der Ukraine.
„Wir müssen klar und deutlich wissen, welche Waffen wo sind und unter welcher Kontrolle sie stehen.“ Dazu würden verschiedene Optionen derzeit mit der ukrainischen Delegation diskutiert.
Neue Verhandlungen wohl erst am Montag
Neue Verhandlungen zwischen sind jedoch erst für kommenden Montag geplant. Das schrieb der Leiter der ukrainischen Delegation, David Arachamija, am Samstagabend bei Fb. Einzelheiten nannte er nicht.
Später sagte der russische Außenpolitiker Leonid Sluzki im Staatsfernsehen: „Die dritte Runde kann wirklich in den nächsten Tagen stattfinden. Möglich ist es am Montag, dem 7. (März).“ Zunächst battle mit weiteren Gesprächen bereits an diesem Wochenende gerechnet worden.
Beide Seiten hatten sich zuletzt am Donnerstag im Westen von Belarus getroffen und sich bei ihrer zweiten Runde auf humanitäre Korridore verständigt. Sie sollten dabei helfen, dass Menschen umkämpfte Städte und Dörfer verlassen können.
Evakuierungen gescheitert
Allerdings scheiterten die Evakuierungen aus der ukrainischen Hafenstadt Mariupol am heutigen Tag. Die Ukraine und Russland warfen sich gegenseitig vor, gegen die verabredete Feuerpause verstoßen zu haben.
Von ukrainischer Seite hieß es, russischer Artilleriebeschuss und Luftangriffe hätten die Bewohner daran gehindert, die Area zu verlassen, bevor die vereinbarten Evakuierungen begonnen hätten. Der russische Präsident Putin beschuldigte dagegen die Ukraine, die Bemühungen zu sabotieren.
Der Bürgermeister von Mariupol, Vadym Boitschenko, sagte im ukrainischen Fernsehen, dass sich Tausende Einwohner zur Evakuierung versammelt hätten, als der Beschuss am Samstag begann. „Wir schätzen das Leben eines jeden Einwohners von Mariupol und können es nicht riskieren, deshalb haben wir die Evakuierung gestoppt“, sagte er.
Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) erklärte dazu: „Die Szenen in Mariupol und anderen Städten heute brechen einem das Herz“. Die Organisation bleibe im Kontakt mit allen Beteiligten, um einen sicheren Rückzug von Zivilisten aus verschiedenen von dem Konflikt betroffenen Städten zu ermöglichen.
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Um 16 Uhr (MEZ) hat das russische Militär der Agentur Interfax zufolge seine Angriffe auf die ukrainische Großstadt Mariupol und die Stadt Wolnowacha fortgesetzt.
Die militärische Scenario
Nach Putins Angaben ist die „Zerstörung der militärischen Infrastruktur“ in der Ukraine „als Teil der Operation (…) praktisch abgeschlossen“. Er nannte etwa Waffen- und Munitionslager.
Die russischen Truppen konzentrierten sich nach ukrainischen Angaben am Samstag weiter darauf, die Hauptstadt Kiew und die zweitgrößte Stadt Charkiw einzukesseln. Im Zentrum Kiews waren Explosionen zu hören. Im Süden der Ukraine wollen sie eine Landbrücke zur annektierten Halbinsel Krim schaffen.
Die ukrainischen Streitkräfte halten nach Angaben von Präsident Wolodimir Selenski wichtige Städte in der Mitte und im Südosten des Landes. Die russischen Soldaten versuchten, Charkiw, Tschernihiw, Mykolajiw und Sumy zu umstellen und blockieren, sagte Selenski am Samstag.
„Wir fügen den Besatzern Verluste zu, die sie sich in ihren schlimmsten Alpträumen nicht vorstellen konnten“, sagte Selenski. Er gab an, dass in den zehn Tagen des Krieges 10.000 russische Soldaten getötet worden seien. Diese Zahl konnte nicht unabhängig überprüft werden. Die russischen Streitkräfte geben nicht regelmäßig Auskunft über ihre Verluste. Bisher äußerten sie sich dazu nur einmal, am Mittwoch, und sprachen von quick 500 russischen Todesopfern.
Am Samstagnachmittag gab das russische Verteidigungsministerium in einer Meldung der Nachrichtenagentur Interfax die Einnahme mehrerer Städte und Dörfer in der Ukraine bekannt. Es seien zudem vier ukrainische Su-27 Jets abgeschlossen worden, heißt es weiter. Auch diese Angaben können von unabhängiger Seite nicht überprüft werden.
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Klitschkos: Widerstandswille ungebrochen
Die Brüder Wladimir und Vitali Klitschko wollen in der Ukraine bleiben und weiter gegen die russischen Truppen kämpfen. Es bleibe ihnen keine andere Wahl als zu kämpfen, sagte Vitali Klitschko, der Bürgermeister von Kiew, in einem gemeinsamen Interview mit seinem Bruder der „Welt am Sonntag“.
Für ihn wäre es „richtig peinlich“, wenn er als gewählter Bürgermeister jetzt sein Land verlassen würde. „Wenn ich ginge, wäre das Verrat und ich könnte niemals mehr in den Spiegel sehen. Wir bleiben hier.“
Nach Einschätzung der Field-Legenden ist der Widerstandswille der ukrainischen Soldaten und Zivilisten ungebrochen. „Es ist berührend zu erleben, wie sehr unsere Leute für ihr Recht kämpfen“, sagte Vitali Klitschko der Zeitung.
Beide Brüder erklärten, dass sie in Kiew bleiben und sich Rückendeckung geben würden. „Es geht nicht nur um die Ukraine, sondern auch um den Frieden in der Welt“, so Wladimir Klitschko. „Wenn eines von unseren Atomkraftwerken explodiert, kann das das Ende von Europa sein.“
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Immer mehr Menschen versuchen zu flüchten
Gleichzeitig suchen immer mehr Ukrainer wegen des russischen Angriffskriegs Schutz in anderen Ländern. Auch in Deutschland steigt die Zahl der Kriegsflüchtlinge.
Wie das Bundesinnenministerium am Samstag mitteilte, registrierte die Bundespolizei in Deutschland bislang 27.491 Kriegsvertriebene aus der Ukraine. Die tatsächliche Zahl der nach Deutschland eingereisten Ukrainer könne aber „wesentlich höher sein“, hieß es dazu.
Weltweit waren nach Schätzung des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR bis Freitag etwa 1,3 Millionen Menschen aus der Ukraine geflohen, die meisten davon nach Polen. Dort schätzt das UNHCR die Zahl der ukrainischen Geflüchteten bis vergangenen Donnerstag auf knapp 650.000.
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In Polen hat US-Außenminister Antony Blinken ein Aufnahmezentrum für Flüchtlinge nahe der Grenze zur Ukraine besucht. Der Minister sprach in dem ehemaligen Einkaufszentrum in Korczowa mit Müttern und ihren Kinder, die von ihrer langen und gefährlichen Flucht berichtete.
Danach fuhr Blinken zum Grenzübergang, wo polnische Grenzschützer kleine Gruppen von Flüchtlingen aus der ukrainischen Stadt Krakovets über die Grenze begleiteten.
Der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki sagte nach dem Gespräch mit Blinken, beide seien sich einig, dass die Ostflanke der Nato weiter gestärkt und die europäische Sicherheitsarchitektur ausgebaut werden müsse. Polen wünscht sich mehr US-Truppen auf seinem Staatsgebiet, in dem derzeit mehr als 10.000 amerikanische Soldaten stationiert sind.
Die beiden Männer sprachen auch über die Verschärfung der Sanktionen gegen das Russland, die laut Morawiecki erdrückend für die russische Wirtschaft sein müssten. Keine russische Banken sollte von dem Ausschluss aus dem Swift-System ausgenommen werden, sagte der Ministerpräsident. Derzeit haben die größten russischen Banken noch Zugriff auf das System.
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Sanktionen betreffen indirekt auch den Westen
Die wirtschaftlichen Folgen des Krieges in der Ukraine sind nach Darstellung des Internationalen Währungsfonds (IWF) bereits jetzt „sehr ernst“. In einer Erklärung verweist der IWF auf den starken Anstieg von Energie- und Getreide-Preisen.
Die gegen Russland verhängten Sanktionen würden sich substanziell auf die Weltwirtschaft auswirken und bedeutende Folgen auch für andere Staaten haben, heißt es weiter. Die Ukraine habe um finanzielle Unterstützung im Umfang von 1,4 Milliarden Greenback gebeten. Eine Prüfung des Antrags werde ab der kommenden Woche erwartet.
Unterdessen kündigten weitere Unternehmen an, ihre Geschäfte in Russland einzuschränken, auf Eis zu legen oder sich ganz zurückzuziehen: Der Sportartikelhersteller Puma schließt seine Läden in Russland. Der operative Betrieb werde „vorübergehend eingestellt“, teilte das Unternehmen am Samstag in Herzogenaurach mit. Puma betreibt in dem Land mehr als 90 Geschäfte, die Mitarbeiterzahl gab der Sportartikelhersteller zuletzt mit über 900 an.
Das italienische Modehaus Prada kündigt ebenfalls einen Verkaufsstopp in Russland an.
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Mit Agenturmaterial