Antalya Wenn Mitglieder der Bundesregierung in die Türkei reisen, dann treffen sie häufig Oppositionelle und Vertreter der Zivilgesellschaft. Beim Besuch von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in Ankara am Montag steht nichts davon auf dem Programm – und das ist ein Zeichen dafür, wie sich die Beziehungen zwischen Berlin und Ankara wandeln könnten.
Die Gespräche blieben ohne konkretes Ergebnis, das Blutvergießen geht weiter. Doch erklärte Russlands Präsident Wladimir Putin anschließend, er habe optimistic Entwicklungen aus dem trilateralen Gipfel entnommen. Es könnte Bewegung in die Sache kommen – doch der Bundesregierung droht, dass sie den Anschluss verliert.
Bereits am Wochenende hatten mehrere europäische Staaten sowie die Nato ihre Spitzenvertreter in die Türkei geschickt, um sich über den Hergang des Treffens informieren zu lassen.
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Erdogan und sein Außenminister Mevlüt Cavusoglu hatten im Rahmen des „Antalya Diplomacy Discussion board“ am Wochenende bereits mit Nato-Generalsekretär Stoltenberg gesprochen, mit dem Hohen Vertreter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik und Vizepräsident der Europäischen Kommission, Josep Borrell, sowie mit zahlreichen Außen- und Verteidigungsministern der EU und anderer Länder, darunter auch dem venezolanischen Außenminister. Selbst drei Vertreter der Taliban aus Afghanistan waren bei dem Treffen zugegen.
Kein Mitglied der Bundesregierung bei Diplomatie-Gipfel
Die Bundesregierung hatte bis auf ihren Botschafter in Ankara niemanden in offizieller Mission zu dem Treffen geschickt. „Über 2500 ausländische Gäste folgten der Einladung, aber leider nur wenige aus Deutschland“, kritisierte Ex-Bundesaußenminister Sigmar Gabriel, der unter anderem für ein Treffen mit dem türkischen Außenminister Cavusoglu angereist struggle.
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Er hält die Gespräche zwischen den beiden Außenministern Lawrow und Kuleba für wichtig, mahnt aber gleichzeitig ein Umdenken in der deutschen Energiepolitik an. „Wir dachten zu lange, es gäbe eine Friedensdividende in der Energiepolitik“, kritisierte Gabriel gegenüber dem Handelsblatt. „Jetzt ist klar: Russland hat uns eines Besseren belehrt.“
Die türkische Strategie gegenüber Russland bezeichnete Gabriel als klug. Das Land hat seit Kriegsbeginn auf Sanktionen gegen Russland verzichtet und so einen Gesprächskanal nach Moskau offengehalten. „Wer den Verzicht auf Sanktionen blind kritisiert, der hat die geopolitische State of affairs der Türkei nicht verstanden“, die sich elementary von der mitteleuropäischer Staaten unterscheide, erklärte Gabriel.
Unterstützung erhält Scholz derweil aus der Opposition. Armin Laschet, ehemaliger CDU-Kanzlerkandidat und jetzt Türkei-Beauftragter der Partei, hält den Russlandkurs der Bundesregierung für richtig. „Insbesondere Robert Habecks rationale Strategie, die deutschen Rohstoffimporte aus Russland zum Schutz unserer Arbeitsplätze in der Industrie nicht von heute auf morgen komplett einzustellen, ist zu begrüßen“, erklärte Laschet im Gespräch mit dem Handelsblatt. Laschet hatte unter anderem den türkischen Außenminister Cavusoglu sowie den luxemburgischen Chefdiplomaten Jean Asselborn getroffen.
„Dass sich die ukrainische und die russische Seite unter türkischer Moderation überhaupt getroffen haben, ist eine großartige diplomatische Leistung“, meint Laschet. „Auch wenn das Ergebnis frustrierend ist, so ist jetzt die Foundation für weitere Gespräche geschaffen.“
Fünf Tage nach dem Gipfel dürfte Kanzler Scholz bei seinem Türkeibesuch versuchen, eilig die offizielle deutsche Place in einen möglichen weiteren Verhandlungsprozess zwischen Russland und der Ukraine einzubringen. Da ist für Gespräche mit der Opposition oder Menschenrechtsorganisationen offenbar keine Zeit.
Vom Staatsgründer zum Staatschef und zurück nach Berlin
Um 15:30 Uhr Ortszeit will Scholz einen Kranz am Seize von Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk niederlegen, anschließend geht es direkt zu Erdogan. Nach einem anschließenden Gespräch mit Journalisten geht es laut Plan in den Flieger zurück nach Berlin.
Gespräche mit der türkischen Opposition oder Vertretern der Zivilgesellschaft, normalerweise Pflicht für europäische Politiker in der Türkei, stehen nicht auf dem Programm. Ungewöhnlich: Normalerweise ist nach Amtsantritt einer neuen Bundesregierung die Außenministerin für Antrittsbesuche in Partnerländern zuständig. Doch Annalena Baerbock struggle noch nicht in der Türkei – Scholz kommt alleine.
Ein protokollarisches Element, das Bände spricht. Mindestens fünf Jahre lang struggle die deutsche Türkeipolitik darauf ausgerichtet, Missstände bei den Menschenrechten anzuprangern. Und da gibt es immer noch genügend Fälle.
Das Auswärtige Amt forderte noch im Januar offiziell die Freilassung des Unternehmers Osman Kavala, der unter anderem mit dem Goethe-Institut zusammenarbeitete und seit 2017 im Gefängnis sitzt. In der vergangenen Woche wurde eine türkische Journalistin zu mehr als zwei Jahren Gefängnis verurteilt, weil sie Erdogan beleidigt habe – ohne ihn beim Namen zu nennen.
Normalerweise Grund genug für öffentlichen Protest aus Berlin. Doch jetzt kommt Scholz, um Erdogan zuzuhören. Um zu erfahren, wie die Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine liefen. Und um die deutsche Place in die Debatte einzubringen, bevor es zu spät ist. Scholz dürfte gewiss nicht als Bittsteller auftreten. Aber durchaus als jemand, der nun mit Erdogan auf Augenhöhe verhandeln muss.
Druck von der Nato
Druck kommt auch von Partnern aus EU und Nato. Artis Pabriks, Verteidigungsminister und Vizepremier Lettlands, forderte Deutschland zu einer aktiveren Außen- und Sicherheitspolitik auf und will mit der Bundeswehr enger kooperieren.
Eine solche Kooperation könnte wichtige Lücken in der europäischen Sicherheitsarchitektur schließen, ist Pabriks überzeugt. „Im 21. Jahrhundert und mit einer solchen Bedrohung direkt vor der Haustür, da ist es meiner Meinung nach Zeit, das veraltete deutsche Weltbild anzupassen.“ Angesichts der russischen Aggressionen gegen die Ukraine verlangt er einen nüchternen Blick aus Berlin. „Deutschland wacht langsam auf.“
Erdogan könnte diese State of affairs ausnutzen. Der türkische Präsident ist ein Machtmensch und registriert derartige diplomatische Feinheiten wie ein Seismograf. Nicht auszuschließen, dass er die State of affairs nutzt, um neben dem Ukrainekonflikt auf eigene Themen einzugehen. Zum Beispiel auf den schleppenden EU-Beitrittsprozess der Türkei oder auf den EU-Türkei-Flüchtlingspakt, der immer noch nicht komplett umgesetzt ist. Außerdem fordert Erdogan seit Langem, dass die Seegrenzen in der Ägäis neu gezogen werden – zum Nachteil des EU-Mitglieds Griechenland.
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