Erdoğan-Anhänger haben die „Partei Demokratische Allianz für Vielfalt und Aufbruch“ (Dava) für die Europawahl aufgestellt. Experten sehen in ihr einen Ableger der türkischen AKP.
Die Türkei will ihren Einfluss in Europa offenbar ausweiten. Das legt eine neue Partei nahe, die in Deutschland kurz vor ihrer Gründung stehen soll und nach eigenen Aussagen schon bei der Europawahl im Sommer zum ersten Mal antreten will. Konkret geht es um die „Partei Demokratische Allianz für Vielfalt und Aufbruch“ (Dava), über deren mögliche Gründung zunächst die „Bild“ unter Berufung auf Gründungspapiere berichtete.
Beobachter sehen in ihr einen Ableger der AKP des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan. Deutsche Politiker sind alarmiert: „Ein Erdoğan-Ableger, der hier zu Wahlen antritt, ist das Letzte, was wir brauchen“, schrieb etwa Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) auf der Plattform X (vormals Twitter). „Das ist eine Partei, die offenbar spalten will“, meinte FDP-Fraktionschef Christian Dürr. Und auch Unionsfraktionsvize Jens Spahn (CDU) warnte: „Das wäre eine weitere extreme Partei im Land.“
In der Tat spricht vieles dafür, dass Erdoğan mit der Dava seinen Einfluss in Deutschland und Europa ausweiten will. Doch welche Erfolgsaussichten hat er damit?
Experte hält Dava-Statement für „zynisch“
In den sozialen Medien präsentiert sich die Dava zunächst moderat. Sie wolle „neue politische Heimat“ sein „für viele Bürger, die von den etablierten Parteien nicht repräsentiert werden“, heißt es in einer ersten Erklärung, gepostet von Dava-Gründer und dem wahrscheinlichen Parteichef in Deutschland Teyfik Özcan.
Dabei ist die Dava jedoch bislang keine Partei, obgleich sie „Partei“ im Namen trägt. Wie das Büro der Bundeswahlleiterin auf Anfrage von t-online mitteilt, habe die Dava am 7. Januar ihre Teilnahmebereitschaft zur Europawahl 2024 und damit auch die Gründung als „sonstige politische Vereinigung“ angezeigt. Für diese seien die Teilnahmebedingungen für die Europawahl identisch mit der einer Partei.
Ziel der Dava bei der Wahl, so heißt es in ihrer Erklärung, sei es, „Ungleichbehandlung“ zu benennen und „dafür Sorge zu tragen, dass die Menschen mit ausländischen Wurzeln ihre Rechte in vollem Umfang zugesprochen bekommen“. Man positioniere sich gegen antimuslimischen Rassismus und Antisemitismus.
Berichte über eine Nähe zur AKP weist ihr Gründer zurück. Grund zu dieser Annahme geben jedoch etwa die Netzwerke der Dava-Spitzenkandidaten für die Europawahl. Sie reichen offenbar weit bis nach Ankara: Sowohl der Rechtsanwalt Fatih Zingal als auch der Arzt Dr. Ali Ihsan Ünlü sowie der Mediziner Mustafa Yoldaş gelten als Unterstützer Erdoğans und haben Verbindungen zu Organisationen in Deutschland, die der AKP nahestehen. Mehr dazu lesen Sie hier. Professor Burak Çopur, Essener Politikwissenschaftler und Türkei-Experte, sieht in der Dava auch darum eindeutig einen Ableger der AKP.
Dass es der Partei tatsächlich um den Kampf gegen Rassismus und Integration geht, glaubt er daher nicht. „Der türkische Präsident ist in den letzten Monaten erneut durch übelsten Antisemitismus aufgefallen und durch Kooperation mit der Hamas“, sagt der Experte gegenüber t-online. „Insofern halte ich es für zynisch, dass sich diese Partei nun für ausgegrenzte und diskriminierte Türkeistämmige in Deutschland einsetzen will.“ Erdoğan hatte sich in Bezug auf den Krieg in Nahost in den vergangenen Wochen mehrfach antisemitisch geäußert. So hatte er etwa Israels Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu mit Adolf Hitler verglichen.
Experte sieht „Strategie Erdoğans“ bei Dava
Die Dava-Spitzenkandidaten könnten freilich viel eher aufgrund ihrer Nähe zu Erdoğan in deutschen Parteien nicht mehr erwünscht sein. „Dass sie jetzt eine Partei gründen, ist also für sie eine Flucht nach vorne, um Erdoğan-Anhängern und islamisch-nationalistischen Wählerkreisen in Deutschland eine politische Heimat zu bieten“, meint Çopur. Der Dozent am Institut für Turkistik an der Universität Duisburg-Essen forscht seit Langem zu Fragen der Migration und Integration der türkeistämmigen Bevölkerung in Deutschland. Er sieht in dem Vorgehen der Dava die „Strategie Erdoğans“.