Er ist Amateur-Fußballtrainer aus Leidenschaft und wünscht sich mehr Mut zu leistungsorientiertem Denken. Auch privat ist der Berliner Marc-Ole Wendorff stark gefordert.
Die Wirtschaft stagniert. Schuld daran sei auch, dass Deutschland sich vom Leistungsgedanken verabschiedet, kritisieren Politiker und Unternehmer. Stimmt das? Wie denken die Menschen im Land darüber? Und was verstehen wir eigentlich unter Leistung? t-online geht diesen Fragen in einer Serie nach, lässt dazu bekannte und unbekannte Menschen zu Wort kommen. In dieser Folge:
Marc-Ole Wendorff, 42, Amateur-Fußballtrainer aus Berlin, hauptberuflicher Feinwerkzeugmechaniker
„In Deutschland wird Leistung oft mit dem Gedanken ‚höher, schneller, weiter‘ gleichgesetzt. Von dieser Idee bin ich nicht überzeugt. Stabilität und Konstanz in einer Leistung kannst du nicht erreichen, wenn du unter Dauerfeuer stehst. Es muss auch Phasen geben, in denen du herunterfahren kannst. Bei mir kommt das mit dem Sport und in der Zeit mit meinen Kindern zu Hause.
Als Trainer einer Herrenmannschaft muss ich meinen Spielern diese Phasen geben, um herunterkommen zu können. Das ist besonders am Montag im ersten Training der Woche wichtig. Es geht darum, auf die Jungs einzugehen und zu schauen, wer hat gerade welche Probleme und wie können wir helfen? Wir bewegen uns immer noch im Amateurbereich. Es ist deshalb nicht leicht, das sportliche Leistungslevel dauerhaft zu halten.
Ich trainiere auch Kindermannschaften. Von der neuen DFB-Reform, die den Leistungsdruck bei den Jungs minimieren soll, bin ich kein Freund. Kinder brauchen den Vergleich untereinander, um sich weiterzuentwickeln. Bald gibt es bei ihnen überhaupt kein leistungsorientiertes Denken mehr. Das geht nicht.
Für Kinder, die nicht mitziehen können und wollen, gibt es genug andere Angebote im Jugendfußball. Jetzt alle in einen Topf zu werfen, ist falsch. Die Kleinen sollten die Chance haben, sich auch an Ergebnissen zu messen, wenn sie das wollen. Aus meiner Erfahrung weiß ich: Viele wünschen sich das und sie brauchen es auch.
Mich hat das harte Training als Kind doch auch nicht umgebracht
Marc-Ole Wendorff
Ich musste mit zehn Jahren im Fußballtraining schon 15 Liegestütze machen. Heute dürfen wir als Trainer mit den Kindern nicht mehr konditionell arbeiten, um sie in ihrem Wachstum nicht zu überfordern. Das verstehe ich. Trotzdem: Zu meiner Jugendzeit wurde härter im Fußball gearbeitet. Meine Mannschaftskameraden und mich hat das harte Training als Kinder doch auch nicht umgebracht. Warum sollte das jetzt anders sein? Die Leistungsbereitschaft bei den Jungs war auch da. Heute ist das nicht anders.
Mir macht es Freude, in meine Spieler hineinzuhören und zu schauen, was sie brauchen. Moritz zum Beispiel, ein 26-jähriger Spieler aus meinem Herrenteam, hat sich gerade den Mittelfuß gebrochen. Da ist für mich klar: Ich rufe bei ihm an, frage, wie der Verein und ich ihn unterstützen können. Es fällt mir schwer, das als Leistung zu betiteln, denn ich mache das ehrenamtlich und damit gerne. Trotzdem leiste ich damit natürlich etwas. Die Leistung ist dabei eine Herzenssache.
Zur Person
Marc-Ole Wendorff, 42, ist seiner Heimat Berlin stets treu geblieben. Er lebt im Bezirk Pankow und arbeitet als Feinwerkzeugmechaniker. Der gelernte Chemielaborant trainiert in seiner Freizeit nicht nur die 1. Herrenmannschaft der SG Blau-Weiß Friedrichshain, sondern auch die E-Jugend (10- bis 11-Jährige) des VfB Einheit zu Pankow.
Ich möchte meinen Jungs damit vermitteln, dass sie nicht nur eine Nummer auf dem Reißbrett für mich sind. Gerade in solchen Situationen muss es für die Spieler auch mal möglich sein, nicht 120 Prozent leisten zu müssen.
Ich habe zwei Söhne. Meine Frau ist krebskrank. Deswegen muss ich jeden Tag, egal ob es ein guter oder schlechter ist, Leistung zeigen. Meine Kinder müssen zur Schule gebracht werden, sie brauchen zu essen, möchten zum Sport, weil sie sonst unausgeglichen sind. Deshalb muss ich jeden Tag alles geben, denn momentan gibt es privat nur mich.
Fußball in Deutschland
Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) ist der Dachverband von 26 Fußballverbänden in Deutschland. Ende 2022 gehörten knapp 24.150 Vereine mit mehr als 2,2 Millionen Spielerinnen und Spielern zum DFB. Zudem besitzen aktuell 77.310 Trainer und 6.550 Trainerinnen eine gültige Lizenz.
Mit Beginn der Saison 2024/2025 startet der DFB bundesweit eine Reform im Kinderfußball. Unter anderem werden dann kleinere Teams auf kleineren Spielfeldern gegeneinander antreten. Der Leistungsdruck soll dadurch gesenkt und die sportliche Entwicklung der Kinder stärker in den Vordergrund gerückt werden.
Eine Zeit lang war es bei uns zu Hause ganz schlimm. Meine Frau war wegen ihrer Krankheit kaum da: Reha, Chemotherapie, Radiologie, etliche Untersuchungen. Doch an einer solchen Situation kann man wachsen. Man merkt dann erst, wie viel man allein leisten kann. Es macht keiner die Wäsche für die Familie? Dann stehe ich eben mitten in der Nacht auf und lege sie zusammen, damit meine Kinder morgens frische Sachen zum Anziehen haben.