Die Offshore-Windkraft in der deutschen Nord- und Ostsee soll massiv ausgebaut werden.
(Foto: Paul Langrock/laif)
Berlin Der Stromnetzbetreiber Tennet stößt mit der Ausschreibung von Netzanschlüssen für Offshore-Windparks in der deutschen und der niederländischen Nordsee in eine neue Größenordnung vor. Um die langfristige Planbarkeit für alle Projektbeteiligten zu erhöhen, sollen 15 bis 20 Offshore-Netzanschlüsse vergeben werden. Das Gesamtauftragsvolumen beläuft sich auf bis zu 30 Milliarden Euro.
Bislang erfolgten solche Ausschreibungen nur Schritt für Schritt, also von Netzanschluss zu Netzanschluss. Für die Tennet-Auftragnehmer bedeutete das, dass sie sich von Projekt zu Projekt hangeln mussten – ohne verlässliche Perspektiven für mehrere Jahre.
Der Tennet-Vorstoß folgt der wachsenden Bedeutung der Offshore-Windkraft. Deutschland, aber auch Staaten wie die Niederlande, Dänemark und Belgien haben sich sehr ehrgeizige Ziele für den Ausbau der Windkraft auf See gesetzt. Die vier Länder haben sich mit der Mitte Mai verabschiedeten Esbjerg-Erklärung dazu bekannt, bis 2030 zusammen mindestens 65 Gigawatt (GW) Offshore-Windenergie zu installieren.
In der deutschen Nord- und Ostsee sind derzeit insgesamt knapp acht Gigawatt Offshore-Windkraft installiert. Aber das ist erst der Anfang. Laut Koalitionsvertrag sollen daraus bis 2030 mindestens 30 GW werden, bis 2035 mindestens 40 GW und bis 2045 mindestens 70 GW.
Top-Jobs des Tages
Jetzt die besten Jobs finden und
per E-Mail benachrichtigt werden.
Zur Einordnung: 70 GW entsprechen der Leistung von 70 Atomkraftwerken. Allerdings produzieren Offshore-Windräder nur etwa die Hälfte des Stroms, wenn man 4500 Volllaststunden pro Jahr unterstellt. Atomkraftwerke dagegen laufen in der Regel annähernd ununterbrochen während aller 8760 Stunden eines Jahres.
Tennet steht vor Milliardeninvestitionen
Der rasante Ausbau der Offshore-Windkraft, den die Politik plant, macht massive Investitionen in die Netzanbindung der Parks erforderlich. Was bisher Park für Park erfolgte, muss nun in großen Dimensionen möglichst grenzüberschreitend fortgesetzt und vorausschauend geplant werden.
Dieser Überlegung folgt Tennet. Das Unternehmen, das zu hundert Prozent dem niederländischen Staat gehört, ist für die Anbindung sämtlicher Offshore-Windparks in den Niederlanden und für einen großen Teil der Anbindung ans Stromnetz in Deutschland verantwortlich.
„Wir beschreiten mit diesem großen Ausschreibungsvolumen neue Wege. Unser Ziel ist es, mehr Planbarkeit in die Umsetzung der ambitionierten politischen Ziele zu bringen“, sagte Tennet-Manager (COO) Tim Meyerjürgens dem Handelsblatt.
Bislang hätten oftmals politische Vorgaben und Rahmenbedingungen sowie gesicherte, langfristige Ausbauziele gefehlt. „Fehlende Kalkulierbarkeit erschwert Investitionen in Personal und Produktionskapazitäten. Das wollen wir ändern. Wir geben den Anbietern Sicherheit über die Projektpipeline und damit langfristige Gewissheit“, sagte Meyerjürgens. Der neue Ansatz werde „den gesamten Markt entlang der Wertschöpfungsketten beleben und vorantreiben“.
Die Anbindung der Windräder auf See erfordert großes Know-how
Die Netzanbindung der Offshore-Windkraft ist technisch anspruchsvoll. Sie erfordert den Bau und die Installation von Plattformen auf hoher See sowie von Stationen an Land. Wenige große Anbieter – etwa Siemens Energy, Hitachi Energy oder GE – dominieren das Geschäft.
Die Windenergieanlagen produzieren Wechselstrom, der auf den windparkeigenen Umspannplattformen gesammelt und auf eine Spannung von 155 Kilovolt (kV) transformiert wird. Anschließend wird der Strom von der Umspannplattform über ein Wechselstrom-Netzanbindungssystem an die Konverterplattform des Übertragungsnetzbetreibers weitergeleitet.
Auf der Konverterplattform wird der Strom mehrerer Windparks gesammelt und von Wechsel- auf Gleichstrom umgerichtet, um dann zum Netzverknüpfungspunkt an Land transportiert zu werden. Die Übertragung erfolgt mittels Gleichstrom im Spannungsbereich von 320 kV, weil dies bei den großen Entfernungen zum Netzverknüpfungspunkt wegen der vergleichsweise geringen Verluste als besonders effektiv gilt.
In den kommenden Jahren sollen die Netzanbindungen der Offshore-Parks über Ländergrenzen hinweg verknüpft werden. Dies soll dazu beitragen, Stromangebot und Stromnachfrage besser in Einklang zu bringen.
Bundesrepublik will bei Tennet einsteigen
Meyerjürgens betonte, die Großausschreibung entspreche dem EU-Vergaberecht. Tennet selbst habe mit dem Netzentwicklungsplan Strom (NEP Strom) „einen klaren Auftrag und zugleich Planungssicherheit“. Auf niederländischer Seite sei das ähnlich geregelt.
Der NEP Strom stellt den Ausbaubedarf des deutschen Stromnetzes in den nächsten zehn bis 15 Jahren dar und enthält eine Fortschreibung für die nächsten 20 Jahre. Der Netzentwicklungsplan wird von den Übertragungsnetzbetreibern – neben Tennet sind das 50Hertz, Amprion und TransnetBW – entworfen und von der Bundesnetzagentur bestätigt.
Tennet steht vor massiven Investitionen. Das Unternehmen hatte kürzlich angekündigt, ab 2025 jedes Jahr mindestens sechs Milliarden Euro zu investieren. Von seinem Anteilseigner erhält Tennet dabei kräftige Unterstützung: Die niederländische Regierung hatte kürzlich angekündigt, 4,25 Milliarden Euro an Eigenkapital für die Aktivitäten des Staatsunternehmens in den Niederlanden zur Verfügung zu stellen. Die niederländische Regierung und die deutsche Regierung verhandeln seit vielen Monaten über einen Einstieg des deutschen Staates bei Tennet.
Mehr: Wie ein neues Gesetz den Ausbau der Windkraft auf hoher See bremsen könnte