Seit Monaten geht das nun schon so. Erst veröffentlichen Verbände und Ökonomen düstere Prognosen. Dann kommt es doch besser als befürchtet. Viel besser mitunter.
Spricht man dieser Tage aber mit Unternehmenschefs, Analysten oder Investoren, zeigt sich ein ganz anderes Bild. Marketingbudgets, Forschungsausgaben, größere Investitionsprojekte in Europa: Alles wird doppelt geprüft, gewogen und – wenn es irgendwie geht –: verschoben. Während einige Ökonominnen und Ökonomen den Abschwung abhaken, planen viele Konzerne immer mit einer Flaute. Man kann es auch so sagen: Die Stimmung ist schlechter als die Lage.
Das hat zunächst ganz offensichtliche Gründe: Niemand weiß zum Beispiel, wie sich der Krieg in der Ukraine weiterentwickelt. Auch ist noch nicht klar, wie sehr der notwendige Kampf der Zentralbanken gegen die Inflation die Wirtschaft bremsen wird.
Auf der deutschen Wirtschaft lastet vor allem eins: der Standort Deutschland.
Für den Pessimismus gibt es aber einen weiteren, tiefer liegenden Grund. Es vergeht gerade kaum ein Gespräch mit Topkräften der deutschen Wirtschaft, in dem nicht irgendwann der Standort zur Sprache kommt, die Zukunft des industriell geprägten Geschäftsmodells Deutschland, die stetig wachsende bürokratische Last – und die Frage, welche Rolle Europa zwischen den beiden Hightech-Supermächten China und USA in Zukunft noch spielen wird.
Die Wirtschaft braucht nicht in erster Linie neue Subventionspakete, sondern eine Standortstrategie.
Hier liegt die eigentliche Ursache für den Pessimismus. Es gibt nämlich auch eine andere Lesart der aktuellen Zahlen: dass sie nicht viel mehr sind als eine Scheinblüte. Denn die mittelfristigen Aussichten sind tatsächlich nicht gerade überragend.
Energie wird in Europa dauerhaft teuer bleiben, die Unternehmensteuern sind im weltweiten Vergleich hoch, und der Welthandel, von dem die deutschen Unternehmen ganz besonders abhängen, hat die besten Zeiten hinter sich.
Hinzu kommt die Demografie, die sich insbesondere in Deutschland ungünstig entwickelt. Im vergangenen Jahr waren so viele Stellen unbesetzt wie noch nie, und das war nur der Anfang. Bis 2040 werden etwa vier Millionen Menschen in Rente gehen, für die es kaum Ersatz gibt. Die Wirtschaft wird sich nicht nur daran gewöhnen müssen, freie Stellen monatelang nicht vergeben zu können.
>> Lesen Sie hier: Autobauer rücken vorsichtig von Investitionsplänen ab – Strompreise bringen Produktion in Gefahr
Nun kann man nicht sagen, dass all diese Krisen in Berlin oder Brüssel ignoriert werden. Bundesregierung und EU-Kommission haben in den vergangenen Jahren so viele Hilfspakete entwickelt, dass der Platz hier nicht reichen würde, sie alle aufzuzählen. Oft wird übersehen, dass die Europäer sogar mehr Geld für den Umbau der Industrie ausgeben als die Amerikaner. Und doch sieht es so aus, als ob die USA viel schneller durch die Krise kommen als die Europäer.
Die Hilfspakete der Regierungen wirken allenfalls kurzfristig
Das liegt auch an einem grundlegenden Missverständnis in Europa: Die Wirtschaft braucht nicht in erster Linie neue Subventionspakete, sondern eine Standortstrategie, eine Antwort auf die Frage, warum Firmen auf dem Kontinent Europa investieren sollten und nicht in den USA oder eben China. Die Stützungspakete der Politik steigern kurzfristig den Konsum und damit auch das Wachstum, das Wachstumspotenzial der Wirtschaft aber steigern sie nicht.
Die Geschichte der Beziehungen von Wirtschaft und Politik in Europa ist ohnehin eine lange Geschichte von Missverständnissen. Während in den USA Politik und Wirtschaft oft an einem Tisch sitzen, Probleme gemeinsam diskutieren, reden sie in Deutschland allzu oft aneinander vorbei. Das liegt auch daran, dass der Austausch zwischen der Bundesregierung und Unternehmen weniger gepflegt wird.
Die Geschichte der Beziehungen von Wirtschaft und Politik in Europa ist eine lange Geschichte von Missverständnissen.
Es gibt zwar offizielle Gipfel im Kanzleramt, bei denen sich zum Beispiel die Automobilbranche trifft. Oder themenbezogene Runden im Wirtschaftsministerium. Und es gibt die Ministerreisen, bei denen oft auch Vertreter der Wirtschaft dabei sind. Aber regelmäßige, halboffizielle Runden, in denen offen gesprochen wird, gibt es in Deutschland kaum.
Die USA machen vor, wie Wirtschaft und Politik einander verstehen
Ganz anders ist das in den USA. Hier treffen sich die Spitzenkräfte der großen Konzerne regelmäßig mit Mitgliedern der Regierung, um die wichtigsten wirtschaftspolitischen Themen zu diskutieren. Dabei fragt zum Beispiel das US-Außenministerium die Konzernchefs durchaus unverblümt, wie die US-Regierung den Unternehmen helfen kann, international erfolgreich zu sein, berichtet einer, der regelmäßig dabei ist.
Einen solchen halboffiziellen Austausch auf Augenhöhe bräuchte es in Berlin und Brüssel auch. Weniger um die Gegenseite zu beeinflussen, wie es solchen Runden mitunter unterstellt wird. Sondern um gegenseitiges Verständnis zu schaffen.
Die Probleme – vom Fachkräftemangel über Handelskonflikte bis zu technologischen Standortfragen – sind so komplex, dass sie weder die Politik noch die Wirtschaft allein lösen kann. Und wer weiß, vielleicht wird genau aus so einer Runde dann ein neues Projekt der Zuversicht.
Mehr: Die fetten Jahre für den Standort Deutschland sind vorbei