Düsseldorf Computer- und Videospiele bleiben in Deutschland stark gefragt. Nach hohen Zuwächsen während der Pandemie legte der Umsatz auch 2022 um ein Prozent auf rund 9,9 Milliarden Euro zu, wie der deutsche Branchenverband Game am Mittwoch mitteilte. Das ist mehr, als in Deutschland mit Filmen, Büchern und Musik erwirtschaftet wird – den Angeboten, die mit Spielen um die verfügbare Freizeit konkurrieren und gleichzeitig die höchsten Schnittmengen aufweisen.
Auch demografisch rücken die Gamer weiter in die Mitte der Gesellschaft, wie aus den Verbandszahlen auf GfK-Basis hervorgeht. So machen Frauen fast die Hälfte aus, das Durchschnittsalter liegt inzwischen bei 37,5 Jahren, und 80 Prozent der Spielenden sind älter als 18 Jahre.
Trotz der für die Branche guten Zahlen gibt es ein Problem: Nur ein Bruchteil der Erlöse fließt nach Deutschland. In der Vergangenheit seien es weniger als fünf Prozent gewesen, sagt Verbandschef Felix Falk. Im vergangenen Jahr sei die Zahl gar nicht mehr erhoben worden. Das Geschäft machen große japanische Unternehmen wie Sony, Nintendo oder Bandai Namco, auch in die USA (EA, Activision Blizzard, Microsoft, Take Two) fließen große Teile.
Deutsche Games nicht in Reichweite von „Call of Duty“, „Fifa“ oder „Pokémon“
Falk spricht in Bezug auf Deutschland von einer „mittelständischen Prägung“. So gibt es abseits der Vertriebsmaschinerien der Großkonzerne durchaus unabhängige deutsche Spiele, die für gute Kritiken und Achtungserfolge sorgen. Mit der Gamescom hat Deutschland auch eine internationale Leitmesse für Gaming und Popkultur, samt Einflüssen von Comics, Anime und Manga.
Allein die „Blockbuster“ fehlen – Spiele, die auf dem internationalen Markt die Verkaufscharts dominieren. Das waren im vergangenen Jahr unter anderem die Fußballsimulation Fifa, die Kriegsspielreihe „Call of Duty“, die neuesten Pokémon-Ausgaben und das Rollenspiel „Elden Ring“.
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Ganz Europa hat große Schwierigkeiten, in dieser Hightech-Branche den Anschluss zu halten. Selbst der größte europäische Hersteller Ubisoft, der einen Standort in Düsseldorf unterhält, hat nur wenige solcher planbaren Blockbuster im Angebot. Das macht Deutschland in der aktuellen Konsolidierungswelle der Branche, angeführt vom kartellrechtlich umstrittenen Kauf von Activision Blizzard durch Microsoft, ausschließlich zum Ziel – nicht zum Akteur.
Hoffen für den heimischen Standort lässt Verbandschef Falk die Entwicklung in Polen. Dort ist aus dem Spieleentwickler CD Red ein international erfolgreicher Anbieter geworden, „The Witcher“ wurde über die gleichnamige Netflix-Serie zum Popkultur-Phänomen.
„Wir sehen das Potenzial für Blockbuster“, sagt Falk. „Allerdings ist es ein weiter Weg in die internationalen Top fünf“. Der Verband setzt daher große Hoffnungen auf die Games-Förderung des Bundeswirtschaftsministeriums. Nach einigen Querelen um einen Antragsstopp um den Jahreswechsel herum sind für das laufende und die kommenden Jahre jeweils 70 Millionen Euro vorgesehen, „durch überparteilichen Einsatz“, wie Falk betont.
Games-Markt stabil auf hohem Niveau – Games-Förderung soll langfristig helfen
Im eigenen Strategiepapier des zunächst auf fünf Jahre angelegten Förderkonzepts beziffert der Verband den Bedarf sogar auf 100 Millionen Euro jährlich. „Die Fördermittel werden zunehmend ausgeschöpft, das Fördervolumen muss mit den Projektvolumina mitwachsen“, erneuerte Falk am Mittwoch die Forderung nach mehr Mitteln.
Schon jetzt steigt die Zahl der Gründungen – Falk spricht von einem Viertel mehr – und der geschaffenen Jobs. Im vergangenen Jahr waren in der Branche mehr als 11.000 Menschen in mehr als 780 Unternehmen beschäftigt.
Die Umsätze wachsen dabei nicht mehr so stark wie während der Coronapandemie. Gerade bei Hardware, also Computern, Konsolen sowie Zubehör, sind die meisten Verbraucher aktuell noch versorgt. Ein Fakt, der auch die Wachstumsraten von Computerherstellern drückt.
Gaming ist kein reines Jugendphänomen mehr.
(Foto: Game-Verband)
Falk sieht deutsche Entwicklungsstudios und Publisher allerdings vor einem Sprung, wenn die Fördermittel die Produktion anschieben. Aktuell würden Daten zum Fördereffekt erhoben: „Die Auswirkungen werden wir aber erst noch sehen, ein Spiel braucht mehrere Jahre Entwicklung bis zum Verkauf“, sagt er.
Langfristig will der Verband ohnehin einen anderen Weg für Deutschland. „Der Großteil der internationalen Gaming-Standorte arbeitet mit Steuererleichterungen als Förderung“, erklärt Falk, „und das fordern wir auch.“ Als Erfolgsbeispiel nennt er Frankreich, wo auf einen Euro Förderung 1,80 Euro Steuereinnahmen und acht Euro private Investitionen kämen.
In-Game-Käufe und Handyspiele werden wichtiger – „Silvergamer“ gefragt
Der Blick auf die Umsatzentwicklung zeigt aber auch, dass sich die Einnahmen der Branche zunehmend von reinen Spiele- und Hardware-Verkäufen entkoppeln. Ein entscheidender Umsatztreiber sind sogenannte In-Game-Käufe, in einem Spiel erworbene digitale Zusatzinhalte wie neue Outfits für Spielfiguren. 5,5 Milliarden Euro machen diese Käufe im deutschen Markt aus, bei Spielen für Mobilgeräte stehen diese Zahlungen für 99 Prozent des Umsatzes.
Für Spielentwickler sind das keine schlechten Nachrichten: Das Hamburger Unternehmen Innogames etwa, aktuell größter deutscher Entwickler, hat so mit vergleichsweise wenig Spielen über mehrere Jahre inzwischen die Umsatzmilliarde überschritten.
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Ein Trend sind auch nach wie vor Cloud-Dienste, selbst wenn zuletzt Google und die Telekom ihre Versuche eingestellt haben. Dafür mühen sich Amazon und Netflix, Spieler als Kunden zu gewinnen. Und auch einzelne Hersteller wie Microsoft, Sony, aber auch der Grafikkartenproduzent Nvidia versuchen, Spieler in Abomodelle zu lenken.
Potenzial ist im deutschen Markt auf jeden Fall reichlich vorhanden. Laut GfK-Daten spielen 58 Prozent der Sechs- bis 69-Jährigen, wobei die „Silvergamer“ genannten älteren Spieler gerade im Mobilmarkt immer wichtiger werden.
Eine repräsentative Umfrage des Marktforschers Appinio sieht den Anteil der Spieler in Deutschland sogar noch höher: Demnach spielen 86 Prozent der Erwachsenen zumindest ab und zu, 43 Prozent jeden Tag. Beliebteste Plattform auch dieser Erhebung zufolge: das Handy, mit 83 Prozent.
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