„Wir haben enorme Kostenvorteile gegenüber den Wettbewerbern erreicht“, sagte Michael O’Leary, CEO der Gruppe, am Montag: „Wir sehen einen starken Umbruch in der europäischen Luftfahrt zugunsten von Ryanair.“
Keine Frage: Ryanair soll weiterwachsen. Rund 10.000 neue Stellen will die Airline in den kommenden Jahren im Cockpit, in der Kabine und am Boden schaffen. Mit bald 600 Flugzeugen in der Flotte und dem Ziel, 2026 bis zu 225 Millionen Passagiere und 2034 sogar 300 Millionen Gäste jährlich zu befördern, enteilt der Billiganbieter der europäischen Konkurrenz immer stärker. Das gilt auch beim Profit, wie Alex Irving von Bernstein Research in einer aktuellen Studie prognostizierte. Ryanair werde von einer reinen Wachstumsaktie zu einem Papier mit einer hohen Ausschüttung.
Zwar litt Ryanair wie alle Fluggesellschaften stark unter der Pandemie und den immer neuen Reisebeschränkungen, die in den fast drei Jahren erlassen wurden. Doch einige Zahlen demonstrieren, wie stark die Fluggesellschaft mittlerweile wieder ist. Ryanair beförderte zwischen Januar und Dezember 2022 rund 160 Millionen Fluggäste. Keine andere europäische Fluggesellschaft kam auch nur annähernd auf so eine Zahl.
Die Nummer zwei, die Lufthansa-Gruppe, schaffte 102 Millionen Passagiere. Selbst wenn die umworbene italienische ITA und die portugiesische TAP schon zur Gruppe gehören würden und man auch die ebenfalls als Übernahmekandidat gehandelte skandinavische SAS einrechnen würde, wäre der Konzern nur auf rund 144 Millionen Fluggäste gekommen.
Ryanair ist so groß wie das Vorbild Southwest
Bezogen auf die Passagierzahl ist Ryanair mittlerweile genauso groß wie Southwest, das amerikanische Vorbild O’Learys. Schafft es der verbal stets aggressiv auftretende Airlinemanager, die Zahl der Fluggäste bis 2026 auf 225 Millionen zu steigern, wäre das nicht nur in Europa ein neuer Spitzenwert.
Selbst die Branchenriesen in den USA – einem der größten Luftfahrtmärkte der Welt – haben bisher noch nie die Grenze von 220 Millionen Passagieren gerissen. Den bisherigen Rekord hatte American Airlines im Jahr 2019 mit 215 Millionen Flugästen erreicht. Lufthansa schaffte im gleichen Jahr den konzerneigenen Bestwert von 145 Millionen Fluggästen.
Nun haben solche Verkehrszahlen eine begrenzte Aussagekraft. Entscheidend ist, wie gut eine Fluggesellschaft an ihren Kundinnen und Kunden verdient. Auch in diesem Punkt könnte Ryanair nach Ansicht von Branchenanalyst Irving bald neue Maßstäbe setzen.
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Zwar gehen die Wachstumsraten etwas zurück, wie selbst O’Leary am Montag einräumte. Nach seinen Worten wird das Unternehmen nicht mehr zweistellig wachsen wie in früheren Jahren. Aber eine jährliche Rate von etwa sechs Prozent sei auch mittelfristig möglich, so O’Leary.
Zudem, erklärt Bernstein-Analyst Irving, erreiche das Unternehmen eine Größe, die es ihm ermögliche, mehr Geld zu erwirtschaften. Dabei helfen hohe Ticketpreise. Ryanair erwartet, dass das Angebot in Europa noch mindestens für vier weitere Jahre knapp bleiben wird – und Fliegen damit vorerst teurer. Ein Grund sind die Probleme der Flugzeughersteller, neue Maschinen fristgerecht zu liefern.
Dagegen habe Ryanair mit dem Megaauftrag für Boeing vorgesorgt, so O’Leary. Das Unternehmen hat mehr Flugzeuge bestellt, als die Airline für die Erneuerung der Flotte benötigt. Die aktuell eingesetzten Flieger sind in zwei Wellen zwischen 2004 und 2012 sowie 2015 und 2018 in die Flotte gekommen. Bei den ersten dieser Flugzeuge steht die nächste große Wartung an.
Die Fluggesellschaft kaufte kürzlich 300 neue Jets des Typs Boeing 737 Max, davon 150 als Option.
(Foto: Reuters)
Dieser sogenannte D-Check ist je nach Flugleistung alle sieben bis acht Jahre fällig. Dabei wird die Maschine weitgehend zerlegt. Das kostet rund eine Million Dollar pro Flugzeug, das zudem für Monate ausfällt. Es ist naheliegend, dass Ryanair sich bei Flugzeugen mit einem Alter von gut 20 Jahren diesen erneuten D-Check sparen wird.
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Der Grund: Kern der Strategie von Billiganbietern ist es, die Jets mit der maximalen Produktivität einzusetzen. Gemessen wird diese üblicherweise in Blockstunden, der Einsatzzeit zwischen dem Lösen der Parkblöcke vor dem Start und dem Wiederanlegen dieser Blöcke nach der Landung. Ryanair kommt laut Irving auf elf Blockstunden pro Jet und Tag, Lufthansa auf neun. Erzrivale Wizz Air aus Ungarn schafft sogar zwölf Stunden.
Ein älterer Jet, der häufiger ausfällt, passt nicht in diese Strategie. Die Ryanair-Führung um O’Leary geht deshalb davon aus, dass rund die Hälfte der neu bestellten Flugzeuge älteres Gerät ersetzen wird. Der Rest sei für Wachstum gedacht.
Die neuen Jets sind größer und effizienter
Hinzu kommt: Ryanair hat die 737 Max 10 bestellt. Sie bietet gegenüber den bisher eingesetzten 737-8200 gut 30 Sitze mehr Platz. Zudem ist der Jet deutlich sparsamer. Das hilft, die Betriebskosten weiter zu senken, die in der Luftfahrt üblicherweise mit dem Wert „CASK“ erfasst werden, den Kosten pro Sitz und geflogenem Kilometer. Ryanair selbst rechnet hier mit einer Kostenreduktion von rund zehn Prozent.
Mit diesen Daten kann nun kalkuliert werden. Die Sachinvestitionen inklusive der Flugzeuganschaffungen kalkuliert Irving mit jährlich zwei bis 2,5 Milliarden Euro. Gleichzeitig sei Ryanair mit einer Flotte von 600 Flugzeugen in der Lage, mit dem operativen Geschäft jährliche Mittel in Höhe von vier bis 4,5 Milliarden Euro zu erzielen. Abzüglich der Sachinvestitionen ergibt das einen freien Mittelzufluss (freier Cashflow) von rund zwei Milliarden Euro pro Jahr.
Diese Mittel, so hofft es jedenfalls Irving, könnten zu einem großen Teil den Investoren und Aktionären zugutekommen. Denn hohe Schulden hat Ryanair nicht zu tilgen – aus dem am Montag vorgelegten Jahresabschluss geht hervor, dass das Unternehmen mehr liquide Mittel hat als Schulden (Finanz- plus Leasingverbindlichkeiten). Die sogenannte Nettofinanzposition belief sich Ende März 2023 auf rund 560 Millionen Euro.
Zwar sagte O’Leary, dass Übernahmen für Ryanair eine grundsätzliche Option seien. Allerdings steht das Management diesem Thema eher skeptisch gegenüber, große Summen werden hier also wohl nicht gebraucht. Aktienrückkäufe in größerem Umfang seien eher unwahrscheinlich, erklärte der Ryanair-Chef, stellte dafür aber eine angemessene Dividende in Aussicht.
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