Die Analyse umfangreicher Dokumente bindet bei den Kanzleien derzeit viele Kapazitäten.
(Foto: IMAGO/MASKOT)
Düsseldorf Harvey mischt den Markt der Rechtsanwälte und Steuerberater auf: Die Beratungs- und Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PwC und die zugehörige Anwaltsfirma PwC Legal und die Großkanzlei Allen & Overy haben sich vor einigen Wochen den globalen Zugang zu einem der spannendsten Start-ups für sogenannte Legal-Tech-Anwendungen aus den USA gesichert. Worum geht es?
Die Ausgangssituation: Große Mengen komplexer Texte
Zur Routineaufgabe von Juristen und Steuerberatern gehört es, große Mengen komplexer Texte und Daten zu analysieren. Es kann dabei um Verträge, die Einhaltung gesetzlicher Vorschriften, das Forderungsmanagement oder die sogenannte Due Diligence bei Transaktionen gehen. Die Dokumente sind umfangreich und dabei zumeist in juristischer Fachsprache verfasst.
Ferner gehört es zu den Kernaufgaben von Juristen, mit Gesetzestexten, Verwaltungsanweisungen und Urteilen zu arbeiten. Ständig ergeben sich Neuerungen, gerade im regulatorischen Umfeld. Es ist eine große Herausforderung für Anwälte und Steuerexperten, sich dieses Wissen anzueignen und es für den Mandanten nutzbar zu machen.
Die Lösung: KI verhilft zu mehr Effizienz
Das Start-up Harvey AI aus San Francisco hat eine Software entwickelt, die auf der Technologie von OpenAI und ChatGPT basiert. Die Künstliche Intelligenz (KI) versteht die Sprache der Juristen und kann für sie relevante Daten analysieren und auswerten.
„Durch die Verbindung menschlicher Expertise mit der Kraft von KI-Technologie können wir innovative Lösungen entwickeln und unseren Kunden einen bedeutsamen Mehrwert bieten“, sagt Björn Viebrock, Mitglied der Geschäftsführung und Leiter Tax & Legal bei PwC Deutschland.
Dieser Text ist Teil des großen Handelsblatt-Spezials zur Künstlichen Intelligenz. Sie interessieren sich für dieses Thema? Alle Texte, die im Rahmen unserer Themenwoche schon erschienen sind,
finden Sie hier.
Mit Allen & Overy setzt auch eine globale Großkanzlei auf Harvey. „Wir haben früh gesehen, dass Tech-Lösungen nicht etwa nur Marketingmaßnahmen sind, sondern selbst zum Kanzleiumsatz beitragen könnten, da sie bei den Mandanten echten Mehrwert geschaffen haben“, sagt Alexander Behrens, bei dem das Thema in Deutschland angesiedelt ist.
Deshalb habe die Kanzlei frühzeitig ein Team aus Juristen und IT-Experten gebildet, das die Entwicklung vorantreibt. Behrens sieht Allen & Overy als Vorreiter. So sei es nur folgerichtig, dass man die Kooperation geschlossen habe und auch an weiteren KI-Lösungen arbeite.
>> Lesen Sie auch: Künstliche Intelligenz hält Einzug in Wirtschaftskanzleien
Harvey ist bei Allen & Overy schon im Einsatz in der Mandatsarbeit und hilft vor allem bei der Recherche zu juristischen Themen. Die Effizienzgewinne seien bereits messbar, sagt Behrens. Im Durchschnitt spare jeder Anwalt der Kanzlei mehrere Stunden Arbeit pro Woche.
Doch das ist laut Behrens erst der Anfang. Harvey und andere KI-Lösungen entwickeln sich weiter. Es sei zu erwarten, dass die KI schon bald auch bei der Erstellung erster Vertragsentwürfe und der Auswertung von Dokumenten für Untersuchungen praktisch eingesetzt werden könne. „Wir arbeiten daran, dass die KI unser eigenes Wissen bei der Vertragserstellung nutzbar macht“, sagt Behrens.
Der Ausblick: Harvey dürfte Konkurrenz bekommen
PwC will viel Geld in die Hand nehmen, um das Thema Künstliche Intelligenz voranzutreiben. Harvey ist dabei nur ein Baustein. Kurz nach dem Deal verkündete die Firma, dass sie mit dem Tech-Riesen Microsoft kooperieren wird. In den kommenden drei Jahren will PwC eine Milliarde Euro in KI investieren.
„Wir stehen an einem Wendepunkt in Wirtschaft und Gesellschaft. KI wird die Art und Weise, wie wir arbeiten, leben und interagieren, in großem Umfang revolutionieren“, sagte PwC-Vizechef Mohamed Kande.
>> Lesen Sie auch: Bei PwC dürfen Bewerber ihr Vorstellungsgespräch bald als Computerspiel-Figur führen
Ob in Zukunft damit weniger Anwälte benötigt werden, sei aber noch völlig offen, sagt Alexander Behrens von Allen & Overy. „Die KI wird sicher unsere Arbeit verändern. Bestimmte Aufgaben werden wegfallen, andere werden sich ändern, aber es werden sicher auch neue hinzukommen, sofern man über die entsprechenden Kompetenzen verfügt.“
Noch gibt es das Problem, dass viele juristisch relevante Dokumente nicht frei verfügbar sind. Doch einige juristische Fachverlage haben bereits angekündigt, an einem Chatbot zu arbeiten. Harvey, so viel ist sicher, wird schon bald viel Konkurrenz bekommen.
Mehr: Wie Legal Tech die Anwaltsbranche verändert