New York, Boston Caroll Neubauer hat keinen Zweifel: „Deutschland ist derzeit sehr interessant“, sagt der Chefberater der US-Beteiligungsgesellschaft Waterstreet, der in Deutschland nach Investitionsmöglichkeiten sucht. Waterstreet ist auf Pharma, Biotech und Medizintechnologie spezialisiert und hat nach eigenen Angaben von insgesamt sechs Milliarden Dollar schon heute eine Milliarde in Europa investiert, das meiste davon in Deutschland.
„Wir waren noch nie so aktiv in Europa und Deutschland wie jetzt. Wir suchen nicht nach Restrukturierungsfällen, sondern nach Wachstumsunternehmen“, betont Neubauer. Einen großen Teil eines neuen Fonds in Höhe von 1,4 Milliarden Dollar will Waterstreet in Deutschland investieren.
Ähnlich positiv blickt auch Amir Nashat vom Bostoner Wagniskapitalgeber Polaris Partners auf Deutschland. „Es gibt sehr viel gute Forschung in Deutschland“, ist Nashat überzeugt. Er hat schon mehrfach in Deutschland investiert, zuletzt zweistellige Millionenbeträge in die Firma Dewpoint Therapeutics aus Dresden. Dewpoint ist auf Zelltherapie spezialisiert und beschäftigt rund 40 Wissenschaftler in Deutschland und fast 100 in Boston.
Demnächst will Nashat in ein weiteres deutsches Unternehmen investieren, das sich auf die Gehirnforschung spezialisiert und ebenfalls zwei Sitze diesseits und jenseits des Atlantiks hat – in Berlin und in Colorado. Der Name ist noch geheim.
Das Interesse der Amerikaner fällt in eine Zeit, in der die deutschen Unternehmen die Finanzierung von außen dringend nötig haben. Während in der Pandemie Milliarden Dollar geflossen waren und der Ruhm von großen Namen wie Biontech und Curevac auf die ganze Branche strahlte, sind die Finanzierungen im Jahr 2022 laut dem Verband Bio Deutschland auf ein Drittel gegenüber dem Boomjahr 2020 gefallen. Börsengänge gab es keine.
Zell- und Gentherapie und Plattformunternehmen bleiben interessant
Oliver Eitelwein, Partner der internationalen Strategieberatung Oliver Wyman, analysiert: „Die Bewertungen von Biotech- und Digital-Health-Unternehmen sind weltweit und auch in Deutschland massiv eingebrochen nach ihrem Boom während der Pandemie.“ Auch wenn die Finanzierungen zuletzt stark zurückgegangen seien, könne sich die Situation aber „schnell wieder drehen“, glaubt Eitelwein. „Ich sehe hier keinen richtigen Crash.“ Zell- und Gentherapie-Start-ups blieben für die Zukunft interessant, „und da hat auch Deutschland einiges zu bieten“, sagt der Berater.
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Lukrativ könnten neben der mRNA-Technologie auch Gensequenzierung und die sogenannte „Liquid Biopsy“ sein, bei der mit Blut- oder Stuhlproben zum Beispiel Krebs im Frühstadium erkannt werden kann. „Da gibt es auch in Deutschland interessante Unternehmen“, sagt Eitelwein.
Julie Grant ist ausgebildete Biochemikerin und Partnerin des Biotech-Wagniskapitalgebers Canaan in Kalifornien. Dort investiert sie in Start-ups mit neuen Therapieansätzen. Grant war auch zum Start der „Cancer Moonshot“-Initiative von US-Präsident Joe Biden zur Beschleunigung der Krebsforschung eingeladen. In wenigen Wochen fliege sie erneut nach Frankfurt, um sich potenzielle Investmentziele anzuschauen, sagt Grant.
„Wir arbeiten mit einem hervorragenden Netzwerk von Wissenschaftlern in Deutschland zusammen, unter anderem im Umfeld des Deutschen Krebsforschungszentrums in Heidelberg“, so Grant. Sie sieht Biotech in einem zweijährigen Bärenmarkt: „Aktuell liegen mehr als 50 Prozent der kleinen Biotech-Unternehmen unter ihrer letzten Bewertung. Vielen geht das Cash aus.“
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Ein Teil des Problems sei, dass weltweit viele Investoren mit Beginn der Covidpandemie 2020 verzweifelt versucht hätten, Geld anzulegen. Daher sei viel Geld in den Biotech-Markt geflossen, auch in weniger aussichtsreiche Unternehmen. „Nun sehen wir einen dramatischen Umfang an Konsolidierungen und Entlassungen.“
Wagniskapitalgeberin: Deutschland hat solide, unterbewertete Unternehmen
Grant glaubt jedoch, dass in diesem Jahr Start-ups mit soliden Bilanzen, die lebensverändernde Medikamente in der Entwicklung haben und über eine gute Datenbasis für ihre Forschungsanstrengungen verfügen, Oberwasser bekommen. „Viele dieser Start-ups sind unterbewertet, und viele davon kommen aus Deutschland.“ Hierzulande gebe es Spitzenforschung und „junge Unternehmen von erfahrenen Managern mit einer enormen Zahl an Talenten“, so Grant.
Deutschen Biotech-Start-ups hilft dabei laut Grant 2023 ein simpler Trend, um auf das Radar von US-Investoren zu kommen: „Früher suchten Investoren oft nach Unternehmen, die nicht weiter als eine zweistündige Autofahrt entfernt waren. Aber in der Pandemiezeit haben wir alle gelernt, virtuell Kontakt zu halten. Das macht es viel bequemer, sich in anderen Weltregionen umzusehen.“
Während in der Pandemie Milliarden Dollar in Biotech-Firmen geflossen sind, stürzten die Finanzierungen im Jahr 2022 auf ein Drittel gegenüber 2020 ab.
(Foto: imago images/Wolfgang Maria Weber)
Neubauer von Waterstreet kommen die Finanzierungsprobleme im Biotech-Bereich bei seiner Suche entgegen: „Die Bewertungen kommen gerade wieder auf ein vernünftiges Niveau.“ Wenn Börsengänge nicht mehr so einfach seien und die Banken für ihre Kredite immer höhere Zinsen verlangten, dann könnten strategische Investoren wie Waterstreet für die Jungunternehmen interessanter werden, hofft Neubauer. „Wir werden derzeit sehr willkommen aufgenommen.“
Investoren helfen auf dem Weg in die USA
Auch Florian Wegener erwartet, dass 2023 angesichts der niedrigen Bewertungen „das Jahr der Akquisitionen“ wird. Der Ex-Qiagen-Mitarbeiter führt das Bostoner Start-up Zageno, eine Art „Amazon für Labormaterialien“. Zageno ermöglicht es Forschern, Vorprodukte für die medizinische Forschung so einfach zu ordern wie eine Bestellung im weltgrößten Onlinesupermarkt.
Viele innovative Firmen seien derzeit günstig zu haben. Zwar sei der Preis, der bei einem Exit – also dem Weiterverkauf oder dem Börsengang – in den USA erzielt werden könne, höher als in Deutschland. Aber dafür sei der Gewinn, der in Deutschland zu erzielen sei, häufig noch größer.
Der Einstieg von US-Investoren helfe den deutschen Start-ups, in den USA Fuß zu fassen. „Viele Unternehmer wollen internationaler werden oder stärker diversifizieren“, sagt Neubauer. „Wir können mit unserem Know-how helfen.“
Auch Investor Nashat von Polaris Partners ist überzeugt, dass Deutsche und Amerikaner voneinander profitieren. Die deutschen Biotech-Unternehmer seien extrem gründlich und zuverlässig. Aber die Amerikaner hätten das wirtschaftliche Ökosystem mit Expertise und Kapitalgebern an Orten wie Boston oder San Francisco.
Manchmal trommeln auch deutsche Politiker für ihre Unternehmen: Damit US-Investoren auf die deutschen Firmen wie in Dresden aufmerksam werden, ist etwa der sächsische Staatsminister für Wissenschaft, Sebastian Gemkow, jüngst eigens nach Boston gereist. Dort hat er sich unter anderem mit Nashat getroffen.
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