Berlin Zum ersten Mal seit der Bundestagswahl gibt es deutliche Verschiebungen in der Sonntagsfrage. Laut dem von Infratest dimap ermittelten ARD-„Deutschlandtrend“ verliert Kanzler Olaf Scholz massiv an Zustimmung. Auch die SPD fällt zurück.
Nach 60 Prozent im Vormonat überzeugt Scholz aktuell nur noch 43 Prozent (minus 17 Prozentpunkte) der Wahlberechtigten, die Hälfte (51 Prozent) äußert sich kritisch zur Arbeit des Kanzlers.
Scholz warfare in den vergangenen Tagen insbesondere wegen seiner Zurückhaltung in der Ukraine-Krise worldwide in die Kritik geraten. Erst nach langem Zögern legte er die umstrittene Gasoline-Pipeline Nord Stream 2 als mögliches Sanktionsinstrument auf den Tisch – und das auch nur verdeckt, ohne sie beim Namen zu nennen.
Gleichzeitig erteilte er Waffenlieferungen an die Ukraine eine klare Absage, was ihm nun von der Ukraine und östlichen Nato-Bündnispartnern übelgenommen wird. Auch in den USA werden Zweifel an der Verlässlichkeit Deutschlands laut.
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Das tagelange Schweigen des Kanzlers dazu hat in sozialen Medien die Frage aufgeworfen: „Wo ist Scholz?“ Vor allem über Twitter wurden Vermisstenanzeigen geschickt und wurde gefragt: „Hat er auch vergessen, dass er Kanzler ist?“ Am Mittwoch meldete er sich dann mit einem Interview im ZDF zurück.
Politikwissenschaftler nennt Gründe für den Einbruch
Der Bremer Politikwissenschaftler Lothar Probst führt den Umfrageeinbruch für Scholz darauf zurück, dass die Wählerinnen und Wähler zunächst große Hoffnungen in die Führungsqualitäten von Scholz gesetzt hätten. „Er wirkte im Wahlkampf kompetenter und führungsstärker als seine zwei Mitbewerber“, sagte Probst dem Handelsblatt. Jetzt stelle sich das Gegenteil heraus. „Er taucht oft ab und wenn er redet, monologisiert er und redet um den heißen Brei herum.“ Besonders deutlich sei das in Bezug auf die Ukrainekrise geworden.
Auch in der Pandemiebekämpfung hätten viele Wähler den Eindruck, dass die Regierung unter Scholz‘ Führung sich wegduckt oder um eine klare Positionierung herumdrückt. Die Union habe dagegen ihre Führungsfrage geklärt und sei dabei, sich unter dem neuen CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz neu aufzustellen und den Schulterschluss mit der Schwesterpartei zu suchen. „Dadurch gibt es eine Bewegung von der Mitte zurück zu Union“, erläuterte Probst.
Wo ist #OlafScholz ? Er wird sehnlichst vermisst. Hier ein Foto seiner letzten Sichtung:
Hinweise über seinen Aufenthalt bitte ans Kanzleramt. 🥺🙏#woIstScholz #Olaf #Scholz #Kanzler pic.twitter.com/gzioPXkXhp
— Herr Dings aus Ort (@herr_ort) February 1, 2022
Allerdings verliert nicht nur Scholz in der Wählergunst an Boden. Auch die meisten der anderen im „Deutschlandtrend“ abgefragten Kabinettsmitglieder sind mit deutlichen Popularitätsverlusten konfrontiert. Mit der Arbeit von FDP-Finanzminister Christian Lindner sind demnach 43 Prozent der Wahlberechtigten zufrieden (minus sechs Prozentpunkte). Grünen-Vizekanzler Robert Habeck verliert mit 39 Prozent (minus neun Prozentpunkte) binnen eines Monats ebenfalls deutlich an Zuspruch.
Die Liste der abgefragten Politiker führt im Februar Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) mit deutlichem Vorsprung an (59 Prozent; minus sieben Prozentpunkte), aber auch er wird kritischer gesehen als noch im Januar. Dahinter rangiert Grünen-Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (44 Prozent).
Baerbock gewinnt an Zustimmung
Ansehen gewinnen kann aus dem Kabinett Grünen-Außenministerin Annalena Baerbock (36 Prozent; plus vier Prozentpunkte). Der nun auch per Briefwahl bestätigte neue CDU-Vorsitzende Merz verbessert sich zum Vormonat (37 Prozent; plus fünf Prozentpunkte). Der Linken-Fraktionsvorsitzende Dietmar Bartsch überzeugt 17 Prozent (minus ein Prozentpunkt zu Dezember), AfD-Fraktionschefin Alice Weidel 14 Prozent (plus zwei Prozentpunkte zu Dezember).
In der Sonntagsfrage erlebt neben Scholz auch die SPD einen Einbruch. Wenn am nächsten Sonntag Bundestagswahl wäre, kämen die Sozialdemokraten auf 22 Prozent – ein Minus von vier Prozentpunkten. Die Sozialdemokraten liegen demnach damit erstmals seit August letzten Jahres wieder hinter der Union. Diese legte im Vergleich zum Vormonat um vier Punkte auf 27 Prozent zu.
Die Grünen verharren bei 16 Prozent. Die FDP büßte einen Prozentpunkt auf zehn Prozent ein. Die AfD gewann einen Punkt hinzu und liegt nun bei zwölf Prozent. Die Linken liegen unverändert bei fünf Prozent.
Die Verluste der SPD in der Sonntagsfrage gehen einher mit einer gestiegenen Unzufriedenheit mit der Arbeit der neuen Bundesregierung. Aktuell sind 38 Prozent (minus acht Prozentpunkte) der Befragten sehr zufrieden beziehungsweise zufrieden mit der Arbeit der Berliner Koalition; eine Mehrheit (57 Prozent, plus 20 Prozentpunkte) der Bundesbürger zeigte sich unzufrieden.
Der Politikwissenschaftler Probst sieht für die SPD indes Chancen, sich wieder aus dem Umfragetief herauszuarbeiten. „Wenn sie zu einer einheitlichen und klaren Place in der Ukraine-Frage findet und wenn die Omikron-Welle ausläuft, ohne schwere Folgeschäden zu hinterlassen, sowie wir in einen endemischen Zustand kommen, sodass die Regierung sich auf ihre eigentliche Kerntätigkeit entlang der Koalitionsvertrages konzentrieren kann, kann die SPD auch wieder dazugewinnen“, sagte er.
„Allerdings“, fügte Probst hinzu, „wäre es für sie ein großer Makel, wenn sie aufgrund ihrer gegenwärtigen Abwärtsbewegung bei den anstehenden Landtagswahlen in großen und wichtigen Bundesländern, etwa in Nordrhein-Westfalen, nicht den schon greifbaren und erwarteten Regierungswechsel bewerkstelligen kann.“
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