Stockholm Ein alter Mann auf einer Parkbank mit Rollator und traurigen Augen – das brachte Ole Kassow auf die Idee. „Der Mann hat mich an meinen Vater erinnert“, sagt Kassow. „Mein Vater warfare an MS erkrankt und saß im Rollstuhl“, erzählt der Däne. „Ich wurde schon im Alter von rund sechs Jahren sozusagen zu seinen Beinen. Ich verschaffte ihm Zugang zur Gesellschaft.“
Sein Vater habe unter der stark eingeschränkten Beweglichkeit sehr gelitten. Zumal er vor Ausbruch der Krankheit ein sehr erfolgreicher Geschäftsmann gewesen sei, viele Freunde gehabt habe und aktiv am gesellschaftlichen Leben teilgenommen habe, erinnert sich der heute 55-jährige Kassow. Sein Vater ist mittlerweile verstorben und Kassow wurde zu einem erfolgreichen IT-Spezialisten.
2012 warfare Kassow mit dem Fahrrad auf dem Weg zu seinem Büro in Kopenhagen, als er den alten Mann auf der Parkbank neben dem Rollator sitzen sah. „Er sah sehr einsam aus“, erinnert sich Kassow. So entstand die Idee, die Organisation „Biking With out Age“ zu gründen.
In der Fahrradmetropole Kopenhagen reifte der Plan, Lastenräder in Rikschas umzubauen. Vorn, über den beiden Vorderrädern, konnten zwei Senioren Platz nehmen, hinten half ein kleiner Elektromotor dem „Piloten“, wie die ehrenamtlichen Fahrradfahrer genannt werden, beim Fahren.
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Seine erste Tour unternahm Kassow mit einer über 80-jährigen Heimbewohnerin. „Am nächsten Tag rief das Heim an und fragte: ‚Was hast du mit der Dame angestellt? Sie ist ganz aus dem Häuschen, hat allen Mitbewohnern von der tollen Tour erzählt. Jetzt wollen die auch mit dir fahren.‘ So fing es an“, sagt Kassow lachend.
Die Rikschafahrten wurden zu einer weltweiten Bewegung
Zehn Jahre später ist aus der Initiative eines Einzelnen eine weltweite Bewegung geworden. „Biking With out Age“ gibt es mittlerweile in 52 Ländern. 3700 Rikschas und ihre 35.000 Piloten haben bislang rund 2,5 Millionen Senioren und Menschen mit eingeschränkter Mobilität aus allen Kontinenten ein wenig glücklicher gemacht. „Die Senioren sind wirklich completely satisfied“, sagt Kassow. Und er weiß auch, warum: „Es ist die Kommunikation der Senioren mit dem Fahrer. Sie sitzen alle dicht beieinander und können sich unterhalten.“
Und dann sei da natürlich auch die Langsamkeit, das langsame Dahinrollen, das die Senioren genießen würden. Unterschiedliche Generationen würden zusammenkommen. „Oft wollen die Senioren Orte mit der Rikscha besuchen, die sie noch von früher kennen“, erzählt Kassow.
Das Ziel des 55-Jährigen ist es, einen sozialen Wandel für Senioren und Menschen mit eingeschränkter Mobilität herbeizuführen. Schließlich gebe es „ein Recht auf Wind in den Haaren“. Sein Traum ist, dass irgendwann in jedem Alters- und Pflegeheim eine Rikscha steht.
Der Weg dahin magazine noch lang sein, doch die Organisation ist schnell gewachsen. „Und zwar organisch“, betont Kassow. „Wir haben das ganz ohne Werbung geschafft.“ Viele Menschen, die die Idee intestine finden, haben Bilder in sozialen Netzwerken gepostet und ihren Freunden davon erzählt.
Serie: Social Entrepreneurship
Mehrere Universitäten in Dänemark, Schottland und den USA führen derzeit Studien durch, die die Effekte der Arbeit von „Biking With out Age“ untersuchen. Erste Ergebnisse hätten bereits gezeigt, dass das Rikschafahren einen positiven Einfluss auf die Gesundheit der Senioren habe, so Kassow. Bestätigt wird das von einem Altersheim in Kaltenkirchen in Schleswig-Holstein, wo Rikschafahrten seit vergangenem Herbst angeboten werden. „Unsere Senioren finden das wirklich toll“, sagt eine Mitarbeiterin.
Ole Kassow hat für „Biking With out Age“ seinen Job als IT-Experte und Berater aufgegeben. Heute arbeitet der Däne mit einem Masterabschluss in Literatur, Wirtschaft und Sprachen Vollzeit für die Organisation. Er habe immer schon sozial arbeiten und etwas verändern wollen. Und als sich die Möglichkeit bot, die Organisation zu gründen, habe er nicht lange darüber nachgedacht.
25 fest angestellte Mitarbeiter
Mittlerweile sind sechs Leute in Kopenhagen fest angestellt, weltweit etwa 25. Finanziert wird die Organisation durch Spenden und Beiträge von Stiftungen und Gemeinden. Wichtig für die Organisation sei vor allem die Arbeit von „Copenhagen Cycles“, sagt Kassow. Das Non-Revenue-Unternehmen wurde ebenfalls von dem Dänen gegründet und verkauft die Rikschas. Alle Gewinne des Unternehmens gehen an die Organisation.
Das Unternehmen „Copenhagen Cycles“ ist außerdem bei der Auswahl der unterschiedlichen Rikschas behilflich, kann bei der Finanzierung und beim Transport helfen. „Mehrere Hilfsorganisation unterstützen uns beim Transport der Rikschas zum Beispiel nach Afrika“, berichtet Kassow. Es sei notwendig gewesen, neben der Organisation „Biking With out Age“ auch das Unternehmen „Copenhagen Cycles“ zu gründen. „Eine Financial institution wird normalerweise keinen Kredit an eine Organisation vergeben, an ein Unternehmen schon“, begründet Kassow die Bildung des Sozialunternehmens.
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Außerdem wollte er die umfangreiche Arbeit mit den vielen lokalen Abteilungen in aller Welt, den sogenannten Chapters, und dem Verkauf der Rikschas voneinander trennen. Kassow betont aber, dass man die Rikschas nicht über „Copenhagen Cycles“ kaufen muss. „Das kann man auch beim lokalen Händler. Wir bieten nur eine Possibility.“
Es sei ganz einfach, eine lokale Abteilung, ein Chapter, zu gründen, sagt Kassow. „Oftmals dauert es nur wenige Tage, bis die neue Organisation gebildet ist.“ Danach benötige man ein bis drei Monate, bis die Finanzierung der ersten Rikscha geklärt ist.
„Wir haben versucht, das so unkompliziert wie möglich zu gestalten“, sagt Kassow, „und wir helfen bei allen wichtigen Fragen, seien es rechtliche Dinge oder sei es auch dabei, wie man Piloten rekrutiert.“
Neue Wege in der Coronapandemie
Die Coronapandemie hatte natürlich Auswirkungen auf die Organisation. „Die Senioren und auch die Piloten waren sehr frustriert“, berichtet Kassow. „Aber wir haben schnell neue Ideen entwickelt. Wir haben beispielsweise die Rikschas benutzt, um für die Senioren einzukaufen.“ In einigen Altersheimen radelten auch statt der Piloten die geimpften Mitarbeiter mit den Senioren. „Viele lokale Organisationen waren sehr kreativ.“
Jetzt hofft der Däne, dass seine Organisation schnell wieder den Normalbetrieb aufnehmen kann. Und dann ist da noch etwas: Der Passion-Brotbäcker, begeisterte Fahrradfahrer und Eisenbahn-Fan hat noch einen großen Traum. „Ich möchte einmal mit der Transsibirischen Eisenbahn bis nach Wladiwostok reisen. Irgendwann werde ich das noch machen“, sagt er. „Ganz ohne Fahrrad.“
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