SAP und der Mittelstand, das waren lange unterschiedliche Welten. Hier der Dax-Konzern mit seiner für Großunternehmen konzipierten umfassenden Softwarelösung, dort kleine und mittelgroße Unternehmen mit begrenzten Ressourcen und besonderen Bedürfnissen. Ein Perfect Match sieht anders aus.
Doch jetzt unternimmt Europas wertvollster Tech-Konzern einen neuen Anlauf, Mittelständler für sich zu begeistern: Grow with SAP heißt das im März vorgestellte Produktpaket, das sich an Firmen ab 500 Mitarbeitern wendet und ihnen praktisch ein komplettes Betriebssystem verspricht – und den Weg in die Cloud.
Dass ein Gigant wie SAP seine Liebe zum Mittelstand entdeckt, hat einen einfachen Grund: Der Bedarf an IT-Dienstleistungen kleiner und mittelgroßer Unternehmen wächst rasant, gleichzeitig sind viele lokale Dienstleister, die bislang Firmen vom Handwerksbetrieb bis zum regionalen Industrieunternehmen bedienten, von der technischen Entwicklung überfordert.
Denn auch für den Mittelstand liegt die Zukunft in der Cloud, was für viele Betriebe eine immense Herausforderung darstellt.
Der Umsatz mit Cloud-Computing hat sich weltweit von 2019 bis 2022 auf knapp 491 Milliarden US-Dollar verdoppelt, doch viele Mittelständler bewegen sich immer noch in der alten Welt von Servern und Desktop-PCs. Selbst viele IT-Verantwortliche in den Unternehmen tun sich nach wie vor schwer mit der Vorstellung, Daten und Anwendungen im virtuellen Raum zu speichern.
In einer Studie der IT-Beratung Techconsult gaben 43 Prozent der befragten Mittelständler an, aus Sorge vor einer Abhängigkeit von großen Anbietern wie AWS (Amazon), Azure (Microsoft) oder Google vor einer eigenen Cloud-Strategie zurückzuschrecken. 35 Prozent fürchten Schwierigkeiten beim Management, 31 Prozent beklagen fehlendes Know-how im eigenen Unternehmen (siehe Grafik).
Trotzdem wollen 35 Prozent künftig mehr Arbeitsabläufe in die Cloud verlagern. Nicht zuletzt durch die Pandemie ist deren Bedeutung gewachsen. Denn infolge von Corona sind viele Mitarbeitende ins Homeoffice gewandert – und mit ihnen jede Menge Daten in die Cloud.
Fachkräftemangel treibt Outsourcing voran
Der Bedarf an Cloud-Lösungen im Mittelstand sei groß, sagt Carlo Dannies, Gründer und Geschäftsführer von Hafn IT. Das Hamburger Unternehmen ist einer von knapp 13.000 mittelständischen IT-Dienstleistern in Deutschland und ebnet mit seinen rund 20 Beschäftigten anderen Mittelständlern den Weg in die Microsoft-Cloud.
„Wir machen die gesamte Office-IT“, sagt Dannies. Also das, was bisher klassischerweise interne IT-Mitarbeiter oder Systemhäuser erledigt haben. Letztere sind laut Dannies für viele Mittelständler aber oft zu teuer, zu langsam und zu unflexibel. Und qualifizierte eigene Leute zu finden ist schwer: Der Arbeitsmarkt ist nahezu leer gefegt.
Dem Branchenverband Bitkom zufolge fehlen in Deutschland rund 137.000 IT-Fachkräfte, Tendenz steigend. Und während das Angebot schrumpft, wächst die Nachfrage weiter. Die Ausgaben für IT, Telekommunikation und Unterhaltungselektronik werden laut Bitkom in diesem Jahr um 3,8 Prozent auf ein Volumen von 203,4 Milliarden Euro steigen. Den Löwenanteil machen IT-Services mit 47,8 Milliarden Euro aus, das größte Wachstum (plus 9,3 Prozent)wird bei Software erwartet.
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Um technologisch Schritt zu halten, können Mittelständler entweder Officeanwendungen nach dem Bausteinprinzip einkaufen, zu branchenspezifischen Speziallösungen greifen – oder einen externen Dienstleister beauftragen. Die jedoch werden zunehmend rar: Nach jahrelangem Wachstum ist die Zahl der IT-Unternehmen in Deutschland zuletzt gesunken. Vom Markt verschwunden sind vor allem kleine lokale Anbieter mit weniger als 250.000 Euro Jahresumsatz sowie Freelancer und Ein-Mann-Unternehmen mit Umsätzen bis 50.000 Euro. Bei Letzteren sank die Zahl binnen eines Jahres von knapp 22.500 auf rund 18.400.
Rechenzentren in Deutschland sollen Skeptiker überzeugen
Einer der Hauptgründe dafür ist das wachsende Cloud-Geschäft. Denn umfangreiche Dienstleistungen in der Datenwolke oder netzbasierte IT-Strategien können solche Kleinunternehmen kaum anbieten. „Wer sich nicht wandelt, verschwindet“, sagt Andreas Baresel, Vorstandsvorsitzender des IT-Dienstleisters Datagroup. Statt des Verkaufs von Hardware und Softwarelizenzen seien heute digitale Serviceleistungen gefragt.
Dank Internet und Cloud-Computing kommt die Software praktisch aus dem Netz – das Einrichten allerdings kann schwierig werden. Hinzu kommen der wachsende Bedarf an strategischer Beratung sowie steigende Anforderungen an die Sicherheit von IT-Systemen.
In diese Lücke will Datagroup stoßen. Das Unternehmen aus Pliezhausen in der Nähe von Stuttgart gehört mit 3500 Mitarbeitern und rund 500 Millionen Euro Jahresumsatz zu den großen IT-Mittelständlern. Um die Bedürfnisse des Mittelstands zu erfüllen, müsse ein moderner IT-Dienstleister den früher dominierenden Handel mit Hard- und Software durch ein modulares Serviceportfolio für den Betrieb der IT ersetzen, sagt Baresel.
Für Großunternehmen sei das Outsourcing der IT nichts Neues. „Aber der Mittelstand entdeckt gerade erst, dass die Zusammenarbeit mit externen Dienstleistern sinnvoll ist“, so der Datagroup-Chef. Um skeptische Kunden zu überzeugen, wirbt er zudem mit Rechenzentren in Deutschland, die den europäischen Datenschutzrichtlinien unterliegen.
Aufgrund der wachsenden Komplexität wird es nach Carlo Dannies“ Erfahrung schon für Unternehmen ab 20 Mitarbeitern schwer, die eigene IT ohne externe Hilfe zu managen sowie Hard- und Software selbst zusammenzustellen. Irgendwann stelle sich die Frage nach dem Support, der Sicherheit, dem Datenschutz, der Vernetzung – oder auch einfach nur nach einem kompetenten Ansprechpartner.
Hafn IT bietet dafür ein sogenanntes Community-Management an, eine Art Hilfe zur Selbsthilfe. Reicht das nicht aus, gibt es ganz klassisch Support per Telefon oder E-Mail. Braucht ein Kunde zusätzliche Softwarelösungen, die die Hamburger nicht anbieten, verbindet ihn Dannies mit Kollegen, die darauf spezialisiert sind.
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Viel entscheidender als Hardwarekomponenten oder Programme ist für den Unternehmer allerdings die Überführung der firmeneigenen Daten in die Cloud – denn hier warten einige Tücken. „Am Ende wollen wir nicht nur die Technik aktualisieren, wir wollen, dass die Prozesse in den Unternehmen besser werden“, sagt Dannies. Dafür sei aber oft eine umfassende Veränderung notwendig – vor allem in den Arbeitsweisen der Mitarbeiter. „Und Vertrauen in diese neue Welt.“
Versteht ein Großkonzern wie SAP, wie der Mittelstand tickt?
Mittelständler gelten als anspruchsvolle Kunden, die genau darauf achten, dass die eingesetzte Technik zum Unternehmen und zur Branche passt. „Wir müssen wissen, was der Kunde mit der IT, die wir ihm liefern, machen will“, sagt Baresel. „Am Ende will der Kunde nicht alles verstehen, er will, dass es funktioniert.“
Damit trotz der vergleichsweise geringen Zahl an Arbeitsplätzen die Marge stimmt, setzen sowohl Datagroup als auch Hafn IT auf feste Strukturen und Angebote von der Stange. Die meisten Produkte sind standardisiert, viele Prozesse sind automatisiert.
Was nicht passt, wird allerdings angepasst. Dabei gehe es keineswegs darum, die IT-Fachkräfte in den Unternehmen überflüssig zu machen, betont Hafn-IT-Chef Dannies. „Wir wollen die Mitarbeiter mitnehmen, ausbilden, eine Struktur aufbauen.“ Im Idealfall könne das Unternehmen später die neu strukturierte IT wieder selbst übernehmen. „Und wir ziehen uns als Dienstleister zurück.“
Ob der neuerliche Vorstoß von SAP in Richtung Mittelstand erfolgreich sein wird, ist für die mittelständischen IT-Dienstleister keineswegs ausgemacht. „5000 Arbeitsplätze sind nicht weniger komplex als 50.000“, sagt Datagroup-Chef Baresel. Angst vor dem übermächtigen Wettbewerber habe er zumindest nicht. „Auch die anderen müssen sich den Mittelstand erst einmal erarbeiten.“
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