Düsseldorf Der anhaltende Krieg in der Ukraine sorgt bei Herstellern von Panzern, Rüstungselektronik und Luftverteidigungssystemen für wachsende Geschäfte. Und dabei kommen die großen Aufträge erst noch.
Die Erwartungen spiegeln sich in den Aktienkursen von Rheinmetall und Hensoldt wider. Es sind die Titel mit der besten Wertsteigerung im vergangenen Jahr. Bisherige Prognosen gehen davon aus, dass sich diese Entwicklung fortsetzt.
Der russische Angriff auf die Ukraine hat in der Bundespolitik Prioritäten verschoben. Bereits drei Tage nach Kriegsausbruch hat Bundeskanzler Olaf Scholz ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr angekündigt.
Damit sollen in den kommenden Jahren Rüstungsprojekte bezahlt werden. Zum Teil auch längst beschlossene, die bislang als unfinanzierbar galten.
„Wir haben unter extremen Rahmenbedingungen und unter hohem Zeitdruck Entscheidungen getroffen, wie sie in den vergangenen drei Jahrzehnten in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik in unserem Land kaum vorstellbar waren“, schrieben Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht und der Generalinspekteur der Bundeswehr, Eberhard Zorn, in einer gemeinsamen Mitteilung kurz vor dem Jahreswechsel. So habe man dem Haushaltsausschuss für 2023 „eine beispiellos große Zahl an Beschaffungsvorhaben zur Entscheidung“ vorlegen können.
Bundestag hat Rüstungsprojekten im zweistelligen Milliardenbereich zugestimmt
Die Industrie zeigt sich vorläufig zufrieden. Nach „anfänglichen Problemen mit der Haushaltsdisposition“ sieht Hans Christoph Atzpodien, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie, den Weg für Beschaffungsentscheidungen als „weitgehend geebnet“.
Bisher sei aber nur für einen vorübergehenden Zeitraum mehr Geld für die Verteidigung veranschlagt: „Entscheidend bleibt aus Sicht der Bundeswehr-Bedarfslage, dass es schon in 2023 zu dem mehrfach versprochenen Haushaltsaufwuchs im Verteidigungsbudget in Richtung der immer wieder zugesagten zwei Prozent vom Bruttoinlandsprodukt kommt.“ Ansonsten könne das Sondervermögen „seinen Zweck nicht voll erfüllen“. Das Geld muss bis 2026 aufgebraucht werden.
Für dieses Jahr hat die Bundeswehr vom Bundestag bereits die Zustimmung für Rüstungsprojekte im zweistelligen Milliardenvolumen bekommen. Das gibt der deutschen Industrie eine gewisse Planungssicherheit über 2023 hinaus. Aber: Ein Großteil des Sondervermögens wird in die USA fließen. Etwa in die Beschaffung von 35 Kampfflugzeugen „F-35“ des US-Herstellers Lockheed Martin.
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Geld fließt trotzdem nach Deutschland. Die Firma Rohde & Schwarz erhält einen Milliardenauftrag über 20.000 abhörsichere Digitalfunkgeräte. Bei Heckler & Koch sollen fast 120.000 Sturmgewehre für gut 270 Millionen Euro bestellt werden.
Die Rüstungsvorhaben bedeuten für die gesamte wehrtechnische Industrie in Deutschland einen positiven Konjunkturverlauf. Dazu gehören neben Größen wie Airbus Defence and Space, Rheinmetall, Hensoldt, Krauss-Maffei Wegmann, Diehl Defence und Thyssen-Krupp Marine Systems auch viele kleine und mittlere Unternehmen.
Die Informationsstelle Militarisierung schätzt den wehrtechnischen Mittelstand in Deutschland auf etwa 1350 Unternehmen mit jeweils bis zu 1000 Mitarbeitern und bis zu 300 Millionen Euro Jahresumsatz.
Weniger abhängig vom umstrittenen Exportgeschäft
Von einem wiederbelebten Rüstungsgeschäft profitieren zudem Unternehmen wie der Mischkonzern Siemens, Fahrzeughersteller MAN und Autozulieferer ZF Friedrichshafen. Vor der Zeitenwende hatte das oft als „schmutzig“ angesehene Verteidigungsgeschäft bei manchem schon auf der Streichliste gestanden.
Aufträge, die nach Deutschland oder Europa gehen, dürften für die Industrie zudem das Problem dieser „Schmutzigkeit“ mildern. Exporte an Länder wie Saudi-Arabien und Katar sind höchst umstritten. Die Branche selbst sowie die Politik argumentierten dabei, dass die Rüstungsindustrie ohne diese Deals nicht zu erhalten gewesen wäre.
Im Zuge der Modernisierung und Digitalisierung der Verteidigungssysteme könnten derweil neue Firmen in den Markt eintreten. Große Ambitionen zeigt etwa das Jungunternehmen Helsing, das mit mehr als 100 Millionen Euro Investorengeld antritt, um die Feindaufklärung auf ein neues Level zu heben.
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Bei den wichtigsten Entwicklungsprojekten werden Künstliche Intelligenz, Satellitenkommunikation, vernetzte Systeme, verschlüsselte Kommunikation und die Zusammenarbeit von Menschen und autonomen Maschinen im Mittelpunkt stehen.
Ein Risiko für Industrie und Verteidigungsfähigkeit sieht Atzpodien derweil: „Wir haben nicht zuletzt auch im Bereich militärischer Güter in Europa eine nennenswerte Abhängigkeit von chinesischen Rohstoffen“, warnt er mit Verweis auf den Taiwankonflikt. Solange man noch den Spielraum habe, sich aus derlei Abhängigkeiten zu lösen, sollte das auch geschehen.
Ein weiteres Risiko zeigte zuletzt die Debatte über die Einsatzbereitschaft des Schützenpanzers Puma: In Krisenzeiten stehen die Rüstungskonzerne im Fokus der Öffentlichkeit – und damit auch jedes Fabrikationsproblem.
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