Düsseldorf Es zählte jahrzehntelang zu den mächtigsten Medienhäusern Europas: Nun gibt es bei Gruner + Jahr (G+J) einen personellen Kahlschlag: Eigentümer Bertelsmann plant, bei dem Hamburger Verlagshaus insgesamt 700 der 1900 Stellen zu streichen.
Das teilte Bertelsmann- und RTL-Chef Thomas Rabe den Beschäftigten am Dienstagmorgen bei einer Betriebsversammlung am Hamburger Baumwall mit. „Es ist ein Hammer, ein Schock“, hieß es dazu in der Belegschaft.
Die beiden Bertelsmann-Töchter RTL in Köln und G+J in Hamburg wurden Anfang des Jahres zusammengelegt. Europas zweitgrößter Medienkonzern erhoffte sich davon Synergien. Topmanager des Konzerns hatten mithilfe der Beratung McKinsey zuletzt die Zeitschriftentitel der Hamburger auf den Prüfstand gestellt.
Nun ist klar: 13 Kernmarken wie „Stern“, „Geo“, „Capital“ oder „Gala“ bleiben im Portfolio. Sie machen ungefähr 70 Prozent des Umsatzes in Höhe von 350 Millionen Euro aus. 23 Titel, vor allem Ableger der großen Namen, will Rabe einstellen. Dazu zählen „Geo Wissen“, „Brigitte Woman“, aber auch „Barbara“ von TV-Moderatorin Barbara Schöneberger.
„Wir haben entschieden, uns auf die Kernmarken zu konzentrieren“, sagte Rabe am Dienstag. Einen Verkauf prüft Rabe für fünf Marken, darunter „Beef!“ und „Salon“. Auch die RTL-Beteiligung an dem Sportmagazin „11 Freunde“ steht zum Verkauf.
Dafür hatte es bereits Interessenbekundungen von anderen Verlagen gegeben. Rabe sagte: „Wir werden in aller Ruhe in den nächsten Wochen den Markt sondieren und sehen, wer sich für welchen Titel wirklich interessiert und in welcher zeitlichen Schrittfolge wir die Titel abgeben.“
Gruner + Jahr drohte in die Verlustzone abzurutschen
RTL leidet wie die gesamte Medienbranche unter geringer werdenden Einnahmen und wegen der aktuellen Krisen unter der Werbezurückhaltung der Unternehmen. Hinzu kommen steigenden Kosten für Papier und Logistik.
Die Publikationsgeschäfte von RTL drohen laut Rabe in die Verlustzone abzurutschen. Im abgelaufenen Jahr habe der Gewinn von Gruner + Jahr noch bei einer Million Euro gelegen. In diesem Jahr wäre das Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebita) „ohne Maßnahmen zweistellig negativ“, so Rabe.
Einen Verkauf prüft RTL für die fünf Marken „Business Punk“, „Art“, „P.M.“, „Beef!“ und „Salon“.
(Foto: dpa)
Der Manager gilt als kühler Zahlenmann, der Dinge selbst in die Hand nimmt. Seit Mitte August ist er nicht nur Chef von Bertelsmann, sondern in Personalunion auch von der RTL-Gruppe und RTL Deutschland. Kritiker werfen ihm vor, viele Entscheidungen zu eigenständig zu treffen. So musste der frühere RTL-Chef Stephan Schäfer nach nur einem Jahr gehen, weil er wohl als zu lasch für die Aufgabe angesehen wurde.
Rabes Pläne führen dazu, dass 500 Stellen am Standort Hamburg abgebaut werden – und zwar „schrittweise bis Ende 2025“. 200 weitere Stellen sollen durch den geplanten Verkauf der Titel an die neuen Eigentümer übergehen.
Der Großteil der Jobs soll nicht in den Redaktionen wegfallen, sondern etwa in der IT, in der Personal- und Rechtsabteilung, im Gebäudemanagement, der Kommunikation oder im Marketing.
Rabe will 80 Millionen Euro investieren
Rabe verfolgt die Strategie, „nationale Medienchampions“ zu schaffen, wie er gern sagt. Damit will er gegen die Übermacht von Google, Netflix und Co. auf dem Werbe- und Medienmarkt vorgehen. Rabe hatte betont, dass man für die geplanten Investitionen im wichtigen Streaminggeschäft Ressourcen neu verteilen und Strukturen hinterfragen müsse.
Schwierige Phase für den Bertelsmann-Chef.
(Foto: Bertelsmann)
So plant Rabe, in die verbleibenden Titel bei G+J bis 2025 insgesamt rund 80 Millionen Euro zu investieren, wie er ankündigte. Das Geld soll vor allem in den digitalen Ausbau der Kernmarken fließen. „Wir sehen erhebliche Verbundeffekte zwischen den Kernmarken von Gruner + Jahr und RTL – nicht nur in der redaktionellen Zusammenarbeit, sondern vor allem in der Vermarktung“, so Rabe. Er sieht einen Mehrwert von 75 Millionen Euro pro Jahr.
30 der 80 Millionen Euro will Rabe in das Digitalangebot des Magazins Stern, „Stern plus“, investieren. Diese Ankündigung offenbart, dass ein anderes RTL-Vorhaben nicht so funktioniert wie geplant. Eigentlich wollte RTL seine Bewegtbildinhalte, Musik und digitale Magazine aus dem Hause G+J in einer App mit dem Namen „RTL plus“ an den Start bringen.
Diese Idee konnte das Unternehmen bislang etwa wegen technischer Hürden nicht umsetzen. Es ist nun fraglich, ob alles in einer App gebündelt wird oder ob digitale Angebote auf mehrere Apps oder unterschiedliche Kanäle verteilt werden.
Zeitschriftenstandort Hamburg soll erhalten bleiben
Weitere 30 Millionen Euro fließen in andere Kernmarken, 20 Millionen in neue Räumlichkeiten. Der Hamburger Zeitschriftenstandort soll zwar erhalten bleiben. Die Redaktion wird allerdings ihre traditionellen Büroräume am Baumwall mit Blick auf den Hafen verlassen müssen. Bis 2024 sollen die Beschäftigten in neue Räume ziehen. Funktionen abseits der Redaktion werden allerdings in Köln gebündelt.
Für Manager Rabe ist es gerade eine schwierige Zeit als Bertelsmann-Chef. In den vergangenen Wochen gab es viele Gerüchte, wonach auch Kernmarken wie „Stern“ oder „Geo“ eingestellt werden sollten. Offenbar wurde der Druck aber zu groß: Es hatte starke Proteste von Mitarbeitern und Gewerkschaften gegen einen möglichen Verkauf gegeben.
Auch Rabes Akquisitionspläne gehen gerade nicht auf. In den vergangenen Monaten sind vier Transaktionen im Gesamtwert von fünf Milliarden Euro gescheitert. In Frankreich und den Niederlanden wollte Rabe durch Fusionen starke Medienmarken schaffen. Das scheiterte allerdings am Widerstand der Kartellbehörden. Zudem gingen Übernahmepläne in der Buch- und der Callcenter-Branche schief. „Er hat keinen Lauf“, heißt es in der Belegschaft.
Seine Anteile am Magazin „Spiegel“ und der DDV-Mediengruppe, zu der die „Sächsische Zeitung“ gehört, will Bertelsmann unterdessen behalten. Das gilt auch für die App-Plattform Applike, die früher zu G+J gehörte. Kurz vor der Fusion hatte der Medienkonzern diese Angebote seiner Sparte Bertelsmann Investments zugeordnet.
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