Berlin Diese Botschaft dürfte Deutschlands Pauschalurlaubern pünktlich vor dem Start der weltgrößten Tourismusmesse ITB an diesem Dienstag einen Schreck versetzen: „Der Mallorca-Urlaub“, verkündete Juan Ferrer, ein prominenter Tourismusmanager der spanischen Insel, „wird dieses Jahr 33 Prozent teurer sein als im Vorjahr.“ Das betreffe sowohl Restaurants wie auch Hotels und Flüge, sagte er am Wochenende.
Das Lieblingseiland der Deutschen ist längst nicht das einzige Urlaubsziel, das Billigtouristen loswerden will. Neuseelands Tourismusminister Stuart Nash ließ vor einigen Wochen wissen, dass Wohnmobil-Urlauber in seinem Land unerwünscht seien. Statt der Selbstverpfleger, „die jeden Tag nur zehn Dollar für Instant-Nudelsuppe ausgeben“, wünsche er sich ersatzweise „zahlungskräftige Touristen“. Indonesiens Regierung denkt sogar laut darüber nach, über die Insel Bali ein Einreiseverbot für Rucksacktouristen zu verhängen.
Das Motto „Open for Change“, das sich die Urlaubsmesse in Berlin nach drei Jahren Corona-bedingter Pause gegeben hat, passt zu dem Trend, auf den sich die weltweite Tourismusindustrie längst eingelassen hat: Statt den Urlaub in fernen Ländern für jeden erschwinglich zu machen, wie es in den 50er- und 60er-Jahren Pioniere wie Josef Neckermann oder die Club-Med-Gründer Gérald Blitz und Gilbert Trigano propagierten, werden Reisen nun nach der Pandemie zunehmend zu einer Domäne für Gutverdiener.
Balkon statt Kreuzfahrt
„Das Geschäft treiben insbesondere Fernreisen und Kreuzfahrten“, bestätigt zum Auftakt der ITB indirekt auch Norbert Fiebig, Präsident des Deutschen Reiseverbands (DRV). Was der Verbandschef dabei unerwähnt lässt: Das rapide steigende Preisniveau in der Branche führt gleichzeitig dazu, dass immer weniger Deutsche überhaupt noch verreisen.
Die Schere zwischen Gutverdienern, die ihren Luxusurlaub auf den Malediven oder in Dubai verbringen, und Bundesbürgern, die sich nur noch Ferien auf dem eigenen Balkon leisten können, geht damit immer weiter auseinander.
Besonders alarmierend sind die Zahlen des TATS-Reisebürospiegels, der monatlich die Umsatzentwicklungen in deutschen Agenturen festhält. Für den wichtigen Buchungsmonat Januar notierte er bei den abgerechneten Umsätzen lediglich noch ein Minus von 15,2 Prozent gegenüber 2019. Zustande kam die erfolgreiche Aufholjagd jedoch allein durch die rasant gestiegenen Urlaubspreise. Bei der Anzahl der Buchungen nämlich stand immer noch ein Minus von 46,2 Prozent.
Am eklatantesten zeigen sich die Auswirkungen des Preisanstiegs im Airline-Geschäft. Obwohl 26,1 Prozent weniger Kunden einen Einzelflug im Reisebüro buchten als vor der Pandemie, steckten die Fluggesellschaften den Einbruch locker weg dank der erhöhten Zahlungsbereitschaft ihrer verbliebenen Kunden. Am Ende betrug das Umsatzminus durch die Preisanhebungen nur 2,3 Prozent.
Abseits der Reisebüros – nämlich im Internet – zeigt sich die Lage kaum besser. So erklärte Ryanair-Chef Michael O’Leary die Ära der Zehn-Euro-Flugtickets kürzlich im Interview mit dem Radiosender BBC offiziell für beendet. „Die niedrigen Preise am unteren Ende des Marktes wird es für die nächsten Jahre nicht mehr geben“, sagte er. Die Billigtickets der Low-Cost-Airlines hatten in den vergangenen Jahren einen erheblichen Reiseboom ausgelöst. Diesem droht ein veritabler Dämpfer.
Einem Viertel fehlt definitiv das Geld
Auch wenn Verbandsvertreter wie DRV-Präsident Fiebig nicht müde werden, von einer „angestauten Reiselust“ zu schwärmen und von Deutschen, „die auf gepackten Koffern sitzen“, bremsen die gesunkenen Realeinkommen bei vielen das Buchungsgeschäft. Nur jeder zweite Verbraucher (54 Prozent) erklärte bei einer aktuellen Befragung der Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reise (FUR), in diesem Jahr genügend Geld für eine Urlaubsreise zu besitzen. Ein Viertel (23 Prozent) will nach eigenem Bekunden definitiv wegen der leeren Haushaltskasse zu Hause bleiben.
Wie weit sich die Schere unter deutschen Verbrauchern öffnet, zeigt die „Tourismusanalyse 2023“ der BAT-Stiftung. Nach ihren Daten gaben Deutsche, die es sich leisten konnten, vergangenes Jahr im Durchschnitt für ihren Haupturlaub 1350 Euro aus – und damit 250 Euro mehr als im Vorjahr. Nicht nur die Urlaube verlängerten sich im Schnitt um fast zwei Tage, auch das Tagesbudget stieg von 98 auf 106 Euro. Gleichzeitig buchten nur noch 58 Prozent der Deutschen überhaupt eine Urlaubsreise von mehr als fünf Tagen Dauer, wie die Stiftung für Zukunftsfragen ermittelte. 2019 waren es noch 61 Prozent.
Umschwärmt werden von Urlaubsländern und einigen Reiseveranstaltern stattdessen sogenannte „Digital Nomads“, gut bezahlte IT-Experten nicht nur aus dem Silicon Valley, die zum Arbeiten ihr Homeoffice in klimafreundlichere Regionen verlegen. „Hybrid Work“ nennt Charuta Fadnis, Analystin der US-Touristikmarktforschung Focuswright, das entspannende Gemisch aus Arbeit und Urlaub. Tropische Urlaubsparadiese wie die Fidschi-Insel oder Montserrat in der Karibik locken betuchte Interessenten aus diesem Grund längst mit Langzeit-Visa.
Überdurchschnittliche Preise in Deutschland
Ob die neue Preisstrategie insgesamt für die Branche aufgeht, ist allerdings nicht ausgemacht. Denn das Geschäft bleibt auch für Veranstalter zäh. Gebucht wird weitaus kurzfristiger als vor der Pandemie. So ging der Auftragsbestand bis zum Ende der Saison, die bis zum Oktober 2023 reicht, im Vergleich zu 2019 um ein Viertel zurück. Insbesondere die schwachen Buchungsmonate November und Dezember 2022, die gut ein Drittel unter den Werten von 2019 lagen, hat die Branche immer noch aufzuholen.
Das gilt auch für den heimischen Urlaubsmarkt, der zwar mit einem Anteil von 41 Prozent immer noch für Deutsche das wichtigste Urlaubsziel ist, gegenüber den Vorjahren jedoch an Gästen einbüßte. Nach mehreren Lockdowns, die über Monate die Einnahmen versiegen ließen, kurbelten hierzulande viele Hoteliers zwischen Rügen und Bayerischem Wald ihre Preise drastisch nach oben.
Mit durchschnittlichen Preisen von 112 Euro pro Tag und Person liegt Deutschland deshalb bei den Kosten laut einer BAT-Repräsentativbefragung unter 3000 Reisenden inzwischen auf dem Niveau einer Fernreise. Abgesehen von Skandinavien und Griechenland waren Urlaube in ganz Europa billiger als in Deutschland.
41 Prozent der Deutschen verbringen ihren Jahresurlaub im Heimatland.
(Foto: dpa)
Ob man langfristig auf die weniger zahlungskräftigen Gäste verzichten kann, muss sich erst zeigen. Mit 451 Millionen Gästeübernachtungen blieben die heimischen Beherbergungsbetriebe 2022 mehr als neun Prozent unter dem Stand von 2019.
Im Dezember notierte die Branche sogar ein Minus von mehr als elf Prozent gegenüber dem letzten Vor-Corona-Jahr. Auch der Anteil ausländischer Gäste blieb 2022 mit 15,1 Prozent drei Prozentpunkte hinter dem Rekordjahr 2019 zurück.
Gewinner waren Urlaubsdestinationen, die noch 2022 mit unterdurchschnittlichen Tageskosten punkteten: an der Spitze Spanien mit einem Marktanteil von 8,2 Prozent, gefolgt von Italien (6,5 Prozent) und der Türkei (5,3 Prozent). Der Preisbrecher Türkei allerdings dürfte im laufenden Urlaubsjahr für manche ausfallen. „Die türkische Ägäis und Riviera waren bis zum Erdbeben unter den Favoriten der Urlauber“, berichtet FTI-Chef Ralph Schiller. „Seit dem Unglück ist die Nachfrage etwas verhaltener.“
Fernreisen gefragt wie selten
Wer es sich dagegen leisten kann, tendiert zum Luxus. So hat sich die Anzahl von Fernreisen gegenüber dem flauen Vorjahr verdoppelt – und wächst nach Angaben des Münchener Reiseveranstalters FTI rasant weiter. „Im Vergleich zum Vorjahr verzeichnet die Fernstrecke bei uns ein prozentual hohes zweistelliges Wachstum“, heißt es dort. Mit einem Gesamtanteil von 13 Prozent notierte die Deutsche Tourismusanalyse schon 2022 bei Fernreisen den dritthöchsten Wert seit der Wiedervereinigung.
Einen wahren Besucheransturm verzeichnen insbesondere die USA, die schon vor Corona erheblich an Urlaubsgästen aus Deutschland eingebüßt hatten. Unter den Fernreisezielen belegten sie 2022 laut der BAT-Studie einen Spitzenplatz. Und auch für dieses Jahr scheinen die Aussichten blendend. Die US-Bundesregierung spricht von einem starken Anstieg und erwartet allein aus Deutschland in diesem Jahr 1,78 Millionen Besucher – und damit rund 300.000 mehr als 2022.
Der Spezialveranstalter America Unlimited meldete vor wenigen Tagen ein Buchungsplus von rund 30 Prozent gegenüber 2022. Der Umsatz mit Reisen nach Nordamerika sei sogar um 75 Prozent gestiegen, berichtete Geschäftsführer Timo Kohlenberg. Der Durchschnittspreis einer Reise betrug dort 2022 nach Angaben des Veranstalters 8500 Euro. 2023 sollen es stattliche 11.000 Euro werden.
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