Stuttgart Der erste Windkanal der deutschen Autoindustrie steht in Stuttgart-Feuerbach. Der inzwischen zum Mahle-Konzern gehörende Kühlerspezialist Behr baute ihn 1937. Erstkunde war Mercedes. Hier wurde der Kühlergrill der legendären Silberpfeile windschnittiger gemacht. Kürzlich haben die Schwaben einen der historischen Rennwagen zum Fototermin im Hightech-Tunnel ausgeliehen. „Allein die Versicherung hat eine ganze Stange Geld gekostet“, sagt einer der Beteiligten.
Mahle will mit der auf Hochglanz polierten Firmenhistorie zeigen, wer die größte Tradition und die meiste Erfahrung in der Thermotechnik, also dem Kühlen und Heizen von Fahrzeugen hat – nicht Bosch, nicht Schaeffler, nicht Continental und auch nicht ZF.
Diesen Startvorteil bei einer von vielen Autofahrern unterschätzten Technologie wollen die Stuttgarter in der Transformation künftig stärker nutzen. „Thermotechnik ist eine Schlüsseltechnologie für die Elektromobilität“, sagt Jumana Al-Sibai. Die Managerin ist seit zwei Jahren in der Mahle-Geschäftsführung verantwortlich für den in Zukunft wohl wichtigsten Geschäftsbereich.
Mahle-Sparte Thermotechnik wird immer wichtiger
Für Mahle wird der Kampf ums Überleben in der Transformation zur Elektromobilität besonders hart. Der vor allem mit Kolben und Motorteilen für Verbrennungsmotoren groß gewordene Zulieferer ist noch stärker betroffen als viele andere große Zulieferer. Nur dank der vor 13 Jahren begonnenen Mehrheitsübernahme von Behr hat das Stiftungsunternehmen nun mit der Thermotechnik eine große Kernsparte mit steigender Bedeutung in der Elektromobilität.
Beim Lokaltermin in Feuerbach steht ein 80.000 Euro teurer schwarzer iX von BMW im Windkanal. „Wir hatten hier noch kein Elektroauto, dessen Thermotechnik wir nicht verbessern konnten“, sagt Uli Blessing, Entwicklungschef der Sparte.
„Thermotechnik ist eine Schlüsseltechnologie für die Elektromobilität.“
(Foto: Mahle)
Eigentlich müsste es besser Eiskanal heißen. Denn es geht heute vor allem darum, wie sich die Komponenten bei Kälte oder Hitze verhalten. Die Anforderungen wachsen in der Elektromobilität. So muss die Batterie situationsbedingt entweder gekühlt oder erwärmt werden. Darüber hinaus steht zum Heizen der Kabine keine Abwärme des Verbrennungsmotors zur Verfügung. Je weniger Batterieleistung dafür gebraucht wird, desto weiter fährt das Elektroauto.
Beim Elektroauto hängen damit wesentliche Akzeptanzfaktoren der Endkunden vom Thermomanagement ab: Lebensdauer der Batterie, Reichweite, Leistung des Antriebs und Schnellladefähigkeit.
Den Zulieferern winkt zusätzliches Geschäft. „Das Umsatzpotenzial beim Thermomanagement im Elektroauto ist dreimal höher als bei Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor. Thermomanagement ist Treiber der Elektrifizierung bei Mahle“, erklärt Al-Sibai, die 2021 nach 18 Jahren bei Bosch zu Mahle wechselte.
Milliardengeschäft Thermotechnik
Auch deshalb stürzen sich inzwischen alle großen Zulieferer auf die Thermotechnik fürs Elektroauto. Denn der Markt für diese Technologien wächst deutlich. Ausgehend von einem globalen Gesamtvolumen von rund 35 Milliarden Euro für Thermomanagementprodukte im Jahr 2021 rechnet Mahle mit einem Anstieg auf mehr als 50 Milliarden Euro bis 2030. „An diesem Wachstum wollen wir mit unseren modularen Systemen überproportional teilhaben“, ist Al-Sibai überzeugt.
Bei Mahle entfiel auf die Sparte im abgelaufenen Jahr mit 4,5 Milliarden Euro rund ein Drittel des Konzernumsatzes. Mit einem Plus von 15,9 Prozent und 20.000 Beschäftigten ist sie der wachstumsstärkste und größte Konzernbereich.
Der Markt für Produkte für die Elektromobilität wächst stark.
(Foto: Mahle)
Zwar spielen auch weiterhin Komponenten für Verbrennungsmotoren eine Rolle, doch Thermotechnik sowie Elektronik sind von zentraler strategischer Bedeutung. Die Hälfte der Neuaufträge in Höhe von elf Milliarden Euro entfiel 2022 auf diese Bereiche.
Der ökonomische Druck auf Mahle ist enorm: Operativ verdienten die Schwaben nur 60 Millionen Euro. Wegen der massiven krisenbedingten Mehrkosten stand unter dem Strich ein Verlust von 332 Millionen Euro. Die Eigenkapitalquote liegt bei mageren 20 Prozent.
Experten erwarten harten Wettbewerb
„Mahle muss nicht nur in den Werken die Produktionskosten im Griff haben. Der Preiskampf fängt schon vorher an“, sagt Autoexperte Stefan Bratzel, Direktor des Center of Automotive Management (CAM). „Mahle braucht schon in der Konstruktion und Entwicklung überlegene Lösungen, eben wegen der wirtschaftlich existenziellen Bedeutung der Thermotechnik für das Unternehmen.“
In diesem Punkt gibt sich das Mahle-Management aber zuversichtlich. Wichtigstes Zukunftsprodukt sind die elektrischen Klimakompressoren mit einem Auftragseingang von 1,4 Milliarden Euro, wie Al-Sibai sagt. Davon hat Mahle nach eigenen Angaben die mit bis zu 18 Kilowatt leistungsstärksten der Welt entwickelt.
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Ein weiteres Schlüsselprodukt sind seit 2009 ständig weiterentwickelte Batteriekühlplatten. Sie sollen für schnelles Laden, hohe Reichweite und lange Lebensdauer empfindlicher Lithium-Ionen-Batterien sorgen. „Wir waren in der Autoindustrie der wesentliche Treiber dieses Herzstücks“, sagt Entwicklungschef Blessing. Aufträge über 800 Millionen Euro seien im Haus.
Wärmepumpen lassen E-Autos weiter fahren
Viel verspricht sich Blessing auch von den energiesparenden Wärmepumpen fürs Auto. „Wer bei sieben Grad Außentemperatur drinnen 22 Grad haben will, verliert 40 Prozent Reichweite des Fahrzeugs, dagegen mit einer Wärmepumpe nur 20 Prozent.“
Mahle ist zwar in der Thermotechnik gut positioniert. Aber in der Elektromobilität gibt es für nahezu alle Komponenten mehr Wettbewerber. Dabei könnte Boschs Marktmacht Mahle in arge Bedrängnis bringen. Der weltgrößte Autozulieferer plant den Marktstart seiner Thermosysteme für 2024 und verspricht Reichweitengewinne um 25 Prozent. Auch Schaeffler kommt mit integrierten Thermomanagementsystemen auf den Markt. Aber anders als Mahle nennen die Konkurrenten noch keine Auftragsvolumina.
„Mit unserer hohen Systemkompetenz ermöglichen wir geringeren Bauraum, höhere Effizienz und Performance sowie niedrigere Gesamtkosten“, sagt Blessing. Das Mahle-Modul fasst Wärmetauscher, Kühlmittelpumpen, Kondensator, Kälteaggregat, Sensorik und Ventile in einer Einheit zusammen.
Besonders im Blick hat Al-Sibai chinesische Kunden. „Bei den zehn wichtigsten Kunden werden wir mit offenen Armen empfangen“, sagt die Managerin. „China entwickelt seine Elektroautos im Dreischichtbetrieb. Wer auf dem chinesischen Leitmarkt als Zulieferer bestehen will, muss dieses Tempo mitgehen können“, sagt Autoexperte Bratzel. Al-Sibai sieht Mahle dazu in der Lage.
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