Frankfurt Es war schwere Kost für den Triebwerkshersteller Pratt & Whitney, was die indische Billigfluggesellschaft Go First kürzlich verkündete. Weil der US-Konzern derzeit nicht für ausreichend einsatzbereite Motoren und Ersatzteile sorge, müsse man Gläubigerschutz beantragen.
Rund die Hälfte der 49 Kurz- und Mittelstreckenjets vom Typ Airbus A320neo sei unbrauchbar, ein wirtschaftlicher Flugbetrieb nicht mehr möglich, hieß es. Vor einem Gericht in Singapur hat die Airline Pratt & Whitney nun auf Schadenersatz in Höhe von etwa einer Milliarde Dollar verklagt.
Es ist schwer zu beurteilen, wie belastbar die Vorwürfe des indischen Billiganbieters sind. Pratt & Whitney hat in einer Stellungnahme darauf hingewiesen, dass Go First seit Längerem Zahlungsverpflichtungen für die Wartung und das Leasing nicht einhalte. „Die Lieferkette ist immer ein dankbarer Schuldiger, gerade weil sie so komplex ist“, sagt Michael Santo von der Unternehmensberatung H&Z.
Tatsache ist aber: Die Lieferprobleme bei Komponenten oder sogar kompletten Flugzeugen bringen die Airlinechefs weltweit in Bedrängnis. Bei der Lufthansa standen zuletzt mehrere A320-Flugzeuge wegen nicht einsatzfähiger Motoren am Boden. Bei der Schwestergesellschaft Swiss war es sogar ein Drittel der A220-Flotte, die die gleichen Triebwerke nutzt.
Eilig muss Ersatzgerät beschafft werden. Wer Swiss bucht, findet sich plötzlich in einem Flugzeug einer anderen Airline wieder, das angemietet wurde. Bei vielen Fluggästen kommt das nicht gut an.
Erste Airlines schlachten neue Jets aus
Der Mangel auf der Triebwerkseite setzt auch Air Baltic zu. Anfang des Jahres musste wiederum die niederländische KLM über die Hälfte ihrer Embraer E2-Jets parken. Auch dieses Modell fliegt mit den betroffenen Motoren von Pratt & Whitney.
In ihrer Not greifen erste Airlines zu ungewöhnlichen Maßnahmen. Air New Zealand baute kürzlich bei zwei neuen Jets die Triebwerke aus, um sie bei anderen Flugzeugen zu installieren, die dringend für besonders lukrative Strecken benötigt werden.
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Die Mangelwirtschaft verzögert immer häufiger auch die Auslieferung neuer Flugzeuge. Im Schnitt komme jede A320 zwischen 100 und 150 Tage zu spät, sagte Lufthansa-Chef Carsten Spohr vor einigen Tagen bei einem Mitarbeitertreffen in München.
Das sorgt für wachsenden Frust auch in Toulouse bei Airbus. 127 Maschinen konnte der europäische Flugzeugbauer in den ersten drei Monaten des Jahres ausliefern, im ersten Quartal 2022 waren es noch 140. Es gibt Lieferengpässe etwa bei Rümpfen oder bei der Kabinenausstattung wie etwa den Sitzen. Die größten Sorgen bereiten aber die Motoren. „Wir sehen mehr Probleme bei den Triebwerken als je zuvor“, sagte Konzernchef Guillaume Faury kürzlich.
Nicht besser sieht es beim Rivalen Boeing aus, der schon seit Jahren mit Qualitätsproblemen kämpft. Zwar darf der Konzern den A320-Konkurrenten 737 Max wieder ausliefern. Weltweit hatten die Luftfahrtbehörden das für fast zwei Jahre untersagt, weil wegen einer zu aggressiv programmierten Software zwei Jets abgestürzt waren.
Doch nun gibt es Probleme bei der Fertigung der Rümpfe. Lieferant Spirit muss erst Fertigungsmängel beseitigen. Das werde die Lieferungen bis Ende Juli beeinträchtigen, teilte das Unternehmen Anfang des Monats mit.
Eine Ursache für die massiven Probleme: Die Hersteller kaufen häufig bei einem Lieferanten ein. „Es wird viel über Resilienz gesprochen“, sagt Branchenexperte Santo: „Die Lieferkette in der Luftfahrt ist aber nicht resilient. Häufig gibt es für bestimmte Teile nur einen Lieferanten.“
Rasche Besserung erwartet er nicht. Die Komplexität werde zunehmen, weil Airbus für den Ausbau der Fertigung in China vor Ort die Lieferkette erweitern muss. „Damit wird sie aber auch anfälliger“, sagt Santo.
Eine weitere Ursache sind fehlende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Der Personalengpass sei nach wie vor ein großes Thema, berichtet Santo: „Erschwerend kommt hinzu, dass Airbus Personal zum Teil bei den eigenen Lieferanten abwirbt. Das hilft nicht bei der Stabilisierung der Lieferkette.“
Airlines haben in der Pandemie die Wartung verschoben
Santo sieht aber auch Versäumnisse bei den Airlines selbst. Der Engpass bei den Triebwerken sei absehbar gewesen. „Weil in der Pandemie wenig geflogen wurde, schoben die Airlines die Wartung in die Zukunft“, sagt der Experte: „Es war klar, dass es bei dem Neustart zu Engpässen bei der notwendigen Wartung führen wird.“
In einer Umfrage, die H&Z zusammen mit Aerovation Management Consulting bereits im Juli 2021 durchführte, hatten 79 Prozent der Manager aus der Branche die Themen Inspektion und Wartung der Flugzeuge als größte Herausforderung genannt. Gegengesteuert haben viele trotzdem nicht.
Weil Teile fehlen, kann Airbus nicht so viele Jets ausliefern wie erhofft.
(Foto: dpa)
Zwar hat Pratt & Whitney einen größeren Bestand an Reservetriebwerken. Knapp 300 hält der US-Konzern in der Regel bereit, um Airlines kurzfristig helfen zu können. Doch längst sind die meisten davon fest Kunden zugesagt, um die größten Löcher zu stopfen.
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Angesichts der Probleme überrascht es, dass vonseiten der Zulieferer aktuell kaum Klagen zu hören ist. Während der Pandemie hatten sie noch eindringlich vor drohenden Engpässen gewarnt. Berater Santo hat eine Erklärung: „Airbus hat im Februar kommuniziert, dass man die Raten langsamer hochfährt als ursprünglich geplant.“
Eigentlich wollte der Konzern schon bald 65 Flugzeuge der A320-Familie pro Monat bauen. Nun soll dieser Wert erst Ende 2024 erreicht werden. Die Zielmarke von 75 Jets verschiebt sich um ein Jahr auf 2026.
Nach Ansicht von Berater Santo wird das aber nur begrenzt helfen, die Lieferkette zu stabilisieren. „Große Zulieferer bekommen zunehmend ein Problem, weil Airbus kaum Großraumjets baut.“ Die Langstreckenflugzeuge seien wichtig für die Mischkalkulation. „Während Airbus gutes Geld mit den Kurz- und Mittelstrecken-Flugzeugen verdient, haben bei den Lieferanten die Komponenten für die Großraumjets die höchsten Margen.“
Die Folgen für die Zulieferer: Sie müssten ihre Produktion zum Teil in Niedriglohnländer verlagern. „Viele scheuen diese Investitionen“, sagt Santo: „Wer aber seine Kosten nicht weiter senken kann, wird es schwer haben, zu bestehen.“
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