Die ausgefeilte Komposition eines Malerateliers von Michael Sweerts war bisher nur von Kopien bekannt. Christie’s versteigerte die Rarität für Rekord brechende 12,6 Millionen Pfund.
(Foto: Christie’s Images Ltd. 2023)
Berlin Marktbeobachter reden von Abkühlung, Korrektur, Abschwung. Wie man die Entwicklung auch nennen will, Dämpfer gab es genug in dieser Kunstmarkt-Saison. Eine Milliarde Dollar wurde erwartet, aber in der New Yorker Fine Art Week im Mai wurden bei Sotheby’s „nur“ 799 Millionen Dollar eingespielt. Sotheby’s verzichtet auch 2023 darauf, seine Halbjahreszahlen vorzulegen.
In Christie’s Londoner Juni-Auktionen mit Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts lag das Ergebnis um 32 Prozent unter den entsprechenden Versteigerungen des Vorjahrs. Im gesamten ersten Halbjahr 2023 schrumpfte der Erlös in diesem Haus um 23 Prozent auf 3,2 Milliarden Dollar.
Laut Christie’s CEO Guillaume Cerutti ist dies die Folge eines „problematischeren Makro-Umfelds“. Es besteht kein Zweifel, dass die Kunstmärkte in diesem Jahr in eine stärkere Abhängigkeit von der weltwirtschaftlichen Lage geraten sind.
Die Konjunkturerwartungen sind schlecht, der Ukraine-Krieg, hohe Inflation und steil gestiegene Zinsen belasten den Konsum. Ein instabiler Bankensektor und die von Analysten genährte Erwartung, dass im Herbst in den USA, die noch immer das wichtigste Kunstmarktland sind, ein Einbruch der Konjunktur zu erwarten sei, lähmen.
Von Publicity weckenden Sammlungen, die im ersten Halbjahr in die Auktionen flossen, ragen nur die des Musikproduzenten Mo Ostin bei Sotheby’s (123,7 Millionen Dollar) und die des Immobilienmoguls Gerald Fineberg bei Christie’s (210 Millionen Dollar) heraus – kein Vergleich mit der Sammlung Paul Allen, die im letzten November bei Christie’s mit dem Erlös von 1,5 Milliarden Dollar die teuerste versteigerte Sammlung aller Zeiten wurde.
Das Gemälde war Highlight der Sammlung von Mo Ostin, dem legendären kalifornischen Geschäftsführer von Warner Bros. Records (Ausschnitt).
(Foto: Sotheby’s)
Die Marktindikatoren dieses Jahres sind heterogen. Dass die gesättigte „Baby Boomer”-Generation der Jahrgänge 1946 bis 1964 ihre Sammlungen peu à peu auf den Markt wirft, war schon vor der Corona-Phase ein Fakt. Aber wer sind die neuen Käufer?
Die zwischen 1981 und 1995 geborene Generation der an Erbmasse reichen „Millennials“ sind die neuen Marktstützen, die auch Objekte für 1 Million und mehr erwerben. Sie haben einen anderen Geschmack als ihre Eltern und favorisieren das, was Galerien und Auktionen als in den letzten fünf Jahren entstandene „ultracontemporary art“ anbieten. Hier ist der Markt auch mit Millionenpreisen noch ganz in Bewegung, vor allem was das breit gefragte Angebot von Werken weiblicher und schwarzer Künstler betrifft.
Dass dieser Markt trotz einiger Flops für latent teure Künstler wie Damien Hirst, Mark Grotjahn, Martin Kippenberger noch floriert, ist den vorsichtigen Schätzpreisen dieser Saison zu verdanken. Selbst von Louise Bourgeois, deren monumentale Spinne bei Sotheby’s 32,8 Millionen erlöste, gingen weniger spektakuläre Skulpturen zurück. Auch für Gerhard Richter gab es eine Marktkorrektur mit Mindestgeboten und Rückgängen.
Wer sich in die Auktionen der modernen und der zeitgenössischen Kunst einloggte, musste über weite Strecken einen schweigenden Saal und einsame Zuschläge erleben, die Garantiegeber bedienten. Tatsache ist, dass es Dämpfer im Bereich des Impressionismus und der Moderne gab: In New Yorker und Londoner Abendauktionen gingen normal taxierte Werke von Edouard Manet, Claude Monet, Paul Cézanne, Fernand Léger und Yves Klein zurück.
Asiaten stützen den Markt
Als Marktstützen wirkten asiatische Käufer. In Sotheby’s Abendauktionen gingen wertmäßig über 30 Prozent des Angebots an asiatische Bieter. Allen voran Klimts Landschaftsgemälde „Insel im Attersee“, das für 53,2 Millionen Dollar an einen japanischen Sammler fiel. Auch millionenschwere Werke von Vincent van Gogh, Paul Gauguin, Claude Monet, und Henri Matisse wanderten hier nach Asien.
Eine Rückkehr japanischer Sammler in die Auktionen in Hongkong betonen Phillips, die mit ihrem neuen Stützpunkt im Kulturquartier von Hongkong 471 Prozent mehr japanische Bietaktivität als 2022 registrierten und insgesamt 38 Prozent neue Käufer erreichten.
Ausgestattet mit einer lückenlosen Provenienz animierte das 1910 entstandene Gemälde vier Bieter, sich lange um das Werk zu streiten. Er erreichte 43,5 Millionen Dollar mit Aufgeld.
(Foto: Christie’s Images Ltd. 2023)
Mit einer im Mai eröffneten Dependance in Schanghai will jetzt auch Sotheby’s im 50. Jahr seiner Präsenz in China neue Käufer aus dem chinesischen Festland gewinnen. Die Jubiläumsauktion in Hongkong erzielte 85,5 Millionen US-Dollar und lag damit um 9,5 Millionen unter dem Ergebnis vom Frühjahr 2022.
Hoch im Kurs war hier die Kunst vierzigjähriger „emerging artists“ (Hao Liang, Loie Hollowell, Rafa Macarron). Schon vorher hatte Sotheby’s 32 Millionen US-Dollar für ein mit Garantie abgesichertes Diptychon des chinesischen Klassikers Zhang Daqian eingefahren. Mit moderner und zeitgenössischer Kunst aus Südostasien lockte der Auktionsriese am 3. Juli in Singapur nicht nur heimische Sammler, sondern auch Bieter aus Indonesien und den Philippinen an.
Das teuerste Los dieses Halbjahrs, Gustav Klimts letztes Gemälde „Dame mit Fächer“, das bei Sotheby’s in London umgerechnet 108,4 Millionen Dollar realisierte, ging an einen Sammler in Hongkong.
Mittelmaß regiert die europäischen Auktionen
In den europäischen Konkurrenzkampf um Material und Kunden schaltet sich jetzt auch das chinesische Auktionshaus Poly mit einem Büro in London ein. Es hatte in der Pandemiezeit viele Kunden an die Versteigerungen von Sotheby’s, Christie’s und Phillips in Hongkong verloren. „Wachsende digitale Auktionen, stärkerer Einfluss der Millennial-Sammler und die Nachfrage nach einer im Bewusstsein der Gesellschaft verankerten Kunst“ sind nach Ansicht des Netzwerks Myartbroker treibende Kräfte des asiatischen Kunstmarkts.
In den europäischen Auktionen der ersten beiden Quartale regierte mit der Ausnahme einiger weniger Spitzenwerke das Mittelmaß. In den deutschsprachigen Auktionen liegt Ketterer mit dem Halbjahresumsatz von 40,9 Millionen Euro ganz vorn. Bei Van Ham bescherte die 500. Auktion das bislang höchste Resultat von 22 Millionen Euro und steigerte den Gesamtumsatz von Januar bis Juni auf 33,7 Millionen Euro. Das Rekordergebnis von 379 Millionen Euro, das sämtliche deutsche Auktionen laut artprice 2022 erwirtschafteten, wird in diesem Jahr kaum zu erreichen sein.
Die Darstellung einer jungen Dame in opulentem Interieur wurde für 1,3 Millionen Euro im Dorotheum in Wien versteigert (Ausschnitt).
(Foto: Dorotheum)
In der Schweiz waren Millionenzuschläge rar. In der Juni-Auktion der Galerie Kornfeld gab es sie nur dreimal mit Hammerpreisen von 1 bis 1,7 Millionen Schweizer Franken für Werke von Ferdinand Hodler, Pablo Picasso und Felix Vallotton. Bei Koller liegt ein brillanter Flügelaltar von Lucas Cranach d. Ä. und Werkstatt mit einer knappen Million Schweizer Franken brutto an der Spitze. In den österreichischen Auktionen ist der im Dorotheum erzielte Spitzenpreis von knapp 1,3 Millionen Euro für die Interieurszene „Ein Blick in den Spiegel“ des türkischen Malers Osman Hamdi Bey das Highlight der Saison.
Marktprägend sind in diesem Halbjahr nicht nur die Umsätze, sondern auch Veränderungen der Firmenstruktur alteingesessener Häuser, allen voran des Pariser Hôtel Drouot. In das älteste französische Auktionshaus haben sich zu 30 Prozent die zwei Pariser Investmentfirmen Groupe Chevrillon und Vesper Investissement eingekauft, nachdem die Halbjahresziffern um 14 Prozent auf 338 Millionen Euro gestiegen waren.
Satte Umsatzsteigerung für Bonhams
In der britischen Firma Bonhams, die im letzten Jahr die internationalen Auktionshäuser Bukowskis (Stockholm), Bruun Rasmussen (Kopenhagen), Skinner (Boston) und Cornette de Saint Cyr (Paris) erworben hatte, stieg die Halbjahresbilanz um 32 Prozent. Mit 552 Millionen Dollar erreichte das Haus mit seinem Netzwerk in einem an Spitzenstücken geschrumpften Weltmarkt eine stolze Zuwachsrate.
Das Pariser Auktionshaus Artcurial, das schon die Luxusimmobilien-Firma John Taylor und den Pferdehandel Arqana besitzt, ist seit Juni auch in der Schweiz präsent. Es hat sich mit ungenanntem Betrag in das 2011 gegründete Basler Auktionshaus Beurret Bailly Widmer eingekauft. Diese Aktivitäten zeigen, dass der sogenannte Mittelmarkt, der von den zwei Großen nur noch mit Online-Auktionen bedient wird, trotz aller Unkenrufe eine Zukunft hat.
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