Berlin Angesichts einer möglichen starken Zunahme der Coronafälle werden die Rufe nach einer schnellen allgemeinen Impfpflicht lauter. Die Union erhöht den Druck auf die Ampelkoalition, eine entsprechende Regelung vorzubereiten. Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) forderte die Bundestagsparteien auf, die Impfpflicht noch im Januar auf den Weg zu bringen.
„Wir als Unionsfraktion unterstützen die Bundesregierung bei allen Möglichkeiten, die Impfquote zu erhöhen“, sagte der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Sepp Müller (CDU), dem Handelsblatt. „Von der neuen Bundesregierung erwarten wir einen Vorschlag zur allgemeinen Impfpflicht, der alle juristischen, ethischen und praktischen Aspekte umfasst.“ Die Unionsfraktion befinde sich gerade im Meinungsfindungsprozess.
Für Beschäftigte in Krankenhäusern und Pflegeheimen wurde diese bereits beschlossen. Merz nannte als mögliche weitere Gruppen Bedienstete in Schulen und Kitas sowie bei Polizei und Feuerwehr.
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Die SPD-Co-Vorsitzende Saskia Esken ist für eine allgemeine Impfpflicht. „Ich würde am liebsten alle Menschen davon überzeugen, dass die Impfung der richtige Weg ist, um sich selbst zu schützen, die Nächsten, die Liebsten, aber auch die Gesellschaft“, sagte Esken im ZDF-Morgenmagazin. Wenn das nicht bei allen gelinge, „dann muss eben eine Impfpflicht kommen“.
Vorbehalte bei den Liberalen
Auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat sich bereits für eine Impfpflicht ausgesprochen. FDP-Chef und Bundesfinanzminister Christian Lindner zeigte sich dafür offen. Allerdings gibt es bei den Liberalen auch Vorbehalte.
„Ich bin der Meinung, dass wir die Impfbereitschaft auch ohne eine allgemeine Impfpflicht erhöhen können“, sagte die gesundheitspolitische Sprecherin der FDP-Fraktion, Christine Aschenberg-Dugnus, dem Handelsblatt. Dies könne durch differenzierte Ansprache, Impfangebote vor Ort und mehrsprachige Aufklärung geschehen. Auch der regional sehr unterschiedliche Verlauf der Impfkampagne zeige, dass Personen sehr wohl erreichbar sind.
Die FDP-Politikerin verwies zudem auf ungeklärte Fragen wie die Schutzdauer und den Schutzumfang einer Impfung, ebenso die Wirksamkeit der Auffrischungsimpfungen und die Häufigkeit, mit der diese notwendig werden. „Je öfter die verpflichtende Impfung wiederholt werden muss, umso höher ist der Begründungsaufwand“, sagte Aschenberg-Dugnus.
Angesichts der unterschiedlichen Meinungen will die Ampelkoalition keinen Gesetzesvorschlag im Bundestag vorlegen. Stattdessen soll eine Impfpflicht, wenn sie denn kommt, über einen fraktionsübergreifenden Gruppenantrag beschlossen werden. Innerhalb der Ampelkoalition drängen vor allem die Grünen auf eine schnelle Regelung.
Schlagabtausch zwischen Kretschmann und Kubicki
„Wir müssen jetzt sehen, wie sich das entwickelt mit den Gruppenanträgen“, sagte Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne). „Jetzt kann man nur darauf hoffen, dass es eine Gruppe gibt, die eine Mehrheit hat für eine Impfpflicht.“ Er lasse aber nicht locker und prüfe, ob man das auch über den Bundesrat einspeisen könne.
Kretschmann kritisierte den Widerstand innerhalb der FDP gegen eine allgemeine Impfpflicht. „Die Aussage von Wolfgang Kubicki, dass es vielen Impfpflichtbefürwortern um Rache und Vergeltung gehe, ist schlichtweg verantwortungslos und völlig ungeeignet, um die Debatte inhaltlich angemessen zu führen.“
Der FDP-Politiker wies die Kritik zurück. „Die Menschenwürdegarantie unserer Verfassung gilt auch für Ungeimpfte“, sagte Kubicki der Funke-Mediengruppe. „Dass dieses unverrückbare Wesenselement unseres Gemeinwesens nun zum Teil infrage gestellt wird, halte ich für hochgradig besorgniserregend“, erklärte Kubicki. „Das sollte auch Ministerpräsident Kretschmann, der in der Vergangenheit selbst ja unverhältnismäßige Anti-Corona-Maßnahmen gefordert hat, zu denken geben.“
Kubicki hat mit weiteren FDP-Abgeordneten einen Antragsentwurf gegen eine Impfpflicht vorbereitet. Mittlerweile sind laut Kubicki mehr als 30 Parlamentarier beteiligt. Über diese Gruppenanträge würde dann im kommenden Jahr in freier Abstimmung ohne Fraktionsdisziplin entschieden.
Zwischen den Ampelparteien sei bereits vereinbart, dass die politische Debatte zu einer allgemeinen Impfpflicht im Januar mit einer Orientierungsdebatte im Bundestag gestartet werde, betont die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Heike Baehrens.
„Eine wie auch immer geartete Beschlussfassung wird weder durch populistische Zwischenrufe einzelner Abgeordneter noch durch Appelle einzelner Ministerpräsidenten beschleunigt.“ Im Gegenteil: Es brauche eine sorgfältige und verantwortungsvoll geführte Debatte. Dabei geht es schließlich nicht nur um ein Ja oder Nein zur Impfpflicht, sondern auch um die mögliche Ausgestaltung und Reichweite.
Viele Booster, zu wenig Erstimpfungen
Die Impfkampagne lief auch über Weihnachten weiter. Am zweiten Weihnachtstag wurden laut Robert Koch-Institut 65.000 Dosen verabreicht. Quick 59 Millionen Menschen sind zweifach geimpft, das sind 70,8 Prozent der Bevölkerung. Rund 30 Millionen Deutsche haben eine Boosterimpfung erhalten.
Damit hat die Bundesregierung ihr Mitte November verkündetes Ziel erreicht, 30 Millionen Dosen bis Weihnachten zu verabreichen. Allerdings sind der Großteil Auffrischungsimpfungen. Nur rund zwei Millionen waren Erstimpfungen. Deshalb hat die Regierung ihr zweites Ziel, 80 Prozent der Bürger mindestens einmal zu impfen, auf Ende Januar verschoben. Eigentlich wollte sie den Wert schon am 7. Januar erreichen.
Am 7. Januar werden Kanzler Scholz und die Ministerpräsidenten voraussichtlich über das weitere Vorgehen in der Pandemie beraten. Sorgen bereitet vor allem die neue Omikron-Variante. Zuletzt stieg die innerhalb eines Tages an das RKI übermittelte Zahl der sicher nachgewiesenen und wahrscheinlichen Omikron-Fälle in Deutschland um 17 Prozent. 7225 Fälle würden nun der neuen Coronavariante zugeordnet, hieß es am Montag vom RKI.
Die Sieben-Tage-Inzidenz lag bei 222,7. Da viele Gesundheitsämter wegen der Feiertage nur eingeschränkt arbeiten, sind die Zahlen nur bedingt aussagekräftig. Nachmeldungen sind wahrscheinlich.
Müller: Auf kommende Wellen vorbereiten
Unionsfraktionsvize Müller sagte: „Natürlich ist klar, dass wir mit einer Impfpflicht die laufende Omikron-Welle nicht in den Griff kriegen werden.“ Man müsse sich aber auch auf kommende Wellen vorbereiten. „Nur mit einer hohen Impfquote können wir aus dem ewigen Wechsel von Restriktionen und Lockerungen herauskommen.“
Ähnlich äußerte sich Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD): „Wenn wir es schaffen, in der ganzen Gesellschaft einen hohen Impfschutz zu erreichen, werden wir perspektivisch mit der Pandemie klarkommen. Wir brauchen eine Impfquote von deutlich über 90 Prozent bei den Erwachsenen.“
Bayerns Gesundheitsminister Holetschek hat vorgeschlagen, bei Verstößen gegen die geplante Corona-Impfpflicht nicht nur Bußgelder zu verhängen, sondern auch finanzielle Konsequenzen bei der Krankenkasse zu erwägen. „Wir sollten zusätzlich auch prüfen, ob Malusregelungen im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung möglich und sinnvoll wären“, sagte Holetschek. „Denn das Risiko für Ungeimpfte, an Corona schwer zu erkranken, ist deutlich erhöht“, sagte der Vorsitzende der Gesundheitsministerkonferenz. Diese Prüfung soll der Bund vornehmen.
Vertreter von Ärzten und Patientenverbänden kritisierten die Äußerungen und wiesen die Forderung zurück. Sie fürchten einen Dammbruch und verwiesen darauf, dass es auch für andere Gruppen wie Raucher oder Risikosportler keine Zuschläge in der gesetzlichen Krankenversicherung gebe.
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