London Boris Johnson ist abgetaucht: Wegen eines Corona-Falls in seiner Familie hat der britische Premierminister alle Präsenztermine für die kommenden Tage abgesagt. Er hofft, dass in der Zwischenzeit der Proteststurm über die Lockdown-Partys in der Downing Road vorüberzieht.
Das erscheint jedoch zunehmend unwahrscheinlich. Am Freitag enthüllte der „Each day Telegraph“ zwei weitere Events in der Regierungszentrale. Ausgerechnet das konservative Blatt, bei dem Johnson selbst einst Karriere machte, gibt dem Skandal nun die möglicherweise entscheidende Wendung.
Die neue Enthüllung ist brisant, weil die Feiern am 16. April 2021 stattfanden – dem Abend vor der Beerdigung von Prinz Philip.
Jeder Brite erinnert sich daran, wie die Queen wegen der Corona-Regeln mutterseelenallein in der Kirche vor dem Sarg ihres Ehemannes sitzen musste. Dass in der Regierung wenige Stunden vorher munter gefeiert wurde, ist ein fatales Sign.
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Die Regierung entschuldigte sich am Freitag beim Staatsoberhaupt, doch der Schaden ist angerichtet.
Die Frage ist nun, wie lange Johnson sich noch im Amt halten kann. Im Londoner Regierungsviertel werden drei Szenarien diskutiert.
Szenario 1: Er geht in den nächsten Wochen
Die Öffentlichkeit scheint ihr Urteil gefällt zu haben: Johnson ist laut der neuesten YouGov-Umfrage jetzt unbeliebter als seine Vorgängerin Theresa Could kurz vor ihrem Rücktritt im Mai 2019.
In der Sendung „Query Time“, einer BBC-Talkshow mit repräsentativ ausgewähltem Saalpublikum, herrschte am Donnerstagabend seltene Einmütigkeit: Ein Redner nach dem anderen forderte Johnsons Rücktritt. Auch erste konservative Ortsverbände und erste Unterhaus-Abgeordnete halten ihren Anführer nun für untragbar.
Der Premier hatte diese Woche erstmals eingeräumt, bei einer Gartenparty in der Downing Road am 20. Mai dabei gewesen zu sein. Er entschuldigte sich im Parlament für den Fehler, beharrte aber darauf, dass er die Lockdown-Occasion für eine „Arbeitsveranstaltung“ gehalten habe. Mit dieser Schutzbehauptung, die ihn vor der Strafverfolgung schützen soll, hat Johnson sich zum Gespött des ganzen Landes gemacht.
Bisher hält er dem öffentlichen Druck stand, freiwillig abtreten wird er wohl nicht. Um eine Abstimmung über den Premierminister zu erzwingen, müssten ihm 15 Prozent der konservativen Fraktion das Misstrauen aussprechen. Das wären 54 Rebellen. Die ersten Misstrauensbriefe sind beim Sprecher der konservativen Hinterbänkler schon eingegangen.
Viele Abgeordnete warten aber noch ab, was die offizielle Untersuchung der Lockdown-Feiern ergibt. Die Regierungsbeamtin Sue Grey prüft mindestens neun verschiedene Feiern im Mai und Dezember 2020 sowie im April 2021. Ihr Urteil wird in der kommenden Woche erwartet. Laut „Instances“ wird sie nur Fakten darlegen und keine persönlichen Schuldzuweisungen vornehmen.
Das würde wohl nicht reichen, um den Sturz Johnsons herbeizuführen. Auch steht sein Kabinett weiter zu ihm, kein einziger Minister ist aus Protest zurückgetreten. Solange sich dies nicht ändert, bleibt Johnson im Amt.
Wahrscheinlichkeit: 2/10
Szenario 2: Die Tories warten bis Mai
Wahrscheinlicher ist eine Abrechnung nach den Kommunal- und Regionalwahlen am 5. Mai. Dort wird eine weitere Niederlage für die Konservativen erwartet. Nicht nur wegen der Empörung über Partygate, sondern auch weil angesichts der steigenden Inflation eine Krise der Lebenshaltungskosten droht.
Johnsons Macht bei den Tories gründet sich darauf, ein Wahlsieger zu sein. Sollte er sich nun als Belastung erweisen, gäbe es aus Sicht vieler Parteifreunde keinen Grund mehr, an ihm festzuhalten.
Als mögliche Nachfolger werden Finanzminister Rishi Sunak und Außenministerin Liz Truss gehandelt. Die nächste Unterhauswahl findet voraussichtlich 2024 statt. Der Nachfolger oder die Nachfolgerin hätte additionally zwei Jahre Zeit, sich ein eigenes Profil als Premier zu erarbeiten und mit einem Amtsbonus in die Wahl zu gehen. Dieser Sommer wäre additionally ein günstiger Zeitpunkt, einen Strich unter die Skandal-Ära Johnsons zu ziehen und einen Neuanfang zu wagen.
Wahrscheinlichkeit 5/10
Szenario 3: Augen zu und durch
Johnson bleibt vor allem eine Hoffnung: Die möglichen Nachfolger überzeugen seine Partei auch nicht. Sunak gilt als zu glatt und profillos, Truss als inkompetent. Manche Beobachter wollen den Premier daher noch nicht abschreiben. „Die Konservativen könnten ihm noch eine Likelihood geben, weil es keine guten Alternativen gibt“, sagt Tim Bale, Politikprofessor an der Queen Mary College in London.
Es sei auch nicht einfach, einen Premierminister loszuwerden, der nicht gehen will. Das habe sich damals bei Theresa Could gezeigt. Die Regierungschefin überstand erst ein Misstrauensvotum und blieb danach noch ein halbes Jahr im Amt. Erst die Niederlage bei den Europawahlen 2019 besiegelte ihr Schicksal.
Wenn die Tories bei den Kommunalwahlen besser als erwartet abschneiden und Johnson sein Kabinett weiterhin um sich scharen kann, könnte er noch über den Sommer hinaus im Amt bleiben. Allerdings ist schwer zu erkennen, wie er auf Dauer weiterregieren will. Seine Autorität ist dahin, das ganze Land macht nur noch Witze über ihn. Intern gilt Johnson bereits als „lifeless man strolling“, sein Abgang scheint daher nur eine Frage der Zeit.
Wahrscheinlichkeit: 3/10
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