Düsseldorf Der Hersteller von Bärchenwurst will künftig Hotdogs mit Fleisch aus Zellkulturen verkaufen. Eine Tochterfirma von In Family Foods hat bei der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (Efsa) einen Antrag auf Zulassung des Produkts eingereicht, teilte das traditionsreiche deutsche Familienunternehmen am Donnerstag mit. Das sei in der EU eine Premiere.
„Damit tun wir einen wichtigen Schritt auf dem Weg zur industriellen Umsetzung von kultivierten Fleischprodukten“, sagt Wolfgang Kühnl, geschäftsführender Gesellschafter von In Family Foods.
Entwickelt wurde der hybride Hotdog von der Heidelberger Foodtech-Firma The Cultivated B, die zum Konzern gehört. Er besteht aus veganen Zutaten und Schweinefleisch aus Zellkulturen, die im Bioreaktor gezüchtet werden. Der zweitgrößte Wursthersteller Deutschlands ist vor allem bekannt für seine Bärchenwurst. Unter der Marke Billie Green produzieren die Versmolder auch pflanzliche Wurst.
Bisher hat kein Hersteller weltweit den Schritt zur Zulassung von sogenanntem In-vitro-Fleisch in der EU gewagt. Kultiviertes Fleisch gilt als neuartiges Lebensmittel („Novel Food“). „Das Zulassungsverfahren der Efsa für Novel Food gehört zu den härtesten der Welt. Es umfasst eine gründliche und evidenzbasierte Bewertung der Lebensmittelsicherheit und des Nährwerts“, sagt Seth Roberts, Policy Manager beim Thinktank Good Food Institute Europe (GFI).
Sobald der EU-Behörde das Dossier für den hybriden Hotdog vorliegt, hat sie neun Monate Zeit für eine Risikobewertung. Bisherige Verfahren haben teils mehrere Jahre in Anspruch genommen. Das GFI, das sich für alternative Proteine einsetzt, begrüßte den Schritt der Deutschen: „Die Verfügbarkeit von kultiviertem Fleisch in Europa würde einen Paradigmenwechsel für den Sektor bedeuten. Schließlich wurde es in Europa erstmals entwickelt.“
In-vitro-Fleisch: Der erste Burger aus Zellkulturen kostete 250.000 Euro
Vor genau zehn Jahren präsentierte der Biomediziner Mark Post, Gründer von Mosa Meat aus Maastricht, in London den weltersten Burger aus der Petrischale. Dessen Herstellung kostete damals noch stolze 250.000 Euro. Weltweit arbeiten laut GFI heute 156 Firmen an Fleisch oder Fisch aus Zellkulturen, davon etwa 30 in Europa.
The Cultivated B entwickelt seit 2021 schlüsselfertige Bioreaktoren sowie Zelllinien und Nährmedien für In-vitro-Fleisch. Zeitgleich zum Antrag bei der Efsa teilte In Family Foods mit, in Zukunft selbst kultiviertes Fleisch herstellen zu wollen. „Unsere Gruppe treibt die Branche der Fleischproduktion ohne geschlachtete Tiere für die breite Masse entschieden voran“, sagte Hans-Ewald Reinert, ebenfalls geschäftsführender Gesellschafter des Konzerns.
Der Wissenschaftler präsentierte 2013 den ersten Burger mit Fleisch, das im Labor gezüchtet wurde.
(Foto: Reuters)
„Kultiviertes Fleisch hat das Potenzial, den Fleischmarkt grundlegend zu verändern“, erklärt Agrarexperte Klaus-Martin Fischer von der Beratung Ebner Stolz. Die Technologie ermögliche inzwischen Preise in der Nähe von konventionellem Fleisch und stehe an der Schwelle zur Massenmarktfähigkeit.
In Family Foods sieht sich hier auf gutem Wege: „Im Labor können wir aus Zellkulturen ein Kilo Fleisch für drei bis fünf Euro züchten“, sagte Geschäftsführer Kühnl kürzlich dem Handelsblatt. „Wir konnten die Kosten für Nährmedien bereits auf ein Tausendstel senken.“
Es sei gelungen, Wachstumsproteine durch Präzisionsfermentation mithilfe von Bakterien günstig herzustellen. Perspektivisch ließen sich diese auch in Pflanzen züchten. Schon lange benötigt die Branche keine Tierföten in Nährmedien mehr, um die Zellen zum Teilen anzuregen.
Die ehemaligen Konkurrenten haben sich 2020 zusammengeschlossen. Heute ist In Family Foods mehr als ein Wursthersteller.
(Foto: InFamilyFoods)
Massenproduktion und akzeptable Preise im Vergleich zu Schlachtfleisch gelten als die größten Herausforderungen für kultiviertes Fleisch. „Diese Hindernisse können wir beseitigen“, meint Hami Noori, Chef von The Cultivated B.
Singapur und USA sind Vorreiter für In-vitro-Fleisch
Die Branche machte zuletzt große Fortschritte in Richtung Marktfähigkeit. Im Juli hat das israelische Start-up Aleph Farms in der Schweiz die Zulassung seiner kultivierten Rindersteaks beantragt. Diese sollen einmal mit der Supermarktkette Migros verkauft werden. Einen Monat später folgte der Antrag in Großbritannien.
In den USA darf seit Ende Juni erstmals kultiviertes Fleisch produziert und verkauft werden. Das US-Landwirtschaftsministerium hatte Hähnchenfleisch der kalifornischen Hersteller Good Meat und Upside Foods offiziell zugelassen.
Nach Singapur sind die USA erst das zweite Land weltweit, in dem Fleisch aus Zellkulturen verkauft werden darf. 2020 hatte der Stadtstaat kultiviertes Hähnchenfleisch von Eat Just, der Mutterfirma von Good Meat, genehmigt.
„Im Labor können wir aus Zellkulturen ein Kilo Fleisch für drei bis fünf Euro züchten“, sagt In-Family-Foods-Geschäftsführer Wolfgang Kühnl.
(Foto: InFamilyFoods)
Entscheidend für den Durchbruch von im Bioreaktor gezüchtetem Fleisch ist die Akzeptanz der Verbraucher: Rund ein Drittel der Deutschen wäre bereit, Fleisch aus Zellkulturen in ihren Speiseplan aufzunehmen, zeigt eine aktuelle Umfrage des Marktforschers Ipsos. Je jünger die Befragten sind und je mehr Fleisch sie essen, umso aufgeschlossener zeigen sie sich. Als Vorteile nennen die Befragten die Vermeidung von Tierleid, eine nachhaltigere Zukunft und Klimaschutz.
Gut für Tierwohl und Umwelt
In der Ökobilanz schneidet In-vitro-Fleisch deutlich besser ab als Schlachtfleisch. Wird grüner Strom genutzt, schrumpft der CO2-Fußabdruck von Rindfleisch um bis zu 92 Prozent. Das ermittelten die Forschungsberatung CE Delft und das GFI. Außerdem wird im Vergleich zur Tierzucht Land und Wasser gespart, und Antibiotika wie in der Massentierzucht sind unnötig.
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Die klassische Schinken- und Wurstsparte von In Family Foods mit zuletzt 735 Millionen Euro kämpft derweil mit Problemen. Schweinefleisch wird immer teurer, zugleich geht der Konsum deutlich zurück. Das Unternehmen mit 2750 Beschäftigten baut deshalb mehr als ein Fünftel seiner Kapazitäten ab. Das Wurstwerk in Vörde und das Schinkenwerk in Lörrach schließen.
Stattdessen investieren die Unternehmer Kühnl und Reinert kräftig in kultiviertes Fleisch. The Cultivated B ist mit einem zweistelligen Millionenbetrag aus ihrem Privatvermögen für drei Jahre durchfinanziert. In einem Jahr steht die Anschlussfinanzierung an. Kühnl sagt: „Wir sind offen für Investoren – gerne ein Family-Office.“
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