Frankfurt Die neue Erkältungssaison naht – und zum ersten Mal sind Impfstoffe zur Vorbeugung einer Infektion mit dem Atemwegsvirus RSV einsatzbereit. Das Respiratorische Synzytial-Virus hatte im vergangenen Winter insbesondere bei Neugeborenen und Säuglingen schwere Infektionen ausgelöst. Nach Hochrechnungen der Krankenkasse DAK mussten rund 17.000 Neugeborene und Säuglinge im Krankenhaus behandelt werden. Der Anteil kleiner Kinder auf den Intensivstationen stieg um 350 Prozent.
Die Impfstoffe kommen vom US-Pharmakonzern Pfizer und der britischen Glaxo-Smithkline (GSK). Das Pfizer-Produkt Abrysvo ist für Schwangere vorgesehen, die den Immunschutz im Mutterleib und später über das Stillen an den Säugling weitergeben. Zusätzlich ist der Impfstoff zur aktiven Immunisierung von Personen ab 60 Jahren geeignet. Das GSK-Vakzin Arexvy ist ebenfalls für diese Altersgruppe angedacht, jedoch nicht für Schwangere zugelassen.
Zudem ist seit diesem Monat ein neuer Antikörper von Astra-Zeneca und Sanofi verfügbar, der Säuglinge in ihrer ersten RSV-Saison vor dem Erreger schützen kann.
RSV ist ein weit verbreitetes Atemwegsvirus, das in der Regel nur leichte, erkältungsähnliche Symptome hervorruft. Bei infizierten Kindern und älteren Erwachsenen kann es jedoch zu schwerwiegenden Folgen kommen: Die Infektion kann Bronchiolitis, eine Atemwegsinfektion der unteren Atemwege, und Lungenentzündung verursachen und zu Anfällen von Atemnot führen, die tödlich enden können.
Für die Pharmaunternehmen tut sich mit den Impfstoffen ein potenzieller Milliardenmarkt auf. Das Marktforschungs- und Beratungsunternehmen Airfinity schätzt, dass in diesem Jahr in den G7-Staaten bereits ein Umsatz von rund 900 Millionen Dollar erreicht werden könnte. Zum Ende des Jahrzehnts sollen es 10,5 Milliarden Dollar sein.
RSV-Impfung: Stiko spricht noch keine Empfehlung aus
Der Pfizer-Impfstoff soll nach Angaben des Unternehmens ab Oktober in Deutschland zur Verfügung stehen. Bei der Impfung für Schwangere werden die schützenden Antikörper über die Plazenta auf das Kind übertragen. Mit dieser passiven Immunisierung werden Säuglinge von der Geburt bis zum Alter von sechs Monaten geschützt, während das Immunsystem noch nicht ausgereift ist.
Im vergangenen Winter waren fast 80 Prozent der wegen RSV intensivmedizinisch behandelten Kinder jünger als ein Jahr. Neugeborene im Alter bis drei Monate stellten mit 59 Prozent die am stärksten betroffene Gruppe.
In Deutschland wird es in diesem Winter noch keine Empfehlung der Ständigen Impfkommission geben.
(Foto: AP)
Die Ergebnisse der Zulassungsstudie zeigen, dass der Impfstoff bei Säuglingen innerhalb von 180 Tagen nach der Geburt sowohl generell die Zahl der von RSV ausgelösten Erkrankungen der unteren Atemwege als auch die Zahl der schweren Erkrankungen der unteren Atemwege wirksam reduzierte. Zu den häufigsten Nebenwirkungen der Impfung bei Schwangeren zählten laut Paul-Ehrlich-Institut Schmerzen an der Impfstelle, Kopfschmerzen und Muskelschmerzen.
Von der Ständigen Impfkommission (Stiko) wird es allerdings in dieser Saison noch keine Empfehlung für die Impfung geben. Man erarbeite sich gegenwärtig die verschiedenen Aspekte, die dafür erforderlich seien, sagt der Virologe Klaus Überla, Sprecher der Arbeitsgruppe RSV: „Wir wollen verstehen, inwieweit die Impfstoffe auch die Verbreitung in der Bevölkerung beeinflussen. Und dann gilt es, für verschiedene Indikationsgruppen Risiko-Nutzen-Abwägungen durchzuführen.“
>> Lesen Sie auch: Sorge vor „Eris“ und BA.2.86 – „Dann fangen wir wieder von vorne an“
Insbesondere beim Pfizer-Impfstoff soll noch tiefergehend analysiert werden, inwieweit dieser für Schwangere ein höheres Risiko einer Frühgeburt mit sich bringen könnte.
In den bisherigen Studien des Unternehmens sei das statistisch zwar nicht signifikant gewesen. Es habe jedoch in der Gruppe der Schwangeren, die den Impfstoff bekamen, etwas mehr Frühgeburten gegeben als bei den Frauen, denen ein Scheinmedikament verabreicht wurde. „Aufgrund der vorliegenden Daten ist es schwierig, dieses Risiko abschließend zu bewerten“, sagt Überla.
Prophylaxe für Säuglinge und Kleinkinder
Für alle Säuglinge und Kleinkinder gibt es seit September auch die Möglichkeit einer Prophylaxe mit dem Antikörperpräparat von Sanofi und Astra-Zeneca. Das Biologikum mit dem Handelsnamen Beyfortus (Wirkstoff Nirsevimab) hemmt den Prozess des Viruseintritts. Nach einer Injektion werden Säuglinge für mindestens fünf Monate vor RSV-Erkrankungen der unteren Atemwege geschützt, wie die Zulassungsstudie zeigte.
Den Ergebnissen zufolge wird das Mittel gut vertragen. Die häufigsten Nebenwirkungen wie Hautausschlag, Fieber oder Reaktionen an der Injektionsstelle kommen bei weniger als einem Prozent der Kinder vor und seien von meist leichter bis mittlerer Intensität, heißt es von Experten.
Das Antikörperpräparat hemmt den Prozess des Viruseintritts.
(Foto: AP)
Der Pfizer-Impfstoff Abrysvo ist ein sogenannter rekombinanter bivalenter Impfstoff, bei dem bestimmte Proteine aus der Virushülle der beiden RSV-Stämme A und B künstlich mithilfe von gentechnisch veränderten Mikroorganismen hergestellt werden. Diese Proteine fungieren als Hauptziele der Antikörper, die zur Bekämpfung der Virusinfektion gebildet werden.
GSK-Impfstoff ist bereits seit August verfügbar
Bereits seit August ist der GSK-Impfstoff Arexvy in Deutschland verfügbar. Das Mittel, das für Menschen ab 60 Jahren gedacht ist, enthält eine gentechnisch veränderte Version des sogenannten Fusionsproteins, das für die Infektion mit RSV unerlässlich ist. Gegen dieses Protein bildet das Immunsystem Antikörper zum Schutz vor der Infektion. Zusätzlich enthält der Impfstoff auch einen Wirkverstärker, der die Immunreaktion erhöht.
Der Bedarf an RSV-Impfstoffen wird von den Airfinity-Marktforschern als hoch eingeschätzt. Als weiterer Anbieter will auch Moderna in den Markt kommen. Das US-Unternehmen hat für sein Vakzin, das auf der beim Corona-Impfstoff erprobten mRNA-Technologie basiert, in den USA, Europa und verschiedenen anderen Ländern Zulassungsanträge eingereicht. Der Marktstart werde im kommenden Jahr erwartet.
Mehr: Werden Medikamente im Winter wieder knapp?