Darauf verbreiten sie sich unbemerkt im Internet, wobei die Amerikaner das Leck über einen Monat lang nicht bemerken. Nun ringen sie mit einem großen Geheimdienstskandal und suchen hektisch nach Verantwortlichen.
Dass der Geheimnisverrat für die Amerikaner eine riesige Peinlichkeit darstellt und ihren Interessen schadet, steht dabei ebenso außer Frage wie die Echtheit der meisten Papiere. Ihre Veröffentlichung schafft Misstrauen und Unsicherheit – innerhalb des Washingtoner Apparats, in den Beziehungen zu den Verbündeten und in der Öffentlichkeit.
Dies wird für den weiteren Verlauf des Ukrainekriegs größere Bedeutung haben als der eigentliche Inhalt der Papiere.
Die Unsicherheit beginnt damit, dass niemand weiß, ob das Leck gestopft ist oder ob neben den etwa 100 bereits publizierten Dokumenten noch weitere auftauchen. Auf manchen Plattformen wurden sie gelöscht, auf anderen zirkulieren sie weiter, wobei mindestens eines nachträglich manipuliert wurde.
Entsprechend schwer überprüfbar sind die Enthüllungen der federführenden amerikanischen Medien. Es liegt in der Natur der Sache, dass die Behörden sie höchstens anonym bestätigen.
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Auch die Frage, wer hinter der Veröffentlichung steckt, ist nicht eindeutig zu beantworten. Zwar gehört es zur konspirativen Aura von Geheimdienstaffären besonders im postsowjetischen Raum, dass die Hauptbeteiligten auch als Hauptverdächtige gelten: So wittern ukrainische Journalisten eine Desinformationskampagne aus Moskau und anonyme amerikanische Regierungsquellen eine russische Verantwortung für das Leak, während russische Blogger eine Inszenierung der Amerikaner vermuten.
Beide würden aber mit der Veröffentlichung eigene Sicherheitsinteressen verletzen. Wieso sollte etwa der Kreml Dokumente ins Netz stellen lassen, die über ein geheimes ägyptisches Raketenprogramm für Russland und die katastrophalen Schwächen der eigenen Armee berichten?
Und weshalb sollten die USA Details über die Bespitzelung von Verbündeten und ihre tiefe Durchdringung der Moskauer Sicherheitsdienste publizieren, die der Gegenspionage möglicherweise die Enttarnung von Agenten erlaubt? Trotz vieler Unsicherheiten spricht doch einiges für einen Einzeltäter.
Bisherige Kriegsbilanz: Mindestens 8500 tote Zivilisten
Die größte Wirkung dürften die Dokumente für das Verhältnis der USA und der Ukraine zeigen. Dass die Amerikaner Präsident Selenski bespitzelten, dürfte diesen ebenso verärgern wie deren Skepsis über die Erfolgschancen der geplanten Gegenoffensive.
Die russische Propaganda und Militärführung wird sich hingegen über die Details zur Ausrüstung neuer gegnerischer Einheiten mit westlichen Waffen, zu den Schwächen der ukrainischen Luftverteidigung und zur Präsenz von fast 100 Angehörigen westlicher Spezialkräfte im Kriegsland freuen.
Offene Geheimnisse
Und doch fällt auf, wie ruhig Kiew reagiert und die Leaks sogar für seine Zwecke nutzt: So meinte ein Sprecher der Luftwaffe, der Westen wisse ja, was zu tun sei, um die Verteidigungsfähigkeit des Verbündeten zu stärken.
Diese Gelassenheit mag teilweise aufgesetzt sein, schließlich hat die Ukraine angesichts ihrer Abhängigkeit von den USA von einer vertieften Diskussion der Indiskretionen wenig zu gewinnen und hätte manche Details lieber geheim gehalten.
Dennoch ist ein Aufatmen zu spüren, dass die Leaks primär offene Geheimnisse enthüllen, die Experten kaum überraschen. So ist der Munitionsmangel der Ukraine seit Langem ebenso bekannt wie die langsame Lieferung westlicher Kampffahrzeuge.
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Die Karten, die Militärstellungen an der Front zeigen, sind zudem weniger detailliert als manche, die Spezialisten für „Open Source Intelligence“ auf einschlägigen Plattformen erstellt haben. Details über die geplanten Gegenoffensiven finden sich nicht.
Dennoch sollte man die Wirkung der Lecks nicht unterschätzen: Wie kaum ein Krieg zuvor wird jener in der Ukraine um die Deutungshoheit in der Öffentlichkeit geführt. Für die ukrainische Moral im Freiheitskampf bleibt die Unterstützung aus dem Ausland zentral.
Diese wird durch die „Pentagon-Leaks“ wohl prekärer, da sich in wesentlichen Teilen der globalen Öffentlichkeit das Bild verstetigen dürfte, dass der Ukrainekrieg von den Amerikanern gegen die Russen geführt wird, die dafür ihre zurückhaltenden Partner unter Druck setzen.
Der Anreiz für andere Länder, mehr Verantwortung zu übernehmen, sinkt damit, die ukrainische Abhängigkeit von den Amerikanern steigt potenziell. Gleichzeitig schüren die Dokumente das Misstrauen zwischen Kiew und Washington.
Dadurch dürften sie zu einem verringerten Informationsfluss untereinander beitragen, der die Allianz anfälliger für Fehlkalkulationen macht. Eine genaue Abstimmung bleibt aber für den Erfolg der Ukraine zentral.
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