Die Dokumenten-Leaks werfen ein schlechtes Licht auf den US-Präsidenten.
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Washington Täglich werden neue Details über das Riesenleck im amerikanischen Sicherheitsapparat bekannt: Ein 21-jähriger Nationalgardist soll auf der Videospiel-Plattform Discord die Regierungsgeheimnisse verbreitet haben, die die USA in eine Vertrauenskrise stürzten. Am Freitag muss der mutmaßliche Verursacher vor Gericht erscheinen.
Doch mit der Anklage, die Aufschluss über die Motive und Methoden des Verdächtigen geben könnte, ist der Schaden der Pentagon-Affäre noch lange nicht behoben. Seit den Snowden-Enthüllungen gab es keine US-Geheimdienstaffäre mehr in diesem Ausmaß: Seit Wochen kursieren Dutzende, teils als hochgeheim eingestufte US-Dokumente im Netz, die tiefe Einblicke in das Kriegsgeschehen in der Ukraine geben.
Ihre Veröffentlichung ist ein beunruhigendes Signal an die Geheimdienstallianz Five Eyes, ein Bündnis der USA mit Australien, Kanada, Neuseeland und Großbritannien. Auch deutsche Behörden sind in ihrer Terror- und Verbrechensbekämpfung auf die Amerikaner angewiesen. Doch die internationale Kooperation hängt auch davon ab, dass hochsensible Informationen beim mächtigsten Partner gut aufgehoben sind.
Die Pentagon-Leaks zeigen jetzt, dass der gigantische Sicherheitsapparat der USA offenbar dilettantisch geschützt wird, wenn ein Militärangehöriger mit niedrigem Rang kriegsrelevante Informationen einfach so mit seinen Gamer-Freunden teilen kann. Auch soll das Leak über Wochen niemandem in den US-Ministerien aufgefallen sein, was für sich genommen schon ein Skandal ist.
In Zeiten, in denen die USA ihre nationale Sicherheit mehr denn je beschwören, wirkt die Affäre fast schon ironisch: Die Aufregung über den chinesischen Spionageballon war gewaltig und die USA verbannen China immer aggressiver aus ihren Hightech-Branchen. Doch ausgerechnet ein US-Amerikaner, der erst seit einigen Monaten legal Alkohol kaufen darf, bringt nun die nationale Sicherheit der USA in Gefahr.
Schnüffeln unter Freunden: Noch immer Realität
Die geleakten Dokumente sind zugleich ein alarmierendes Signal für die westliche Unterstützung der Ukraine. Denn die Papiere zeichnen das Bild einer zunehmend erschöpften Armee, deren Flugabwehr dramatisch geschwächt ist, und die womöglich nicht in der Lage sein könnte, die von Russland besetzten Gebiete zurückzuerobern.
Je länger der Krieg andauert, darauf deuten die Geheimdiensterkenntnisse hin, desto schwieriger wird es, die Verteidigung aufrecht zu erhalten. Die Debatte um zusätzliche Waffenlieferungen oder Kampfjets könnte deshalb schon bald wieder aufflammen.
Ein 21-jähriger Nationalgardist soll auf der Videospiel-Plattform Discord die Regierungsgeheimnisse verbreitet haben. Er wurde am Donnerstag festgenommen.
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Die Affäre untergräbt außerdem das Leitmotiv von US-Präsident Joe Biden, die Welt sei eindeutig aufgeteilt in gute Demokratien und feindliche Autokratien. In Wahrheit verlaufen die Grenzen fließend, denn auch seine eigene, die mächtigste Demokratie der Welt, schnüffelt in befreundeten Ländern und verfolgt Eigeninteressen.
Nach den Snowden-Leaks stellte sich heraus, dass die USA unter anderem enge Partner wie Brasilien, Deutschland und Mexiko ausspionierten. Die neuen Dokumente zeigen, dass die USA offenbar noch immer Verbündete wie die Ukraine, Südkorea und Israel verdeckt beobachten. Das ist keine Überraschung, aber eine Realität, die in den Beziehungen zu den USA einkalkuliert werden muss.
Vor allem aber entblößt die Dokumentenaffäre den Hochmut der US-Regierung. Die Geheimdienste sind nicht unfehlbar, das wissen wir spätestens seit dem Irak-Krieg. Trotzdem lenken US-Präsidenten über ihre Geheimdienste die Weltpolitik, Biden ist da keine Ausnahme.
So warnte die US-Regierung kürzlich, dass China erwäge, Russland mit Waffen und Munition für den Ukrainekrieg zu beliefern. Belege für diesen Verdacht veröffentlichte Washington bis heute nicht.
Ähnlich verhielt es sich mit dem Vorwurf, das Corona-Virus sei die Folge eines chinesischen Laborunfalls. Diese Theorie halten einige US-Behörden für plausibel, doch erst auf Drängen des US-Kongresses sollen die Erkenntnisse darüber bald öffentlich gemacht werden.
Die US-Geheimdienste sind ein mächtiges Instrument, die insgesamt 18 US-Einzeldienste und geheimdienstlichen Unterbehörden haben ein Jahresbudget von fast 90 Milliarden US-Dollar. Dafür sollten sie zumindest diesen Anspruch erfüllen: sicher sein gegen Leaks und Hacks, und transparent sein, wenn es erforderlich ist.
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