Silicon Valley Bank, Signature Bank, First Republican Bank – kaum jemand hätte erwartet, dass gerade diese drei amerikanischen Regionalbanken die nächste Finanzkrise auslösen. Auch wenn mit der Schweizer Großbank Credit Suisse ein internationales Schwergewicht hinzugekommen ist, hat die Finanzkrise ihren Ursprung wieder einmal in den USA. Für eine abschließende Analyse der Hintergründe und globalen Folgen ist es zwar noch zu früh. Doch schon jetzt kann mit einigen Mythen aufgeräumt werden.
Ein erster, besonders häufig bemühter Mythos läuft darauf hinaus, jede Regulierung koste Geschäft. Banken mit weniger Regulierungsvorschriften und einer laxeren Aufsicht, so heißt es, könnten profitabler agieren und seien wettbewerbsfähiger. Die aktuelle Krise beweist das Gegenteil: Einlagen werden in den USA teilweise im Rekordtempo von den weniger intensiv beaufsichtigten Regionalbanken zu den Branchengrößen transferiert, die nicht in den vermeintlichen Genuss regulatorischer Erleichterungen in der Amtszeit von Präsident Donald Trump gekommen sind. Im Zusammenhang mit diesem Mythos steht die Behauptung, europäische Regulierer sollten es ihren amerikanischen Counterparts gleichmachen und durch eine weichere Regulierung die
Wettbewerbsfähigkeit der Banken erhöhen. Fakt ist: Europäische Banken profitieren in Zeiten großer Unsicherheit davon, dass die Frage nach weiteren versteckten Risiken und daraus resultierenden zusätzlichen Abschreibungen viel weniger dringlich gestellt wird als bei den US-Regionalbanken.
Das Risiko eines Bankensturms
Ein zweiter Mythos ist, dass Einlagen „klebrig“ seien und den Banken wegen der „Trägheit“ ihrer Einleger lange genug zur Verfügung stünden. Die Fälle der amerikanischen Regionalbanken sowie der Credit Suisse zeigen: Das ist, besonders in heutigen Zeiten, nicht der Fall.
Denn Einlagen können anders als in früheren Krisen per digitalem Knopfdruck sekundenschnell von einer zur anderen Bank transferiert werden. Hinzu kommt: Das Risiko eines Bankensturms ist umso höher, wenn ein nennenswerter Anteil der Einlagen wegen ihrer Größe nicht versichert ist und die Einlagen wie bei der Silicon Valley Bank von gleichgerichteten Gruppen, etwa der Start-up-Szene, stammen.
Der dritte Mythos behauptet, das Prinzip „too big to fail“ gehöre der Vergangenheit an. Die Notrettung der Credit Suisse beweist das Gegenteil. Schlimmer noch: In diesem Fall wurde die allseits erwartete Haftungsreihenfolge nicht eingehalten. Bereits angekündigte Rechtsstreitigkeiten dürften sich über Jahre hinziehen. Die Unruhen im Anleihemarkt nötigten europäischen Behörden eine Klarstellung zur Haftungsreihenfolge außerhalb der Schweiz ab. Hier wurde bereits viel Vertrauen in einem systemisch wichtigen Finanzsegment verspielt.
Ein vierter Mythos lautet, die Märkte hätten immer recht. Wenn etwa die Kosten für Kreditausfallversicherungen hochgingen, müsse bei einer Bank schon etwas faul sein.
Oft ist das zwar so, die Effizienz von Märkten hängt aber hochgradig von ihrer Liquidität ab. Wenn im Fall der Deutschen Bank, die sich in allen relevanten Kennzahlen positiv von der Credit Suisse unterscheidet, schon Einsätze in einstelliger Millionenhöhe ausreichen, um ein Kursbeben auszulösen, sind Regulierer gefragt, die Effizienz der Märkte genauer unter die Lupe zu nehmen. Das heißt nicht, Leerverkäufe leichtfertig zu verbieten. Man denke nur an die unselige deutsche Entscheidung bei Wirecard. Doch es lohnt sich, genauer hinzuschauen.
China ist kein sicherer Hafen
Dem fünften Mythos zufolge werden sich Europa und China schon wegen der Probleme der US-Banken zu sicheren Finanzhäfen entwickeln. Dem steht entgegen, dass auch europäische Banken mit massiven Herausforderungen kämpfen, weil sie zu stark in Staatsanleihen investieren. Den in der 2010 ausgebrochenen Euro-Krise gefürchteten Teufelskreis zwischen Banken und Staaten gibt es nach wie vor. Die europäischen Banken konzentrierten sind damals wie heute zu stark auf ihre Heimatländer. Den Binnenmarkt für Finanzdienstleistungen zu vollenden wäre deshalb eine wichtige Lehre aus der jetzigen Krise.
Die Behauptung schließlich, internationales Kapital suche in Zeiten von Finanzmarktturbulenzen China als sicheren Hafen, übersieht wesentliche Aspekte. China hat zwar tatsächlich massive Anstrengungen unternommen, sein Finanzsystem unabhängiger von den USA aufzustellen.
Aber die rechtlichen, politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen lassen internationale Investoren mit Blick auf die Volksrepublik eher vorsichtig agieren – gerade in Zeiten, in denen die Zinsen in den USA weiter steigen.
Keine Krise ist so wie die letzte. Und Krisen entstehen immer wieder dort, wo man sie nicht zuerst erwartet hat. Umso wichtiger ist es, aus aktuellen Krisen neue Erkenntnisse zu gewinnen und sie für Reformen der internationalen Finanzmärkte zu nutzen.
Der Autor: Jörg Rocholl ist Präsident der European School of Management and Technology Berlin.
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