München, Herzogenaurach Der Termin in Herzogenaurach sollte für einen Neuanfang sorgen. Adidas-Chef Björn Gulden hatte kürzlich die wichtigsten Fachhändler auf den fränkischen Firmencampus geladen. Beim Abendessen sorgte Skilegende Mikaela Shiffrin für Glamour und Gulden für gute Stimmung. Er setzte setzte an jeden Tisch und hörte sich geduldig an, was die Adidas-Partner zu sagen hatten.
Gulden hörte einiges an Ärger über seinen Vorgänger Kasper Rorsted. Der hatte sich nämlich weniger für die Fachhändler als für das Onlinegeschäft interessiert. „Wir haben euch groß gemacht, und jetzt schließt ihr uns aus“, sei das Gefühl bei vielen gewesen, sagt ein Adidas-Partner. Eine regelrechte Wut habe sich bei den Fachhändlern aufgestaut.
Rorsteds Online-first-Strategie scheiterte. Der Däne musste Ende 2022 seinen Stuhl räumen, der vom zuletzt erfolgreichen Konkurrenten Puma abgeworbene Gulden übernahm.
Der umgarnt mit einem großen strategischen Schwenk jetzt die zuletzt verschnupften Fachhändler. Im „Future Lab“ gewährte Gulden seinen Besuchern einen ungewöhnlich frühen und tiefen Einblick in die Herbst- und Winterkollektion. „Es war eine 180-Grad-Wendung im Vergleich zu einem Treffen vor einem Jahr“, sagte ein Teilnehmer dem Handelsblatt.
Die Charmeoffensive in Herzogenaurach ist wohl kalkuliert. Der neue Vorstandschef muss die lahmenden Geschäfte wieder in Schwung bringen. Zwar verkündete der Konzern am Freitagabend, einen Teil der verbliebenen „Yeezy”-Produkte aus der Zusammenarbeit mit dem umstrittenen Rapper Kanye West noch im Mai zu verkaufen. Der Erlös soll zu einem guten Teil an Organisationen gespendet werden, die sich gegen Rassismus und Antisemitismus engagieren. Doch muss der Konzern perspektivisch Ersatz finden für die Milliardenumsätze, die er früher mit West gemacht hat.
Um Adidas wieder zu alter Stärke zu führen, hat Gulden in seinen ersten vier Monaten bislang keine größeren strukturelle Umbauten vorgenommen – der große Wurf kommt erst noch. Eine neue Strategie in Nachfolge von Rorsteds gescheiterter Mittelfristplanung „Own the Game“ werde es voraussichtlich aber erst Anfang des nächsten Jahres geben.
Das Ende der Kooperation mit dem umstrittenen Rapper Kanye West belastet den Konzern weiterhin.
(Foto: AP)
Doch zeigt ein tiefer Blick ins Unternehmen, wie sehr Gulden hinter den Kulissen bereits wirkt und wie weitreichend sein Kurswechsel ist. Ob es ausreicht, die angeschlagene Weltmarke wieder auf Kurs zu bringen, muss sich erst noch erweisen.
1. Die Händler stehen bei Adidas ab sofort an erster Stelle
Rorsted hatte voll auf „D2C“ (Direct to Customer) gesetzt. Priorität hatte für ihn also der Ausbau der eigenen Onlineshops. „Own the Game“ sah eine Verdoppelung des E-Commerce-Umsatzes bis 2025 auf acht bis neun Milliarden Euro vor. Besonders heiße Produkte wurden zuerst exklusiv online verkauft – die Händler mussten sich, erst recht zu Verknappungszeiten in der Pandemie, hinten anstellen.
Im ersten Quartal lag der D2C-Anteil von eigenem Onlineshop und eigenen Läden bei gut einem Drittel. „Das wird auch erst einmal so bleiben“, sagt ein Insider. Denn Gulden betont bei jeder Gelegenheit: „Wir müssen den Handel wirklich, wirklich, wirklich wieder ernst nehmen.“ Jugendliche, die Fußball spielen, wollten in einem Geschäft die Modelle von verschiedenen Herstellern vergleichen.
Der Manager hatte voll auf den Ausbau der eigenen Onlineshops gesetzt.
(Foto: dpa)
Daher bekommen die Händler nun frühe Einblicke und als Erste die neuesten Produkte. Die Gesprächspartner im Adidas-Vertrieb wirkten teilweise wie entfesselt, sagt ein Händler. „Die waren ja teilweise selber nicht glücklich mit der Situation.“
Damit auch die Händler ebenso wie die Zulieferer und Produzenten ihren fairen Anteil bekommen, ist Gulden explizit bereit, auf die ganz hohen Margen zu verzichten. Zweistellige Renditen müssten für Adidas wieder möglich sein, sagte er bei der Hauptversammlung. „Aber lass uns mit zehn Prozent zufrieden sein, statt 17 zu machen.“ Die Händler, sagt ein Adidas-Manager, trügen ja auch einen Teil des Risikos. So lagert Ware bereits verkauft bei ihnen, statt die Lager von Adidas selbst zu belasten.
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Die großen Händler freuen sich über den neuen Kurs. „Der Fokus ist ein ganz anderer“, sagt Sport2000-Geschäftsführer Dominik Solleder. Gulden habe schnell gezeigt, dass er es ernst meine, wieder stärker auf den Fachhandel als Partner zu setzen. „Die Wertschätzung ist wieder hoch.“
2. Björn Guldens Team steht – fürs Erste
Auch personell hat Gulden bislang nur punktuell, aber konsequent Akzente gesetzt. In seiner Karriere habe der Norweger fast nie Vertraute von seinem alten Unternehmen nachgeholt, um sich eine Hausmacht zu schaffen, sagt ein Vertrauter. „Das war nie sein Stil. Er arbeitet erst einmal mit dem bestehenden Personal.“
Doch hat Gulden in kurzer Zeit das Team umgebaut. Seine wichtigste Mission ist es, die Marke zu alter Stärke zu führen. Als er bei seinem ersten großen Auftritt den neuen Markenvorstand (Global Brands) präsentierte, warf er schmunzelnd ein Foto von sich selbst an die Wand. „Die Markenführung gehört in die Hände des CEO.“
Vorgänger Brian Grevy galt intern einigen als überfordert – und als Rorsted-Mann. Der Däne hatte seinen Landsmann erst 2020 zu Adidas zurückgeholt. Auch der langjährige Vertriebsvorstand Roland Auschel nahm nach 33 Jahren bei Adidas seinen Hut. Der Manager wurde mit Lob verabschiedet und nahm den Wechsel sportlich: Beim Lauf-Event vor wenigen Wochen feuerte er die Ex-Kollegen auf dem Campus in Herzogenaurach an.
Guldens Schwenk in Richtung Händler soll Arthur Hoeld vollziehen, den der neue CEO noch aus seiner ersten Station bei Adidas kennt. Geblieben ist Martin Shankland. Der Australier hatte sich wie Rorsted den Ruf erworben, etwas ruppig zu führen und galt als Wackelkandidat. Doch bislang konnte er Gulden laut Unternehmenskreisen fachlich überzeugen. Vielleicht, sagt ein Insider, schaue er sich ja auch etwas von Guldens kollegialem Führungsstil ab.
Finanzvorstand Harm Ohlmeyer ist ohnehin weiterhin gesetzt und genießt Guldens volles Vertrauen. Auch Personalchefin Amanda Rajkumar gehört erst einmal weiter zum Team. Man müsse abwarten, ob die Chemie zwischen ihr und Gulden stimme, sagt aber ein Insider. Die Britin kam vor zwei Jahren von BNP Paribas. Die Mission ist heikel. Bei Adidas gab es heftige interne Black-Live-Matters-Debatten, in deren Folge Rajkumars Vorgängerin Karen Parkin nach 23 Jahren bei Adidas ging.
Bei der Hauptversammlung wollte zudem Ines Straubinger von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz wissen, ob Rajkumar für die Betreuung Kanye Wests zuständig gewesen sei, von dem sich Adidas nach antisemitischen Äußerungen getrennt hatte, und was sie wann unternommen habe. Aufsichtsratschef Thomas Rabe berichtete bei der Hauptversammlung, Vorwürfe, Adidas-Manager hätten früh von Wests Umtrieben gewusst, aber nichts unternommen, hätten sich „nicht substanziiert“. Doch ist der Skandal noch nicht final ausgestanden.
3. Marke und Produkte im Fokus statt reinem Shareholder-Value
Die ganz schnelle operative Wende ist für Adidas auch unter neuer Führung nicht möglich. Aktuell werden Kollektionen verkauft, die noch unter Rorsted entwickelt wurden. Doch hat Gulden klargestellt, dass für ihn Produkt und Marke oberste Priorität haben – bei Rorsted war es vor allem der Shareholder-Value. Es sei nicht in seinem Sinne, wenn Strategieabteilungen 200 Mitarbeitende hätten, aber gleichzeitig in Entwicklung, Marketing und Vertrieb Personal fehle oder abgebaut werde, soll Gulden intern gesagt haben.
„Björn hat eine unheimliche Kenntnis der Produkte und ist als erster Markenbotschafter glaubwürdig“, meint ein Adidas-Manager. Als Ex-Fußballer kenne er den Profisport von innen, bei Deichmann war er ein wichtiger Kunde, bei Puma beobachtete er den Konzern aus der Konkurrenzperspektive. „Ihm glaubt man, wenn er sagt, er liebe das Unternehmen und den Sport.“
Eines der Ziele Guldens ist es laut Unternehmenskreisen, neue Produkte schneller auf den Markt zu bringen. Dazu reiste er zu Zulieferern in Asien. Diese müssten flexibler werden, um künftig schneller auf Trends reagieren zu können.
Auf Produktseite setzt Gulden laut Unternehmenskreisen künftig stark auf Vintage- und Originals-Modelle aus der Adidas-Historie wie zum Beispiel die neu aufgelegten Schuhe „Samba“ und „Gazelle“. Sportartikelhersteller wie Nike und Puma setzen schon lange auf solche Retrotrends, das galt auch für Rorsted.
Doch will Gulden zügiger auf den Markt reagieren. „Er fährt jetzt schneller die Produktion hoch“, sagt einer aus dem Umfeld. „Rorsted hätte erst einmal seine Schlaumeier-Berater gefragt, die 5000 Kennziffern geprüft hätten.“ Zudem will Gulden stärker auch Randsportarten und speziell für regionale Märkte entwickelte und angepasste Produkte verkaufen. Bei der Hauptversammlung lief Personalvorständin Rajkumar bereits mit einem knallgrünen Trainingsanzug mit chinesischen Schriftzeichen herum.
4. Bessere Stimmung soll jetzt für mehr Kreativität sorgen
Bei den Mitarbeitern kommt das gut an. Gulden ist sehr präsent auf dem Campus. Mit einem chinesischen Fabrikanten radelt er auch einmal über das Gelände. Beim Lauf-Event „Road to Records“ lief er nach einem Langlauf-Unfall wenige Tage zuvor mit den Kollegen die Fünf-Kilometer-Strecke mit zerschundenem Gesicht und lädierter Schulter. Zwei Wochen später musste die Schulter operiert werden – und Gulden postete ein Foto aus dem Krankenhaus.
„Unsere Branche ist zu 50 Prozent rational, zu 50 Prozent emotional“, sagte er dem Handelsblatt. Und so profitiert Adidas in diesem schwierigen Jahr davon, dass Händler, Mitarbeiter und Investoren dem neuen CEO einen großen Vertrauensvorschuss geben.
Trotz Blessuren nahm der neue Konzernchef an einem internen Lauf-Event teil.
(Foto: Adidas)
So könnte Gulden auch ohne die ganz einschneidenden Veränderungen die Wende gelingen. Die Erwartungen für das laufende Jahr hat er sehr niedrig gehängt – ein Umsatzrückgang im hohen einstelligen Bereich, ein möglicher operativer Verlust von bis zu 700 Millionen Euro. Die Chancen sind nun groß, diese im Lauf des Jahres zu übertreffen. „Gulden hat schon immer sehr konservativ prognostiziert“, sagt einer, der mit ihm zusammengearbeitet hat.
Ab dem nächsten Jahr könnte es dann wieder aufwärtsgehen. „Die positive Strahlkraft der Marke hat zuletzt beim Fachhandel etwas gelitten“, sagt Sport2000-Geschäftsführer Solleder. Doch die Branche verzeihe auch schnell. „Wenn die Glut noch warm ist, kann man das Feuer auch leicht wieder entfachen. Und das ist bei Adidas sehr wohl der Fall.“
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