Berlin Christian Lindner (FDP) hat zum Jahreswechsel große Taten angekündigt. Um 30 Milliarden Euro wolle er die Steuerzahler in dieser Wahlperiode entlasten, so der Bundesfinanzminister. Doch bei näherem Hinsehen entpuppen sich die Ankündigungen nicht als große Entlastungen.
Die bessere steuerliche Absetzbarkeit der Rentenversicherungsbeiträge ist von Gerichten vorgegeben, die geplante Abschaffung der EEG-Umlage wird durch höhere CO2-Preise aufgefressen.
Ganz konkret und handfest sind dagegen die Belastungen, die die Ampelkoalition heimlich, nonetheless und leise den Steuerzahlern zu Jahresbeginn durch „schleichende Steuererhöhungen“, im Fachjargon „kalte Development“ genannt, aufgebürdet hat.
„Es ist schon merkwürdig, dass trotz hoher Inflation zur kalten Development von der Ampel rein gar nichts kommt“, sagt Tobias Hentze, Steuerexperte vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW). „Dabei ist ein Ausgleich dieser heimlichen Steuererhöhung auch künftig eigentlich Pflicht.“ Und nicht nur für dieses Jahr, sondern für die gesamte Wahlperiode stellt sich die Frage, ob die Ampel wie die Vorgängerregierungen die kalte Development ausgleichen will.
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Die kalte Development bezeichnet das Zusammenspiel aus Inflation und Steuertarif. Von jedem Euro, den ein Bürger mehr verdient, muss er mehr Steuern abführen. So sieht es das deutsche Steuersystem vor.
Höhere Steuern trotz gleicher Kaufkraft
Das bedeutet, dass die Steuerlast auch dann steigt, wenn Gehaltserhöhungen nur die Preissteigerungsrate ausgleichen. Anders formuliert: Ohne Tarifanpassung führt die kalte Development dann bei gleichbleibender Kaufkraft zu einer höheren Steuerbelastung.
Eigentlich gleicht die Bundesregierung solche inflationsbedingten Steuererhöhungen seit einigen Jahren aus. Grundsätzlich battle das auch für dieses Jahr vorgesehen. Nur lag die Regierung mit ihrer Inflationsprognose komplett daneben.
Festgelegt wurde die Tarifanpassung für dieses Jahr auf Foundation eines Berichts, der bereits im Herbst 2020 erschien. Darin unterstellte die damalige Große Koalition für das Jahr 2021 eine Inflationsrate von 1,2 Prozent. Gekommen ist es anders: 2021 schnellte die Inflation auf 3,1 Prozent nach oben.
Mehrbelastung von 50 Euro
Bei einem Durchschnittsverdiener mit 50.000 Euro Bruttojahreseinkommen kommen nach Berechnungen des IW so rund 30 Euro Mehrbelastungen im Jahr zustande, bei einem Gutverdiener mit 75.000 Euro Bruttojahreseinkommen sind es intestine 50 Euro.
Nur bei geringem Einkommen von 25.000 Euro Bruttojahreseinkommen überkompensiert der stärker als die Inflation gestiegene Grundfreibetrag den Effekt, sodass es zu einer Entlastung von rund zehn Euro kommt.
Es geht zwar um keine gewaltigen Summen, insgesamt beläuft sich die Mehrbelastung für alle Steuerzahler in diesem Jahr auf weniger als eine Milliarde Euro. Dennoch hätte die Koalition die Möglichkeit gehabt, in den Koalitionsverhandlungen die Tarife nachzujustieren. Denn zu diesem Zeitpunkt battle die höhere Inflationsrate längst absehbar.
„Die Verschiebung des Tarifverlaufs zur Vermeidung der kalten Development wäre eine Probability gewesen, kurzfristig und unproblematisch ein Stück Steuergerechtigkeit herzustellen. Und die Mindereinnahmen wären auch verkraftbar gewesen“, sagt IW-Forscher Hentze.
Inflation führt zum Comeback der kalten Development
Dass die Ampel nicht mal bei dieser kleinen Summe gehandelt hat, wirft die Frage auf, wie sie denn in Zukunft mit der kalten Development umgehen will. Denn mit steigender Inflation erlebt auch die kalte Development ein Comeback.
Nach Berechnungen des IW belaufen sich die Kosten für den Abbau der kalten Development zwischen 2023 und 2025 auf 30 Milliarden Euro insgesamt – mindestens.
Denn das ist noch arg vorsichtig kalkuliert, weil das IW mit einer Inflationsrate von deutlich unter zwei Prozent gerechnet hat. Bei anhaltend höheren Inflationsraten könnte die kalte Development auch noch deutlich größere Löcher in die Etat- und Investitionsplanung der Ampelkoalition reißen.
Im Koalitionsvertrag findet sich der Abbau der kalten Development mit keinem Wort wieder. Die FDP hatte in den Verhandlungen zwar darauf gedrängt, doch SPD und Grüne waren nur bereit, dies mitzutragen, wenn gleichzeitig die Steuern für Gutverdiener angehoben würden – wogegen sich die FDP sträubte.
FDP und Rot-Grün uneinig
Der Streit könnte vor dem Hintergrund steigender Inflationsration spätestens Ende des Jahres noch einmal neu ausgefochten werden. Für FDP-Finanzminister Lindner ist die Sache klar: „Das Bundesfinanzministerium sieht bei der Ausgestaltung der Einkommensteuertarife für die folgenden Jahren einen vollständigen Ausgleich der kalten Development vor“, teilt sein Haus auf Anfrage mit.
So sieht es auch die FDP-Fraktion. Deren Vizechef Christoph Meyer sagt: „Der Ausgleich der kalten Development ist eine Selbstverständlichkeit. Ich gehe davon aus, dass unsere Koalitionspartner für diese Gerechtigkeitsfrage offen sind, schließlich hatte bereits die vorherige Bundesregierung den Ausgleich vorgenommen.“
Die Grünen signalisieren, grundsätzlich eine Entlastung für die Steuerzahler mitzutragen. Durch die anziehende Inflation erhalte das Thema kalte Development wieder eine gesteigerte Relevanz. „Es ist unsere Aufgabe, einen fairen Ausgleich zu schaffen“, sagt Katharina Beck, finanzpolitische Sprecherin der Grünen. Allerdings betont Beck vor allem die Anpassung der steuerlichen Grundfreibeträge, um Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen gerechter zu entlasten.
Auch rückwirkende Entlastung noch möglich
Zurückhaltend äußert sich vorerst die SPD. Bei Vorlage des neuen Progressionsberichts im Herbst 2022 werde die Ampelkoalition „gemeinsam über den Ausgleich der kalten Development beraten“, sagte deren finanzpolitischer Sprecher, Michael Schrodi.
So lange werden die Steuerzahler erst mal mit Mehrbelastungen leben müssen. Dabei wäre auch eine nachträgliche Anpassung der Tarife jetzt noch möglich. Eine rückwirkende Änderung sei für Arbeitgeber zwar „immer schlecht“, da mit viel Aufwand verbunden, teilt die Bundessteuerberaterkammer mit.
Aber unmöglich sei es nicht, „wenn jetzt ganz bald eine Regelung für 2022 gefunden wird“. Eine andere Möglichkeit wäre, die Anpassung 2023 rückwirkend nachzuholen. Dann aber müsste sie umso höher ausfallen.
Mehr: Stillstand in der Steuerpolitik der Ampel