Der Digitalgipfel gilt als das Hochamt von Bundesregierung, Wissenschaft und Wirtschaft rund um die Digitalisierung. In den verschiedensten Arbeitsgruppen bringen sich das Jahr über Experten aus allen Fachrichtungen ein, bevor sie dann auf einer feierlichen Veranstaltung im Dezember öffentlich diskutieren, wie Staat, Gesellschaft und Unternehmen den Sprung von der analogen in die digitale Welt schaffen.
Was 2006 als IT-Gipfel unter Angela Merkel begann, soll auch in Zukunft stattfinden – mit einem kleinen Unterschied: Nicht mehr das Bundeswirtschaftsministerium allein organisiert die Arbeit und das Gipfeltreffen. In Zukunft müssen sich die Beamten die Aufgabe mit den Kollegen aus dem Ministerium für Digitales und Verkehr teilen.
Aber: Wollte die neue Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP das Chaos rund um die digitalen Zuständigkeiten intern nicht beseitigen? Die Liberalen hatten im Bundestagswahlkampf sogar für ein Ministerium zur digitalen Transformation geworben.
Herausgekommen ist das Ministerium für Digitales und Verkehr, das unter der Leitung von FDP-Minister Volker Wissing Kompetenzen anderer Ministerien und des Kanzleramtes erhalten soll. So sieht es jedenfalls der Organisationserlass von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) vor, den das Bundeskabinett am 8. Dezember beschlossen hat.
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Doch weit gefehlt. Statt eines starken Digitalministers in der selbst ernannten „Fortschrittskoalition“ rangeln die Ressorts um Aufgaben und Private. Dabei sollte die Neuorganisation bereits Mitte des Monats abgeschlossen sein. Inzwischen aber kursieren in Regierungskreisen der 7. oder gar 14. Februar als Datum, an dem womöglich Klarheit besteht, wofür der neue Digitalminister nun konkret zuständig sein wird.
„Gemeinsame Zuständigkeiten“
Viel Hoffnung auf eine Zentralisierung scheint es nicht mehr zu geben. Von einem neuen „Zauberwort“ ist die Rede: „Gemeinsame Zuständigkeiten“, lautet es. Beobachtern der Digitalisierungspolitik vergangener Jahre schwant angesichts dieser Einschätzung Böses. So hat der für den Bürokratieabbau zuständige Normenkontrollrat vor der Bundestagswahl versucht, die Zuständigkeiten im Staat für die Digitalisierung auf einer DIN-A-4-Seite abzubilden. Es gelang zwar, unzählige Stellen und Behörden tauchten aber auf, verbunden mit der Überschrift: „Funktioniert das?“ Das Fazit der Verwaltungsexperten lautete: „Den verteilten Ressourcen in Bund, Ländern und Kommunen fehlt es an Schlagkraft und Konsistenz.“
Daran wird auch Digitalminister Wissing nichts ändern. Er wird sich die Zuständigkeiten zur Digitalisierung mit mindestens sechs weiteren Ressorts teilen müssen. Dies scheint längst einhellige Meinung in der Koalition zu sein. „Ich finde es richtig, das Thema jetzt in einem Ministerium zu haben und damit aufzuwerten“, erklärte etwa SPD-Chef Lars Klingbeil und fügte an: „Digitalisierung bleibt aber ein Querschnittsthema, bei dem alle Ministerien vor großen Herausforderungen stehen.“
Wie viel Querschnitt tatsächlich darin steckt, zeigen die Zuständigkeiten der Ministerien:
Der Präsident des Digitalverbands Bitkom, Achim Berg, bedauert, dass die digitalpolitischen Kompetenzen nicht „entschiedener und mutiger“ gebündelt worden seien. „Wichtig ist jetzt, dass alle Ressorts in digitalpolitischen Belangen an einem Strang ziehen“, sagte Berg dem Handelsblatt. Dazu solle das Digitalministerium eine führende Rolle einnehmen.
Dabei zeigt sich allerdings, dass das neue Digitalministerium einiges doch eher komplizierter macht. Beispiel digitale Identität: Die Bundesregierung hat sich vorgenommen, das Zukunftsprojekt eines rechtssicheren Personalausweises für das Smartphone selbst zu managen und das Feld nicht Google, Apple und Co. zu überlassen. Mit dem Digitalministerium erhält das ohnehin schon unübersichtliche Projekt jetzt allerdings einen weiteren Mitmischer – der die Fragmentierung des Vorhabens noch verstärken könnte.
Digitalministerium will mitreden
Conflict das Verkehrsministerium bislang nur über den digitalen Führerschein an den digitalen Identitäten beteiligt, so übernimmt es jetzt auch die Abstimmung der deutschen Place zur EU-Verordnung eIDAS zu europaweit gültigen rechtssicheren Identitäten.
Das Haus von Volker Wissing hat damit wohl gerade so viel Zuständigkeit, dass es bei regierungsinternen Abstimmungen am Tisch sitzt und mitredet, technische Entscheidungen oder die Governance des Projekts aber wohl kaum beeinflussen kann, wie das Handelsblatt aus Regierungskreisen erfuhr.
Die Federführung der digitalen Identitäten soll stattdessen das Bundesinnenministerium übernehmen. Außerdem sollen auch das Bundeskanzleramt und das Bundeswirtschaftsministerium weiterhin an verschiedenen Projektsträngen beteiligt werden. Die gemeinsame operative Zuständigkeit jedoch wird bei einer „ressortübergreifenden agilen Projektgruppe“ liegen. Inwiefern die Häuser bereit sein werden, auch Kompetenzen, Private und Funds dorthin abzugeben, scheint allerdings bisher unklar.
Auch das Bundesfinanz- und das Innenministerium müssen sich beim Thema digitale Verwaltung in Zukunft koordinieren. Ganz im Zeichen der neuen Maxime „Gemeinsame Zuständigkeiten“ haben die Minister Christian Lindner (FDP) und Nancy Faeser (SPD) nun einen eigenen Lenkungsausschuss eingerichtet, um bei der IT-Konsolidierung „kurzfristige und pragmatische Entscheidungen treffen zu können“, wie das Finanzministerium mitteilte. Das Projekt stockt seit vielen Jahren und verschlingt inzwischen nicht die einst prognostizierte halbe Milliarde Euro, sondern mindestens 3,4 Milliarden.
Der CDU-Abgeordnete Rainer Brandl zückte zur Illustration des Hin und Her der Verantwortlichkeiten in der Eröffnungsdebatte des Digitalministers im Bundestag eine Grafik. „Wir haben mal versucht nachzuvollziehen, wer welche Zuständigkeiten für Digitalisierung erhalten hat“, sagte er. „Es ist kompliziert.“ Rote und grüne und gelbe Pfeile, entsprechend den Parteifarben, zeigten, von welchen Ministerien zu welchen die Zuständigkeiten wandern. Jede Farbe gibt etwas, und jede Farbe bekommt etwas“, resümierte Brandl. „Herausgekommen ist ein Etikettenschwindel.“
So ist die Bauministerin für intelligente Städte – von der digitalen Stadtplanung bis hin zur Ausstattung der Infrastruktur mit Sensorik – zuständig, was eigentlich dem auch für Verkehr und damit fürs vernetzte und autonome Fahren zuständigen Digitalminister intestine zugestanden hätte. Und der Wirtschaftsminister will weiter bei allen digitalpolitischen Fragen mitreden.
Und so bleibt die Digitalisierung ein Querschnittsthema, mit unterschiedlich zuständigen Ministerien. Genau wie bei der Organisation des diesjährigen Digitalgipfels – dort allerdings in „gemeinsamer Zuständigkeit“ mit dem Digital- und Verkehrsministerium. Dort solle in Zukunft, so verspricht die Parlamentarische Staatssekretärin im Wirtschaftsministerium Franziska Brantner (Grüne), auch die Zivilgesellschaft stärker eingebunden werden. Ein weiterer Akteur additionally, mit dem sich die zuständigen Ministerien koordinieren müssen.
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