Die Industrie befindet sich dem Branchenverband VCI zufolge in einer tiefen Krise.
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Düsseldorf Die deutsche Chemieindustrie hat aus Kostengründen ihre Produktion im zweiten Quartal weiter gedrosselt. Die Hoffnung auf eine Erholung müsse angesichts einer zunehmenden Nachfrageschwäche verschoben werden, erklärte der Branchenverband VCI am Donnerstag bei Vorlage seines Konjunkturberichts. VCI-Präsident Markus Steilemann erneuerte die Forderung nach international wettbewerbsfähigen Strompreisen und Deregulierung.
Die Industrie befindet sich dem VCI zufolge in einer tiefen Krise. Wegen der Konjunkturschwäche und den mauen Aussichten bestellen die Kunden seit Monaten nur wenig neue Chemikalien und Kunststoffe. Sie räumen stattdessen ihre Läger leer, die sie im vergangenen Jahr aus Furcht vor weiteren massiven Preissteigerungen mit Vorprodukten aufgefüllt haben. Ein Wendepunkt scheint dabei noch nicht erreicht.
Auf der anderen Seite belasten die Chemiefirmen weiterhin hohe Kosten für Energie und Rohstoffe, mit denen sie sich selbst im vorigen Jahr eingedeckt hatten. Zugleich sinken die Verkaufspreise für ihre Produkte seit Monaten kräftig.
Die Spuren zeigen sich deutlich: Zwischen April und Juni lagen die Umsätze um 15 Prozent unter dem Vergleichswert aus dem Vorjahresquartal, während die Produktion um acht Prozent absackte. Dabei machte sich vor allem ein schwaches Inlandsgeschäft bemerkbar, dort ging der Umsatz um mehr als ein Fünftel zurück, während im Ausland ein Minus von knapp elf Prozent zu Buche stand.
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Rechnet man die vergleichsweise stabile Pharma-Sparte heraus, so ging die Chemieproduktion sogar um 14,2 Prozent zurück. Die Anlagen waren nur noch zu 77,3 Prozent ausgelastet. Angestrebt wird normalerweise ein Wert von an die 85 Prozent.
Die Unternehmen rechnen laut Verband für das zweite Halbjahr mit einer weiteren Verschlechterung der Geschäftslage. Allerdings hat der VCI seine im Juli gesenkte Prognose nicht weiter nach unten korrigiert. Im Gesamtjahr wird ein Produktionsrückgang von acht Prozent erwartet, ohne das Pharmageschäft könnte sogar ein Minus von elf Prozent zu Buche stehen.
Der Branchenverband der chemischen Industrie fordert Unterstützung der Politik.
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Ob und in welchem Umfang die Branche in Zukunft von einem globalen Aufschwung profitieren könne, sei angesichts der immensen Standortnachteile mehr als fraglich. „Die Lage ist ernst und die Stimmung dementsprechend schlecht“, erklärte Steilemann laut einer Mitteilung.
Zumindest bei den Beschäftigtenzahlen macht sich die angespannte wirtschaftliche Lage nach Angaben des VCI noch nicht bemerkbar. Die Zahl der Arbeitsplätze lag im zweiten Quartal mit 477.000 stabil. Viele Unternehmen wollen wegen des Fachkräftemangels ihre Belegschaft halten.
Doch könnte der Druck zu Kostensenkungen per Stellenabbau zunehmen. Bei einzelnen Unternehmen stünden bereits Einstellungsstopps oder Kurzarbeit in besonders betroffenen Bereichen auf der Agenda. Dazu zählen vor allem die energieintensiven Produktionen in der Basischemie, aber auch Spezialanwendungen, bei denen die Nachfrage sehr stark zurückgegangen ist.
So plant BASF an seinem Standort Lampertsheim nördlich von Mannheim im Laufe der dritten und vierten Quartals Kurzarbeit. Eine solche Vereinbarung wurde mit dem Betriebsrat bereits beschlossen. Betroffen sind 500 Mitarbeiter. BASF stellt in Lampertsheim Spezialchemikalien etwa für Lacke her.
Ökonomen warnen vor Abwanderung
Einige Unternehmen hätten schon dauerhafte Produktionsstilllegungen und die Verlagerung von Investitionen ins Ausland angekündigt, weitere könnten folgen, heißt es beim VCI. Dazu zählt der Kölner Chemiekonzern Lanxess, der zwei energieintensive Anlagen in Nordrhein-Westfalen schließen oder abgeben will.
Ökonomen warnen vor den Folgen eine Abwanderung energieintensiver Industrien. „Eine mögliche Abwanderung könnte schmerzhafte Auswirkungen auf die Wirtschaft haben“, sagte Jasmin Gröschl, Senior Volkswirtin beim Kreditversicherer Allianz Trade. Die Chemie- und Metallindustrie erwirtschafte rund 20 Prozent der industriellen Wertschöpfung in Deutschland und beheimate 16 Prozent der Industriebeschäftigten. „Sie gehören zu den forschungsintensivsten Branchen und bringen im Durchschnitt mehr Innovationen hervor als Unternehmen in anderen Branchen“, sagte Gröschl.
Mit Material von Reuters und dpa
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