Frankfurt Für den Chemiekonzern BASF entpuppte sich 2022 als Jahr der bösen Überraschungen. Es begann operativ stark, endete aber schmerzhaft: Umsätze und Erträge im Chemiegeschäft sanken, Anlagen mussten stillgelegt und der Rekordbetrag von mehr als sechs Milliarden Euro auf die Russlandaktivitäten der Energietochter Wintershall Dea abgeschrieben werden.
Zum zweiten Mal innerhalb von nur drei Jahren muss Firmenchef Martin Brudermüller den Aktionären auf der Hauptversammlung am Donnerstag einen Verlustabschluss präsentieren. Bitter ist: Für 2023 zeichnen sich weitere operative Einbußen ab.
Zwar kann sich BASF mit 87 Milliarden Euro Umsatz und 6,5 Milliarden Euro Betriebsgewinn nach wie vor als größtes und nominal ertragsstärkstes Unternehmen der westlichen Chemiewelt präsentieren.
Dem Anspruch, ein Unternehmen mit profitablem Wachstum zu sein, wird der Chemieriese aber nicht mehr gerecht. Das macht der Handelsblatt-Bilanzcheck deutlich. BASF konnte zwischen 1990 und 2012 den Konzernumsatz zwar verdreifachen und den Betriebsgewinn in etwa versechsfachen. Doch seither kommt der Konzern praktisch nicht mehr voran.
Während der Kapitaleinsatz steigt, zeigt der Ertragstrend eher nach unten. In Europa muss sich der Konzern nun auf dauerhaft erhöhte Energiekosten einstellen, im Geschäft mit Basischemikalien und Kunststoffen droht eine längere Schwächephase aufgrund von Überkapazitäten.
Gleichzeitig rücken die geopolitischen Risiken das BASF-Geschäft in ein neues Licht. Die vor wenigen Jahren noch unumstrittene Expansionsstrategie in China, wo BASF einen neuen großen Chemiekomplex errichten will, wird unter dem Eindruck der Erfahrungen in Russland und der Spannungen zwischen China und den USA von Analysten und Investoren inzwischen mit größerer Skepsis verfolgt.
Vieles spricht dafür, dass sich der Chemieriese neues Wachstum nur noch mit höherem Risiko und größerer Unsicherheit erkaufen kann. Das alles spiegelt sich letztlich in der bescheidenen Börsenperformance. Seit Amtsantritt von Brudermüller vor fünf Jahren hat der Konzern an der Börse rund 42 Prozent an Wert verloren – mehr noch als der von Glyphosatklagen geplagte Bayer-Konzern.
Dem BASF-Chef, dessen Vertrag zur HV 2024 ausläuft, steht daher in seinem letzten Jahr an der Konzernspitze ein hartes Stück Arbeit bevor, um die Basis für eine Trendwende zu legen und ein Stück Vertrauen zurückzugewinnen.
1. Ertragsentwicklung: Wertkorrektur hinterlässt rote Zahlen
Der Chemiekonzern konnte seinen Umsatz 2022 um kräftige elf Prozent steigern. Doch dieses Wachstum überdeckt die Schwächen. Denn es resultierte ausschließlich aus steigenden Preisen und positiven Währungseffekten.
Der Absatz dagegen sank um sieben Prozent, bedingt unter anderem durch die Abschaltung von Anlagen infolge der Energiekrise. Über die letzten fünf Jahre hinweg hat BASF damit praktisch keine Steigerung der Verkaufsmengen erzielt, während die Weltwirtschaft in dieser Zeit immerhin um etwa elf Prozent und die Welt-Chemieproduktion um 13 Prozent gewachsen ist.
Zudem reichten die Preissteigerungen nicht, um deutlich erhöhte Rohstoff- und Energiekosten voll an die Kunden weiterzugeben. Der Betriebsgewinn vor Sondereinflüssen sank daher gegenläufig zum Umsatz um elf Prozent auf 6,9 Milliarden Euro, der Gewinn vor Steuern und Zinsen (Ebit) lag mit 6,5 Milliarden Euro um 15 Prozent unter Vorjahr. Die operative Marge verschlechterte sich so um mehr als zwei Punkte auf 7,5 Prozent.
Im Nettogewinn hat sich unterdessen vor allem die riesige Abschreibung von 6,5 Milliarden Euro auf die Russlandaktivitäten von Wintershall Dea niedergeschlagen. Hinzu kamen steigende Finanzierungskosten und eine etwas höhere Steuerlast. Insgesamt verblieb damit unterm Strich ein Fehlbetrag von knapp 400 Millionen Euro vor und 627 Millionen Euro nach Anteilen Dritter.
Klammert man den Wintershall-Effekt und einige kleinere Sonderbelastungen aus, errechnet sich aus Sicht der BASF dagegen ein leichter Anstieg des bereinigten Gewinns um drei Prozent auf 6,96 Euro je Aktie.
Das laufende Jahr dürfte der Konzern unterm Strich wieder mit einem deutlich positiven Ergebnis von mehr als drei Milliarden Euro abschließen. Operativ zeichnen sich allerdings weitere Einbußen ab. Der Betriebsgewinn vor Sondereinflüssen verschlechterte sich im ersten Quartal um rund 31 Prozent.
Für das Gesamtjahr prognostiziert der Konzern für sein Basischemie- und Kunststoffgeschäft abermals starke und für die Spezialchemiesparten überwiegend moderate Ertragseinbußen. Lediglich der Agrarbereich dürfte danach leicht zulegen.
Analysten unterstellen auf dieser Basis bisher einen Rückgang des bereinigten Betriebsgewinns um rund ein Viertel auf 5,1 Milliarden Euro. Die operative Marge des BASF-Konzerns dürfte sich danach auf etwa sechs Prozent verschlechtern.
2. Sparten: Kunststoff-Margen sinken, Agrar legt zu
Was die Performance der einzelnen Geschäftssegmente angeht, haben sich die Gewichte zugunsten der Spezialchemie-Bereiche verschoben. Im traditionell ertragsstarken Geschäft mit Basischemikalien sank der operative Gewinn um mehr als ein Drittel, die Kunststoffsparte (Materials) verdiente rund ein Viertel weniger als im Vorjahr.
Demgegenüber glänzte die in den Vorjahren eher enttäuschende Agrarsparte mit 25 Prozent Umsatzplus und gut 70 Prozent operativer Ertragssteigerung. Erstmals hat sie damit wieder das Ertragsniveau von 2017 erreicht, als BASF das Geschäft durch Übernahme von Teilen des Bayer-Saatgutgeschäfts ausbaute.
Auch für die Bereiche Surface Technologies (Farben, Katalysatoren), Nutrition Care (Vorprodukte für Nahrungsmittel und Kosmetik) sowie Industriechemikalien weist der Konzern trotz höherer Rohstoffpreise Ertragssteigerungen aus. Die operativen Margen sind dabei allerdings auch im Spezialchemiebereich zum Teil zurückgegangen und erscheinen weiterhin unbefriedigend in Relation zum Kapitaleinsatz und früheren Erwartungen.
3. Wintershall Dea: Vom Gewinnbringer zum Belastungsfaktor
Das Öl- und Gasgeschäft war für den BASF-Konzern lange Zeit eine üppige Ertragsquelle. Doch der Ausstieg aus dem Geschäft entpuppt sich indessen als schwierig, und der Krieg in der Ukraine machte die Mehrheitsbeteiligung an der Energietochter Wintershall Dea 2022 unvermittelt zum Belastungsfaktor.
Auf die faktische Enteignung der Russlandaktivitäten musste BASF mit einer herben Wertberichtigung von 6,5 Milliarden Euro auf ihren knapp 73-prozentigen Anteil an Wintershall Dea reagieren. In der Bilanz steht die Beteiligung inzwischen nur noch mit 4,4 Milliarden Euro.
Einiges spricht allerdings dafür, dass der tatsächliche Wertverlust von Wintershall Dea nicht ganz so stark ausfällt, wie es die Abschreibung nahelegt. Immerhin haben die nicht russischen Aktivitäten des Unternehmens durch den starken Anstieg der Gaspreise tendenziell an Wert und Ertragskraft gewonnen.
Gemessen an den aktuellen Bewertungsrelationen bei anderen mittelgroßen Öl- und Gasproduzenten könnte Wintershall Dea im Falle eines Börsengangs theoretisch eine niedrig zweistellige Milliardenbewertung erzielen. Für BASF würde das immerhin noch auf einen Erlös von sieben bis acht Milliarden Euro hinauslaufen.
4. China: Wachstumschance mit Risiko
Mit dem Aufbau eines neuen großen Werks in der südchinesischen Stadt Zhanjiang treibt BASF die Expansion in China ohne Abstriche voran. Das Zehn-Milliarden-Projekt wird in den nächsten Jahren einen Schwerpunkt der Investitionen bilden.
Für die Expansion spricht das riesige Marktvolumen in China und das erwartete weitere Wachstum des chinesischen Chemiemarkts. Bereits seit 2017 hat sich der Umsatz der BASF in China auf 11,6 Milliarden Euro knapp verdoppelt. Die operativen Erträge haben sich zuletzt abgeschwächt, waren aber höher als im BASF-Schnitt.
Dem gegenüber stehen die wachsenden geopolitischen Risiken, die sich etwa aus einem Konflikt um Taiwan ergeben könnten. Im BASF-Abschluss sind die chinesischen Werke und Beteiligungen aktuell mit einem Wert von knapp 6,5 Milliarden Euro bilanziert. Das entspricht etwa 17 Prozent des vergleichbaren Gesamtvermögens des Konzerns.
Ein Ausfall des China-Engagements, etwa aufgrund eines Konflikts um Taiwan, wäre für den Chemieriesen daher bitter, aber für sich genommen auch noch verkraftbar. Allerdings wird sich das finanzielle Engagement mit dem Bau des neuen Werks in den nächsten Jahren erheblich vergrößern.
5. Finanzen: Free Cashflow im Stresstest
BASF generiert traditionell einen relativ starken Cashflow und konnte das auch 2022 mit einem erhöhten Mittelzufluss aus dem operativen Geschäft von 7,7 Milliarden Euro unter Beweis stellen. Der Free Cashflow (nach Sachinvestitionen) sank trotz Energiepreiskrise nur um ein Zehntel auf 3,3 Milliarden Euro und reichte somit zur Finanzierung der Dividende.
In den nächsten Jahren wird die operative Finanzkraft des BASF-Konzerns indessen auf eine harte Probe gestellt. Denn während sich die Margen in wichtigen Teilen des Chemiegeschäfts weiter verschlechtern, plant der Konzern deutlich steigende Sachinvestitionen, unter anderem für das neue Werk in China und den Ausbau der Kapazitäten für Batteriematerialien.
Für 2023 allein sind rund 6,8 Milliarden Euro für neue Sachanlagen budgetiert, rund 50 Prozent mehr als im Vorjahr. Bis 2027 sind knapp 29 Milliarden Euro vorgesehen, gegenüber 19 Milliarden Euro in den letzten fünf Jahren.
Damit droht die Gefahr, dass der Free Cashflow nicht mehr ausreichen wird, um die bisherige Ausschüttungssumme zu finanzieren. Will BASF die Dividende halten, wird der Konzern daher entweder zusätzliche Mittel aus Teilverkäufen generieren müssen oder er muss sich höher verschulden.
6. Konkurrenzvergleich: Rendite- und Bewertungsrückstand
Mit nur 15 Prozent operativem Gewinnrückgang hat der BASF-Konzern die Energiekrise letztlich besser gemeistert als etliche Konkurrenten. Die operative Marge des Konzerns ist dadurch weniger stark zurückgefallen als im Schnitt der Branche und kann sich in Relation zur heimischen Konkurrenz noch sehen lassen.
Im internationalen Vergleich indessen zeigt sich weiter ein Renditerückstand, insbesondere im Vergleich zu vielen Spezialchemiefirmen.
Im Geschäft mit höher veredelten Chemieprodukten, etwa im Bereich Nutrition & Care, tut sich der Konzern insgesamt weiterhin schwer, die Ertragskraft auf ein höheres Niveau zu bringen. Brudermüllers Strategie, den BASF-Sparten größere Beweglichkeit zu geben, zeigte bisher wenig Wirkung. Die Restrukturierungsprogramme laufen der Kostenentwicklung hinterher. Vieles spricht dafür, das wichtige Teile des BASF-Geschäfts suboptimal gemanagt werden und auch die Konzernstruktur womöglich nicht mehr stimmt.
Das reflektiert letztlich auch die enttäuschende Börsenbewertung. Mit 45 Milliarden Euro Marktkapitalisierung wird die BASF kaum noch höher bewertet als kleinere Konkurrenten wie Dow oder Corteva. Gegenüber dem MSCI World Chemical Index betrug die Underperformance der BASF-Aktie in den letzten fünf Jahren satte zwölf Prozentpunkte pro Jahr.
Um diesen Rückstand aufzuholen, braucht der Chemiekonzern eine nachhaltige Wende in der Ertragsentwicklung. Aber die ist vorerst kaum in Sicht.
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