Die AfD beherrsche die Plattform TikTok, heißt es oft. Eine neue Studie zum Europawahlkampf kommt nun zu einem anderen, durchaus überraschenden Ergebnis.
Es sind die kleinen Infos, mit denen sie punktet, man könnte auch sagen: die banalen. „Kartoffelbrei! Steh ich total drauf“, sagt Marie-Agnes Strack-Zimmermann in die Selfie-Kamera ihres Handys. Und dann: „Oh ja, Chips, ordentlich ungesund. Immer rein in die Figur.“
Nach und nach dekliniert die FDP-Politikerin in dem 52-sekündigen Videoclip eine ganze Reihe von Kartoffelgerichten durch, die wie bei einem Spielautomaten am oberen Rand des Bildschirms auftauchen. Ergebnis: An erster Stelle ihres Kartoffel-Rankings steht für die 66-Jährige ein Teller Pommes mit Ketchup, an letzter Gnocchi mit Tomaten („Das sieht ganz schrecklich aus!“).
Mehr als eine Million mal wurde der Videoclip auf der Plattform TikTok angeschaut. Jenem chinesischen Netzwerk also, das weltweit die höchsten Wachstumsraten gerade unter jungen Menschen hat – und das Experten zufolge einen wachsenden Einfluss auch auf die politische Meinungsbildung hat.
Neue Studie zeigt, wer auf TikTok am meisten abräumt
Entsprechend probieren sich seit Kurzem mehr und mehr deutsche Politiker auf der Plattform aus. Unter den Bundesministern machte Karl Lauterbach (SPD) den Anfang (t-online berichtete exklusiv), auch Kanzler Olaf Scholz (SPD) und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sind seit wenigen Wochen mit einem eigenen Profil vertreten. Sie alle eint das Ziel, TikTok nicht den Radikalen zu überlassen, Politikern wie dem AfD-Mann Maximilian Krah.
Manche haben dabei mehr Erfolg, andere weniger. Besonders gut zu glücken aber scheint dieses Unterfangen Strack-Zimmermann, wie jetzt eine neue Studie des arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW) belegt, die t-online exklusiv vorliegt. Anlässlich des Europawahlkampfs haben die Forscher um den Ökonomen Matthias Diermeier mithilfe Künstlicher Intelligenz ausgewertet, wie gut sich die jeweils ersten zehn Kandidaten auf den Wahllisten von SPD, CDU/CSU, Grüne, FDP, AfD und Linke auf TikTok schlagen, das heißt: Wie viele Videos sie seit Jahresbeginn veröffentlicht haben und wie viele Likes sie dafür eingesammelt haben.
Überraschend, angesichts der vielen Berichte zum TikTok-Erfolg der AfD: Die Rechtspopulisten liegen im Beliebtheitsranking des IW nur auf dem zweiten Platz, hinter der FDP – die wiederum fast ausschließlich von Strack-Zimmermann profitiert. Mehr als 95 Prozent der insgesamt 183.605 Likes für die Liberalen entfallen im Beobachtungszeitraum auf Videos von ihr.
TikTok drosselte Krahs Reichweite
„Dabei erreicht sie ihre Anhängerschaft nicht nur mit humoristischen Beiträgen über ihre eigene Person, sondern ebenso mit ihren Botschaften zum russischen Krieg in der Ukraine“, schreiben die IW-Experten in ihrer Studie. „Videos, die sich kritisch mit der AfD auseinandersetzen, bekommen insgesamt 56.000 Likes.“ Die Anzahl der Likes lasse, so Diermeier im Gespräch mit t-online, dabei auch Rückschlüsse auf die echte Reichweite der Clips, also die Zahl der Aufrufe, zu, die deutlich schwerer zu messen sei.
Auffällig: Bei der zweitplatzierten AfD kann der einst auf TikTok so erfolgreiche Maximilian Krah keine 7.000 Likes zur Gesamtzahl aller Likes (147.753) der Partei beisteuern. Grund dafür ist, dass TikTok im März die Reichweite von Krah aktiv gedrosselt hatte, weil dieser gegen die Plattformregeln verstoßen hatte.
Spannend ist außerdem, wie viele Videos die Parteien insgesamt veröffentlicht haben und auf welche Inhalte sie dabei im Beobachtungszeitraum vom 1. Januar bis 23. Mai setzten. Demnach entfallen mit 272 Videos die allermeisten der insgesamt 774 analysierten TikTok-Clips auf die SPD. Deren Spitzenkandidatin Katarina Barley allein ist dabei für 112 Uploads verantwortlich.