Düsseldorf Einer der größten Aktionäre von Bayer, der Staatsfonds Temasek aus Singapur, drängt offenbar auf eine Absetzung des Vorstandsvorsitzenden Werner Baumann. Temasek-Vertreter hätten gegenüber Aufsichtsratschef Norbert Winkeljohann die Bayer-Führung deutlich kritisiert, hieß es am Sonntag in Finanzkreisen.
Danach fordert Temasek eine Neubesetzung der Führungsspitze und will den Druck auf Bayer vor der Hauptversammlung Ende April erhöhen. In einem Bericht der Nachrichtenagentur Bloomberg heißt es, eine Choice dazu wäre ein Misstrauensvotum oder eine Ablehnung der Entlastung des Vorstands auf dem Aktionärstreffen. Bloomberg nennt als Quelle Personen, die „mit der Angelegenheit vertraut sind“.
Bayer wollte sich am Sonntag dazu nicht äußern und teilte nur mit, dass von Temasek „kein entsprechender veröffentlichungsfähiger Gegenantrag“ zur Entlastung des Vorstands vorliege. Ein anderer Aktionär, die Fondsgesellschaft Alatus Capital, hat einen solchen Gegenantrag aber bereits eingereicht und die Nichtentlastung angekündigt.
Mehr Gewicht hat aber Temasek. Der Staatsfonds ist mit einem Anteil von vier Prozent einer der größten Anteilseigner der Bayer AG.
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Der Vorstoß kommt überraschend: Temasek hat sich in den vergangenen Jahren mehrfach hinter die Strategie von Bayer gestellt und das Funding mit einem Anlagehorizont von Jahrzenten beschrieben. So sagte Temasek-CEO Chong Lee Tan im Jahr 2019, dass für den Staatsfonds die „zugrunde liegende Efficiency des Unternehmens nach wie vor stark“ sei.
Finanzkreise rätseln über den Vorstoß des Staatsfonds
Klar ist, dass Temasek mit seinem Funding in Bayer noch immer im roten Bereich ist. Der Staatsfonds hat 2018 seinen Anteil zu einem Zeitpunkt ausgebaut, als die Aktie zwischen 80 und 90 Euro notierte. Zwischenzeitlich ist der Kurs auf 45 Euro gefallen. Allerdings ist Bayer seit einigen Wochen eine der stärksten Aktien im Dax und notiert aktuell bei 61 Euro.
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In Finanzkreisen wird daher gerätselt, warum Temasek jetzt einen solchen Angriff auf die Bayer-Führung startet. Denn der Leverkusener Konzern zeigte 2021 auch wieder operative Stärke und übertraf die eigenen Prognosen. Auch hat Bayer mittlerweile für die belastenden Rechtsstreitigkeiten durch die Glyphosat-Klagen eine Lösung gefunden.
Aktionärsschützer Marc Tüngler von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) nannte den Temasek-Vorstoß ein „absurdes Theater – inhaltlich und was den Zeitpunkt betrifft“. Die Attacke komme zur Unzeit und zwei bis drei Jahre zu spät. Tüngler vertritt Tausende Bayer-Kleinaktionäre.
2019 entzogen die Aktionäre der Bayer-Führung auf der Hauptversammlung das Vertrauen und entlasteten den Vorstand nicht – es warfare ein Zeichen des Unmuts über den Wertverlust nach der Übernahme von Monsanto und der Glyphosat-Klagewelle und eine Warnung an Vorstandschef Baumann. 2020 und 2021 bekam der Vorstand auf den Aktionärstreffen aber wieder hohe Zustimmungswerte.
„Jetzt, in einer Part, in der Bayer wieder Fuß fasst und im Aufwärtstrend befindlich ist, richtet ein solcher Angriff allein Schaden an“, kommentierte Tüngler den Temasek-Vorstoß. Der DSW-Chef hat in den vergangenen Jahren die Bayer-Führung wegen des massiven Wertverlusts nach dem Kauf von Monsanto stets selbst scharf kritisiert.
„Stillos und inakzeptabel“ – Politiker kritisieren Attacke
Politiker zeigten sich am Sonntag entsetzt über das Vorgehen von Temasek. „Krieg in Europa, globale Ernährungskrise, und ein Staatsfonds attackiert ein systemrelevantes Unternehmen: Das wird auf Widerstand der Politik stoßen!“, sagte Dennis Radtke, der für die CDU als Industrieexperte im Europaparlament sitzt.
Radtke spielt damit auf Bayers Rolle als Hersteller wichtiger Agrargüter an. Die Leverkusener sind der weltgrößte Lieferant von Saatgut für die Landwirtschaft und von Pflanzenschutzmitteln. Durch den Ukrainekrieg ist Bayer besonders gefordert, weil in vielen Regionen der Welt eine Hungersnot droht.
Grund ist der Wegfall der Weizenlieferungen aus Russland und der Ukraine an Länder etwa in Afrika, die von diesen beiden Exportnationen abhängig sind. Landwirte und ihre Zulieferer in nicht betroffenen westlichen Ländern sollen nun Lösungen finden, um diese Lücke zu füllen. Bayer ist als Lieferant von Agrarrohstoffen daher gefragt.
„In diesen Zeiten so eine Attacke. Stillos und inakzeptabel“, kritisierte der Vorsitzende des Wirtschaftsausschusses des Deutschen Bundestags, Michael Grosse-Brömer (CDU), am Sonntag in Richtung Temasek. Die Politik fürchtet, dass Bayer in der aktuellen Notlage am Agrarmarkt durch die Auseinandersetzung mit Aktionären geschwächt werden könne.
Einige Investoren befürworten die Aufspaltung des Chemie- und Pharmakonzerns, um den Aktienkurs anzutreiben. Ob Temasek dies ebenfalls fordert, ist offen. Gegenüber dem Aufsichtsrat kritisierte der Staatsfonds die Perfomance des Konzerns und die Nachfolgeplanung für Baumann. Der CEO hat noch einen Vertrag bis Mai 2024.
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