Nach dem desaströsen Wahlergebnis rumort es unter den Genossen. Niedersachsens Ministerpräsident betont aber, der Kanzler sei in seiner Partei unangefochten die „Nummer eins“.
Die Kanzlerpartei SPD ringt nach dem Debakel bei der Europawahl um den richtigen Kurs. Thüringens Landesparteichef Georg Maier kritisierte Versäumnisse bei der Parteiführung und im Kanzleramt. Die SPD müsse „auch dringend vor der eigenen Haustüre kehren, um bei den Wählern wieder besser anzukommen“, sagte Maier dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Der linke SPD-Flügel will in den schwierigen Haushaltsverhandlungen der Ampel mit einem Mitgliederbegehren Druck machen.
Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil stärkte Kanzler Olaf Scholz den Rücken: Er sei nach seinem Eindruck „unangefochten als die Nummer eins“ der Partei zu betrachten. „Olaf Scholz hat wirklich das Vertrauen der SPD, und ich sehe auch überhaupt keine Alternative“, sagte Weil in der ARD-Sendung „Bericht aus Berlin“.
Nach seinem Empfinden seien sich „alle relevanten Teile in der SPD“ einig, „dass wir mit Olaf Scholz in den nächsten Wahlkampf gehen werden – aber dann auf einer hoffentlich deutlich besseren Grundlage, als es diesmal der Fall gewesen ist“.
Für die Partei ergebe es keinen Sinn, sich jetzt öffentlich zu zerstreiten, mahnte Weil. Es sei vielmehr wie nach einem verlorenen Fußballspiel: „Man muss in der Kabine Klartext miteinander reden, aber dann auch wieder geschlossen aufs Feld gehen.“
Die SPD hatte bei der Europawahl nur 13,9 Prozent der Stimmen bekommen, ihr schlechtestes Ergebnis bei einer bundesweiten Abstimmung. Anschließend äußerten mehrere SPD-Politiker die Erwartung, dass Scholz in der Ampel-Koalition offensiver für Kernanliegen der Sozialdemokraten eintritt. Am Sonntag kamen führende SPD-Politiker zu einer Sondersitzung des Parteipräsidiums zusammen, um über die Konsequenzen zu beraten. Ergebnisse wurden zunächst nicht bekannt.
Der Thüringer SPD-Chef Maier forderte, den Fokus seiner Partei wieder stärker auf „die arbeitende Mitte“ zu richten. Diese Menschen seien durch die Krisen arg gebeutelt und verunsichert und fragten sich, wer ihre Interessen vertrete. Das gelte besonders für Ostdeutschland. „Man kann niemandem mehr erklären, warum die soziale Schere zwischen Ost und West 34 Jahre nach der Einheit immer noch so weit auseinandergeht“, sagte Maier. „Die SPD hat es versäumt, diese soziale Schieflage in Deutschland zum Thema zu machen.“
Er appelliere seit geraumer Zeit „eindringlich im Parteivorstand und im Kanzleramt, endlich aktiv zu werden“, sagte Maier. „Doch bisher ohne Erfolg.“ Er verstehe nicht, „warum die SPD die Gerechtigkeitsfrage nicht auf die politische Agenda setzt. Das ist doch unsere DNA.“
In Thüringen wird im September ein neuer Landtag gewählt. In Umfragen führte die AfD zuletzt mit großem Abstand vor der CDU, die SPD lag im einstelligen Bereich.
Weil: Handlungsmöglichkeiten des Kanzlers werden überschätzt
Weil sagte, was sich ändern müsse, sei die Zusammenarbeit in der Ampel-Koalition. Es werde überschätzt, „was ein Bundeskanzler in einer solchen Situation, wo Koalitionspartner (…) nicht immer das notwendige Maß an Konstruktivität zeigen, eigentlich tatsächlich tun kann“. Die drei Koalitionsparteien stünden jetzt vor einer ganz schwierigen Aufgabe. „Und wenn sie klug beraten sind, dann verständigen sie sich auf einen gemeinsamen Kurs.“
Auch Scholz hatte das rot-grün-gelbe Bündnis am Wochenende in Interviews ermahnt, sich nach den schlechten Ergebnissen der Ampel-Parteien bei der Europawahl zusammenzuraufen. Er rief auch zur Kooperationsbereitschaft in den Verhandlungen über den Haushalt 2025 auf.
Am 3. Juli soll der Haushaltsplan von Bundesfinanzminister Christian Lindner stehen. Der FDP-Chef pocht auf einen strikten Sparkurs, um die Schuldenbremse einzuhalten. Nach dem Nackenschlag für die Ampel-Parteien bei der Europawahl ist das Gelingen der Haushaltsverhandlungen eine Bewährungsprobe für die Koalition. Im Bundestag wird dann üblicherweise im Herbst über den Etat beraten.
Die SPD-Linke macht nun Druck, um Kürzungen in Kernbereichen zu verhindern, die ihr besonders am Herzen liegen. Die SPD-Gruppe Forum Demokratische Linke (DL21) beschloss dazu die Einleitung eines parteiinternen Mitgliederbegehrens für „einen Bundeshaushalt 2025 (…), der eine sozialdemokratische Handschrift trägt“, wie es in einer Mitteilung heißt.
„Wir wollen fragen, ob die SPD einem Kürzungshaushalt zustimmen soll“, sagte der DL-21-Co-Vorsitzende Jan Dieren dem „Spiegel“. „In Zeiten, in denen die Demokratie unter Druck steht, die Preise steigen und viele sich ihr Leben kaum noch leisten können, ist es falsch zu sparen“, mahnte der SPD-Bundestagsabgeordnete. „Im Gegenteil: Der Staat muss massiv investieren.“