Berlin Inmitten der Krise um den russischen Truppenaufmarsch an der ukrainischen Grenze beginnt die SPD, ihre künftige Strategie im Umgang mit Russland zu klären. Nach Informationen des Handelsblatts hat Parteichef Lars Klingbeil dazu für Montag eine Klausur mit führenden Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten angesetzt. Der „Spiegel“ hatte zuerst über das geplante Treffen berichtet.
Eingeladen sind neben Außenpolitikern und Ministerpräsidenten auch Fraktionschef Rolf Mützenich, der Vorsitzende der Friedrich-Ebert-Stiftung, Martin Schulz, sowie Verteidigungsministerin Christine Lambrecht und Entwicklungsministerin Svenja Schulze. Für Bundeskanzler Olaf Scholz soll dessen Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt teilnehmen.
Überschattet wird das Treffen von Äußerungen des Altkanzlers Gerhard Schröder, der seit geraumer Zeit mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin befreundet ist. Schröder warf Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) im Podcast „Die Agenda“ vor, Russland provoziert zu haben, weil sie vor mit ihrem Antrittsbesuch in Moskau die Ukraine besucht hat. Zugleich verteidigte er die deutsche Absage an Waffenlieferungen in die Ukraine und forderte die Regierung in Kiew auf, das „Säbelrasseln“ endlich einzustellen.
Ziel der SPD-Klausur ist dem Vernehmen nach, Geschlossenheit in der Russland-Frage zu erreichen und die künftige Strategie zu klären. Der Handlungsbedarf liegt aus Sicht des Politikwissenschaftlers Carlos Masala auf der Hand.
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Die Russlandpolitik der SPD sei bisher „ein einziges Rumlavieren“ gewesen, sagte der Professor an der Bundeswehr-Universität München dem Handelsblatt. Auf der einen Seite stünden mit Generalsekretär Kevin Kühnert, Fraktionschef Rolf Mützenich und dem Außenpolitiker Ralf Stegner Sozialdemokraten, die grundsätzlich militärische Hilfe für die Ukraine ablehnen und auch nur bedingt bereit sind, harte Sanktionen gegen Russland für den Fall einer militärischen Invasion vorzubereiten.
Kanzler Olaf Scholz hingegen stehe „durchaus glaubwürdig“ für eine härtere Linie innerhalb der Bundesregierung und der SPD, sagte Masala.
Zudem habe Scholz die Bereitschaft erkennen lassen, im Falle eines Krieges umfassende Sanktionen selbst in Bezug auf die Ostseepipeline Nord Stream 2 mitzutragen. „Aber die innerparteiliche Opposition gegen einen solchen härteren Kurs, so schien es von außen, zwang ihn immer wieder, einen leisen Ton anzuschlagen“, sagte Masala.
Grüne für „Härte und Dialog“
Deutlich wurde dies auch dadurch, dass der grüne Koalitionspartner klarer Stellung bezog. Während Außenministerin Baerbock schon frühzeitig von „Härte und Dialog“ gegenüber Staaten wie Russland gesprochen und Moskau mit einem „hohen Preis“ bei einem Einmarsch in die Ukraine gedroht hat, nahm Scholz sich zunächst einmal zurück.
Statt klare Kante gegenüber Russland zu zeigen, riet er bei seiner EU-Gipfelpremiere Mitte Dezember davon ab, die Betriebserlaubnis für Nord Stream 2 mit den Bemühungen um eine Deeskalation in der Ukraine-Krise zu verknüpfen. Die Gasleitung sei ein „privatwirtschaftliches Vorhaben“ und der Genehmigungsprozess „ganz unpolitisch“. Der Ukraine-Konflikt sei „eine andere Frage“.
Danach dauerte es mehr als vier Wochen, bis Scholz sich neu positionierte und wie Baerbock Nord Stream 2 als Sanktionsinstrument für den Fall einer russischen Invasion auf den Tisch legte – allerdings nicht offen, sondern verdeckt.
Bei einer Pressekonferenz mit Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg sagte er vergangene Woche lediglich, „dass alles zu diskutieren ist, wenn es zu einer militärischen Intervention gegen die Ukraine kommt“. Den Namen der Pipeline nahm er dabei nicht in den Mund.
SPD: „Alle Optionen auf dem Tisch“
Seitdem ist die Formulierung „alle Optionen auf dem Tisch“ fester Bestandteil von SPD-Pressekonferenzen. Politikwissenschaftler Masala bezeichnete es als „bemerkenswert“, dass in der Bundestagsdebatte zur Ukraine-Krise am Donnerstag alle von der SPD-Fraktion nominierten Redner eine klare und harte Sprache gegenüber Russland benutzt hätten.
Der SPD-Außenpolitiker Stegner betonte gegenüber dem Handelsblatt demonstrativ die Geschlossenheit seiner Partei in der Russland-Frage. „In der SPD besteht Einigkeit darüber, dass wir für den Fall einer russischen Invasion in die Ukraine eine entschlossene und harte gemeinsame europäische und transatlantische Antwort geben müssen“, sagte er. Die territoriale Integrität der Staaten dürfe nicht infrage gestellt werden.
Dass von echter Einigkeit der Sozialdemokraten in der Russland-Politik trotzdem nicht die Rede sein kann, wird jetzt nur noch punktuell deutlich. Zum Beispiel, wenn die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, Manuela Schwesig, offen für eine schnelle Inbetriebnahme von Nord Stream 2 wirbt.
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Ein noch größeres Drawback ist für die Bundesregierung aber die Frage der Waffenlieferungen. Auch da hatte Scholz sich erst in der vergangenen Woche klar positioniert: keine letalen, additionally tödlichen Waffen für die Ukraine. Laut SPD-Mann Stegner herrscht „Einigkeit darüber, dass Deutschlands Rolle nicht die des Waffenlieferanten in das Krisengebiet ist“. Stattdessen gehe es darum, alles für den diplomatischen Erfolg von Entspannungsbemühungen zu tun.
Dahinter steckt neben den deutschen Rüstungsexportrichtlinien auch der Anspruch, nicht zur Eskalation beizutragen und die Gesprächsfähigkeit mit Russland zu erhalten. In Kiew ist die Empörung darüber allerdings groß. Der ukrainische Botschafter in Berlin, Andrij Melnyk, spricht von „nicht nachvollziehbarer Verweigerung“.
Experte: „Russland versteht nur die Sprache der Macht“
Der Politikexperte Masala sieht die Haltung der Regierung problematisch. Deutschland habe mit seinem Ansatz, nur auf Diplomatie zu setzen, in Europa mit Ausnahme von Luxemburg keine Verbündeten.
Stegner unterstreicht hingegen die Notwendigkeit, jedes Gesprächsformat zu nutzen. Öffentliche „Sanktionsdrohungen, Sesselheldentum und unverantwortliche Eskalationsrhetorik in der Sprache des Kalten Kriegs“ seien der falsche Weg. Notwendig seien vielmehr beharrliche Verhandlungen mit konstruktiven Vorschlägen. „Ein Krieg mitten in Europa hätte katastrophale Folgen“, mahnte Stegner.
Unklar ist, welche Schlüsse die Sozialdemokraten aus der aktuellen Krise für ihre künftige Russland-Politik ziehen werden. Laut Politikwissenschaftler Masala müsse sich die SPD eigentlich nur auf ihre Traditionen zurückbesinnen. Sozialdemokratische Sicherheits- und Entspannungspolitik habe seit den 60er-Jahren immer auf der klaren Einsicht beruht, dass eine solche Haltung nur aus einer Place der Stärke und eigenen Sicherheit möglich sei.
Konkret bedeute das die Einsicht, dass es auf lange Sicht eine Zusammenarbeit mit Russland brauche, „weil es ohne Russland keine Stabilität in Europa geben kann“. Kurz- bis mittelfristig müsse Deutschland jedoch dafür Sorge tragen, dass europäische Companion sich vor der Russischen Föderation sicher fühlen.
Dabei gehe es auch um militärische Sicherheit, betonte Masala. Denn eines habe die SPD seit 1990 vergessen: „In der internationalen Politik ist die Sprache der Macht die wichtigste Währung“, sagte er. „Und Russland beherrscht diese Sprache der Macht und versteht nur diese.“
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