SPD, Grüne und FDP streiten nicht mehr nur, sie regieren aneinander vorbei. Platzt die Ampel jetzt endgültig? Das hat offenbar ein Mann in der Hand.
Christian Lindner lächelt, dann schaut er ins Leere und verschränkt die Arme. Erst vor dem Bauch, dann auf dem Rücken, dann wieder vor dem Bauch. Minutenlang geht das so. Es ist Dienstagmittag im Bundestag, Pressekonferenz nach seinem Wirtschaftsgipfel. Und der Mann, auf den gerade jeder im politischen Berlin schaut, lässt sie alle erst mal zappeln. Irgendwie passend.
Zunächst spricht sein Fraktionschef, Christian Dürr. Dann sprechen seine Gäste. Erst ganz zum Schluss tritt Lindner selbst ans Mikrofron. Und beantwortet die Frage, die in diesen Tagen über allem steht. Warum, fragt ihn ein Journalist, verlasse er die Regierung bei den offensichtlichen Differenzen nicht einfach? Es gebe auch so etwas wie eine Regierungsverpflichtung, antwortet Lindner. Und: „Für Deutschland ist es allemal besser, wenn eine Regierung eine gemeinsame Richtung findet, sie beschreibt und umsetzt.“
Dieses „Wenn“ ist für die Ampelregierung in den vergangenen Tagen übergroß geworden, vielleicht zu groß. Dass es noch mal wirklich gut wird zwischen SPD, Grünen und FDP, das glauben sie selbst schon lange nicht mehr. Die Fragen sind nur noch: Halten wir bis zum nächsten Herbst durch? Wäre das in diesem Zustand überhaupt eine gute Idee? Und wenn nicht: Wer lässt die Koalition am ehesten platzen?
Sie regieren aneinander vorbei
Sie regieren ja ohnehin gar nicht mehr miteinander. Sie regieren aneinander vorbei, wenn sie überhaupt regieren und nicht Wahlkampf machen. Nur so lässt sich beschreiben, was dieser Tage geschieht. Der Kanzler, Olaf Scholz, lädt viele wichtige Menschen zum Industriegipfel ein, nur seinen Wirtschaftsminister Robert Habeck und seinen Finanzminister Lindner nicht.
Lindner veranstaltet deshalb am gleichen Tag einen eigenen Gegengipfel. Und Habeck hat seine Deutschlandfonds-Idee, von der Scholz und Lindner nichts wissen (wollen).
Es sind drei verschiedene Ideen von Wirtschaftspolitik, die aber alle nur in der Theorie existieren, während in der echten Welt bei Volkswagen 30.000 Stellen wegfallen könnten. Und die Wirtschaft im Abschwung das Vertrauen verliert, dass es bald besser wird.
Es gibt führende Koalitionäre, die das selbst alles nicht mehr glauben können. Die schockiert sind von dem Schauspiel, von dem Unernst ihrer drei Ampelmänner an der Spitze. Die das alles mittlerweile unverantwortlich finden und ernsthaft zweifeln, ob es für das Ansehen der Politik, für die Demokratie wirklich gut ist, das jetzt noch ein Jahr so weiterzumachen.
Nur heißt das eben noch nicht, dass es jetzt auch bald enden muss.
Viele Argumente, die schon bisher gegen ein vorzeitiges Ende der Ampel gesprochen haben, gelten immer noch. Manche mehr denn je: Die Umfragewerte sind für alle drei Parteien inzwischen so miserabel wie seit vielen Jahre nicht mehr. Neuwahlen sind deshalb nicht sonderlich verlockend.
Und da wären ja noch ein Krieg in Europa und eine Wahl in den USA mit Donald Trump am Horizont. Auch eher schlecht, wenn Deutschland da monatelang ohne handlungsfähige Regierung dastünde.
Bei den Grünen gibt es mittlerweile trotzdem immer mehr, die glauben, dass ein Ende mit Schrecken besser wäre als ein Schrecken ohne Ende. Eigentlich müsse man jetzt raus, sagt jemand. Nur wird diese Einschätzung ganz an der Spitze offenbar nicht geteilt: vom Vizekanzler Robert Habeck und der Außenministerin Annalena Baerbock. Dass die Grünen sich zurückziehen, scheint also gerade unwahrscheinlich zu sein.
Die konsequenteste Möglichkeit, die Sache zu beenden, hat der Kanzler. Olaf Scholz könnte die Vertrauensfrage stellen und hoffen, dass der Bundespräsident dann Neuwahlen ausruft. Das müsste Frank-Walter Steinmeier zwar nicht, er könnte auch darauf bestehen, dass die Ampel bis zu den regulären Wahlen im Herbst weiter amtiert, im Zweifel als Minderheitsregierung. Aber es wäre angesichts der Zerrüttung der Ampel auch nicht ausgeschlossen.