Im EM-Viertelfinale gegen Spanien wird der DFB-Auswahl ein Handelfmeter verwehrt. Selbst die Fans des Gegners hätten auf den Punkt gezeigt. Wäre da nicht ein kleines Detail.
Rund acht Stunden vor dem Anpfiff des EM-Halbfinals zwischen Spanien und Frankreich (21 Uhr) in München füllt sich der Marienplatz langsam. Vor allem die spanischen Anhänger machen bei bestem Wetter, wie sie es aus der Heimat gewohnt sind, bereits gute Stimmung. In traditionellen Torero-Kostümen zieht eine Gruppe älterer Männer zu den Klängen von Macarena durch die Menge der Schaulustigen. Touristen und Einheimische fragen nach Fotos, alles ist friedlich.
In einem Café stimmt eine andere Gruppe „Cu-Cu-Cu-Cu-Cu-Cu-rella“ an. Eine Hommage auf Linksverteidiger Marc Cucurella, den Spieler, der im Viertelfinale gegen Deutschland unfreiwillig zum Gesprächsthema Nummer eins geworden war. In der Verlängerung bekam der 25-Jährige einen strammen Schuss von Jamal Musiala im Strafraum an die Hand, ganz Fußball-Deutschland forderte kollektiv einen Elfmeter. Doch Schiedsrichter Anthony Taylor zeigte nicht auf den Punkt, die DFB-Elf schied nach dem Gegentreffer von Mikel Merino zum 1:2 in der 119. Minute aus.
Ein Fan der Nationalmannschaft war im Anschluss gar so sauer, dass er eine Online-Petition für eine Wiederholung des Viertelfinales startete. Fast 420.000 Fans unterzeichneten diese bislang. Bei den spanischen Anhängern auf dem Marienplatz herrscht Verständnis für den Ärger der deutschen Fans. „Das ist doch normal, wenn man sich um seinen Traum betrogen fühlt“, sagt Carlos López, der mit seiner Frau Guadalupe García unterwegs ist.
Auf Elfmeter hätte der in München lebende gebürtige Spanier dennoch nicht entschieden. Zum einen, da DFB-Stürmer Niclas Füllkrug möglicherweise im Abseits stand. Zum anderen, da die Hand des spanischen Verteidigers nicht eindeutig zum Ball, sondern eher von diesem weg ging. „Daher war es aus meiner Sicht kein Strafstoß“, erklärt López.
Das sehen viele seiner Landsleute ein kleines bisschen anders. Wäre einem deutschen Spieler der Ball so an die Hand gesprungen wie Cucurella? „Klarer Elfmeter“, gibt Adolfo Ataz zu, der mit einem Kumpel aus Alicante nach München gereist ist. Als ausschlaggebenden Punkt dafür, dass die Pfeife des englischen Schiedsrichters stumm blieb, sieht auch er das mögliche Abseits von Niclas Füllkrug. Die Petition für eine Spielwiederholung hält er für albern. „Das ist doch gar nicht möglich. Es war eine Situation, eine Tatsachenentscheidung.“
Miguel Vergara aus Cuenca, der sich das Halbfinale gemeinsam mit seiner Schwester Mónica anschaut, sieht in dem nicht gegebenen Strafstoß ausgleichende Gerechtigkeit. Aus seiner Sicht hätte Toni Kroos bereits in der 4. Minute nach einem Foul an Pedri die Gelbe Karte sehen müssen. Doch Taylor ließ Gnade vor Recht ergehen, sodass Kroos erst in der 67. Minute fürs Trikotziehen verwarnt wurde. „Da hätte er eigentlich vom Platz fliegen müssen“, erklärt Vergara. Die Wut und Enttäuschung der deutschen Fans kann er dennoch nachvollziehen. „Aber so ist nun mal Fußball.“
Findet auch Patrick Venus. Der gebürtige Spanier, dessen Familie aus Deutschland stammt, ist mit seinem Kumpel Fede Tarrés aus Barcelona angereist. „Es ist natürlich schade für Deutschland, sie haben eine tolle Mannschaft. Ich glaube, es war Elfmeter – wenn es denn kein Abseits war“, sagt er. Hätte am Ende die DFB-Elf gewonnen, wäre er auch nicht traurig gewesen.