Wien, bekannt als die europäische Hauptstadt des sozialen Wohnungsbaus, gilt seit langem als Aushängeschild für Initiativen zu bezahlbarem Wohnraum. Aber könnte diese Tradition am Ende sein?
Mehr als die Hälfte der 1,9 Millionen Wienerinnen und Wiener leben in gefördertem Wohnraum.
Der Ruf Wiens als Vorbild für herausragenden sozialen Wohnungsbau wird allgemein als wohlverdient angesehen; Der Stadtrat besitzt, ist Miteigentümer und verwaltet rund 50 Prozent der Wohnimmobilien der Stadt. Durch eine Reihe von Sozialprogrammen haben diese Initiativen dazu geführt, dass die Mieten für Zehntausende Haushalte erschwinglich sind.
Diese jahrzehntealte Tradition, die in den 1920er Jahren begann, hat dazu beigetragen, dass die Stadt zu einer der weltweit führenden Städte wird lebenswerteste Stadt. Aber ist das System so perfekt und idyllisch, wie es scheint?
Die jüngsten Entwicklungen geben Anlass zur Sorge; Kritiker verweisen auf steigende Mietpreise, immer länger werdende Wartelisten, einen sinkenden Anteil des Sozialwohnungsbaus am Immobilienmarkt nach einer langen Niedrigzinsphase und einen damit einhergehenden Anstieg des privaten Immobilienbesitzes.
Euronews-Reporter Julian Lopez reiste in die österreichische Hauptstadt Euronews-Zeuge um zu sehen, was sich hinter der Fassade verbirgt.
Ein Paradies für Mieter
Verwaltungsassistentin Tesbire Keskin führte Euronews durch ihre 70 m² große Wohnung, in der sie seit fast 20 Jahren mit ihrer Familie lebt. Sie zahlt 500 Euro im Monat und genießt in ihrer zentral gelegenen Wohnung eine Lebensqualität, die über dem Marktstandard liegt. „Der Kindergarten liegt direkt gegenüber, die Schule ist in zehn Minuten zu Fuß zu erreichen. In zwei Minuten bin ich bei der U-Bahn“, erklärte sie.
„Als meine Kinder klein waren und ich nicht von der Arbeit nach Hause kommen konnte, haben die Nachbarn sie vom Kindergarten abgeholt. Es ist sehr schön hier, es ist grün, ruhig. Ich bin sehr glücklich, zufrieden.“
Vertreter des Stadtrates führten Euronews auch durch einige der ältesten Sozialgebäude Wiens. Im Gegensatz zu Berlin und anderen europäischen Städten mit einem hohen Anteil privaten Grundbesitzes hat die ehemalige Hauptstadt des riesigen Österreich-Ungarischen Reiches ihr öffentliches Land nie verkauft.
Wiens jährliches Budget für sozialen Wohnungsbau liegt bei über 400 Millionen Euro und übersteigt damit das Budget größerer EU-Hauptstädte wie Rom, Madrid oder Lissabon.
„Unser Wohnmodell wird durch eine Wohnsteuer, die jeder Österreicher zahlt, abgesichert und finanziert“, sagte Christian Schantl, Leiter Internationale Beziehungen bei Wiener Wohnen-Vienna Living.
„Es handelt sich um einen kleinen Beitrag aus dem Bruttoeinkommen. Auch der Arbeitgeber leistet einen kleinen Beitrag, der gezielt für den Wohnungsbau in ganz Österreich bestimmt ist.“
Die Winde der Veränderung
Während Wien Vorreiter bei inklusiven Wohnstrategien ist, hat die Stadt auch mit der sich entwickelnden Wohndynamik und einer steigenden Nachfrage nach Sozialwohnungen zu kämpfen. Darüber hinaus hat sich eine anhaltende Niedrigzinsphase positiv auf private Bauträger ausgewirkt.
Experten der NGO Volkshilfe, das Obdachlosen den Zugang zu Sozialwohnungen erleichtert, argumentiert, dass vor Jahrzehnten 80 Prozent der Neubauprojekte sozial und 20 Prozent privat waren. Aber jetzt hat sich das Blatt gewendet.
„Früher haben wir vor zehn, fünfzehn Jahren zwei Drittel aller Wohnungen im sozialen Wohnungsbau gebaut. Heute ist es umgekehrt. Zwei Drittel aller Wohnungen werden von privaten Investoren gebaut. Die Folge sind natürlich höhere Immobilienpreise.“ „Wir sollten versuchen, die Wende wieder herbeizuführen“, sagte Martin Orner, Leiter der Wohnungspolitikabteilung der NGO, gegenüber Euronews.
Wegen InflationAuch die Grundstücks-, Material- und Instandhaltungskosten sind in die Höhe geschossen, was den sozialen Wohnungsbau weiter unter Druck setzt.
„Die Hauptlösung wäre, mehr Land und mehr Möglichkeiten für den Bau von Sozialwohnungen zu bekommen“, schlug Orner vor.
Eine jahrhundertealte Tradition
Während sich die Stadt weiterhin mit den Herausforderungen einer sich verändernden Immobilienlandschaft auseinandersetzt, bleibt der Geist des „Roten Wien“ bestehen – eine Zeit in den 1920er und 1930er Jahren, als die Sozialdemokratische Arbeiterpartei Österreichs als Reaktion auf die Wohnungsnot ein Sozialwohnungsbauprogramm einführte Engpässe.
Heute, a Dauerausstellung zu dieser Zeit dient als Erinnerung an die transformative Kraft des sozialen Wohnungsbaus bei der Gestaltung von Gemeinschaften und der Förderung von Inklusion. Euronews sprach mit den Kuratoren, die behaupten, dass dieses Wohnmodell dazu beigetragen hat, den einzigartigen kulturellen und sozialen Charakter der Stadt zu schaffen, der bis heute Einfluss hat.
„Es war eine Stadt in der Stadt und die Menschen mussten ihren Wohnort kaum verlassen, weil alles vorhanden war, auch Arztpraxen, Geschäfte und so weiter“, erklärte Lilli Bauer, Co-Kuratorin der Ausstellung.
„Damals gab es in diesen städtischen Gebäuden sogar Tuberkulose-Behandlungszentren. Während der Pandemie gab es auch COVID-19-Test- und Impfzentren. Sie waren alle sehr dezentralisiert, über die ganze Stadt verteilt und leicht zugänglich“, sagt sie hinzugefügt.
Trotz seiner Einschränkungen ist Wien ein Beweis für die anhaltende Wirkung einer fortschrittlichen Wohnungspolitik. Der Stadtrat behauptet, dass er weiterhin jedes Jahr zwischen 5.000 und 7.000 neue Wohnungen fördern wird.
Klicken Sie für Julians vollständigen Bericht auf das Video im Mediaplayer oben.