Der ökomische Nutzen der Gasröhre ist viel geringer als der geopolitische Schaden.
Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dass Olaf Scholz fest entschlossen ist, das Erbe Angela Merkels anzutreten, dann hat der Kanzler ihn jetzt geliefert. Ohne Not bemühte der deutsche Regierungschef das Mantra seiner Vorgängerin, bei der Pipeline Nord Stream 2 handele es sich um ein „rein privatwirtschaftliches Projekt“.
Das stimmte schon in der Ära Gerhard Schröder nicht, der bereits Nord Stream 1 gemeinsam mit dem „lupenreinen Demokraten“ Wladimir Putin realisiert hatte. In der Kanzlerschaft Merkels dann, als Putin seinen aggressiven außenpolitischen Kurs einschlug, nahmen die Kollateralschäden der deutschen Pipelinepolitik bedenkliche Züge an: Amerika wütete – und bei Weitem nicht nur Donald Trump. Westeuropa verstand die Pipeline-Connection nie so recht. Und Osteuropa, Polen, die Balten und allen voran die Ukraine, deren Schutz vor Russland sich der Westen zu einem strategischen Ziel machte, sehen sich von Berlin im Stich gelassen. Deutschland gilt mit seiner Pipelinepolitik inzwischen als weitgehend isoliert. Wenn es aber so etwas wie eine Raison d’Être deutscher Außenpolitik gibt, dann die, genau ein solches Szenario zu vermeiden.
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Das schnöde betonummantelte Stahlrohr – es ist inzwischen das Geopolitikum schlechthin. Und dass der Kanzler sich auch hinter Merkels überstrapaziertem und falschem Mantra versteckt, zeigt nur eines: Die deutsche Diplomatie hat sich in eine Sackgasse manövriert. Realpolitisch jedenfalls ist es nahezu undenkbar, dass Fuel über Nord Stream 2 von Russland nach Europa fließt, während Putin seine Truppen in die Ukraine schickt – und gegen das Völkerrecht ein weiteres Kapitel zum Thema Geschichtsrevisionismus schreibt. Der einzige optimistic Sinn der Ostseeröhre ist, dass der Kremlherr sich durch eine glaubhafte Drohung Berlins, die Pipeline zur Disposition zu stellen, von seinen Expansionsplänen noch abschrecken lassen könnte.
Insgesamt gilt: Der ökonomische Nutzen der Röhre ist viel geringer als der geopolitische Schaden. Denn selbst das Aus für die Pipeline muss nicht bedeuten, dass Deutschland auf lange Zeit kein russisches Fuel mehr kauft. Die Kapazitäten der vorhandenen Pipelines reichen allemal. Es battle von Anfang an gewagt, die deutsche Gasversorgung über eine weitere Ostseepipeline an ein Russland zu binden, das sich unter Putin zunehmend imperialistisch gebiert. Die Unterzeichnung der Verträge intestine ein Jahr nach der Krimannexion durfte Putin, der den Westen ohnehin für (entscheidungs-) schwach hält, durchaus als Versöhnungssignal werten. „Wandel durch Handel“ ist ein ehrenwertes, aber schwieriges außenpolitisches Konzept. In der deutschen Pipelinepolitik darf es als misslungen betrachtet werden. Die Gelegenheit zur Korrektur ist jetzt da.
Contra: Wir benötigen russisches Fuel
Ohne russisches Fuel wird die Energiewende nicht funktionieren.
Von Jürgen Flauger
Natürlich ist Nord Stream 2 ein Politikum, seit der Bau der zweiten russischen Pipeline durch die Ostsee vor sechs Jahren beschlossen wurde. Die Ukraine und Polen haben schon früh gegen das Projekt opponiert, bekommen seither von EU-Politikern, aber auch aus Deutschland viel Unterstützung, und sogar die USA mischen bei der Debatte mit. Im Interesse Deutschlands ist das aber nicht. Berlin sollte alles daransetzen, dass der Streit um Nord Stream 2 nicht immer weiter eskaliert. Und schon gar nicht darf Berlin sich daran beteiligen, das Milliardenprojekt als Sanktion gegen Russland infrage zu stellen.
Deutschland braucht Fuel, in großen Mengen – und insbesondere auch aus Russland. Mehr als viele andere europäische Länder. Deutschland steigt im Gegensatz zu den Franzosen aus der Kernenergie aus und wird viel früher die Kohleverstromung beenden als die Polen. Die neue Bundesregierung will das Tempo der Energiewende noch einmal beschleunigen. Ende dieses Jahrzehnts soll der Kohleausstieg vollendet sein und sollen erneuerbare Energien 80 Prozent des Strombedarfs decken. Das alles geht aber nur mit Fuel. Deutschland wird Blackouts nur vermeiden, wenn im großen Stil neue Gaskraftwerke gebaut werden – und diese zur Verfügung stehen, wenn der Wind nicht bläst oder die Sonne nicht scheint.
So reizvoll es erscheint, Russland mit einer Blockade von Nord Stream 2 zu drohen, damit Präsident Wladimir Putin seine Provokationen gegenüber der Ukraine und dem Westen beendet, so gefährlich ist das für Deutschland. Russland ist seinen Verpflichtungen gegenüber Kunden im Westen selbst im Kalten Krieg nachgekommen. Und auch während des aktuellen Engpasses betonen Großhändler, dass geliefert wird, was bestellt wurde. Wie aber würde Moskau reagieren, wenn eine praktisch fertige Pipeline, rund zehn Milliarden Euro teuer, auf den letzten Metern noch verhindert würde? Deutlicher könnte man Russland nicht nahelegen, sich andere Absatzkanäle in Asien zu suchen.
Wenn Nord Stream 2 in Betrieb ist, hat Russland das Interesse, dass sie auch stets gefüllt sein wird. Und sosehr Polen und die Ukraine um ihren Einfluss beim Transit von Fuel fürchten, so verlässlich ist für Deutschland die direkte Verbindung durch die Ostsee.
Natürlich muss sich Deutschland möglichst viele Bezugsmöglichkeiten für Erdgas sichern, vielleicht doch ein Terminal für verflüssigtes Fuel (LNG) bauen. Aber ohne russisches Fuel wird die Energiewende nicht funktionieren. Energiepolitik muss schon Klimaschutz, Wettbewerbsfähigkeit und Versorgungssicherheit in Einklang bringen – mit Außenpolitik sollte sie nicht auch noch belastet werden.