Nach Linnemann-Kritik
So viele „Totalverweigerer“ beim Bürgergeld gibt es wirklich
29.07.2024 – 13:32 UhrLesedauer: 4 Min.
CDU-General Linnemann sorgt derzeit mit seiner Forderung für Wirbel, arbeitsunwilligen Bürgergeld-Empfängern die Grundsicherung zu streichen. Doch wie viele „Totalverweigerer“ gibt es tatsächlich?
Streit ums Bürgergeld: Für seine Forderung, vermeintlich arbeitsunwilligen Empfängern des Bürgergeldes die Grundsicherung komplett zu streichen, erhält CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann Gegenwind vom Sozialflügel der eigenen Partei.
„Die Forderung von CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann geht an der Wirklichkeit vorbei“, kritisierte der Vizevorsitzende der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA), Christian Bäumler. „Wer für die Jobcenter nicht erreichbar ist, hat häufig psychische Probleme.“ Menschen in Deutschland dem Hunger auszusetzen, sei jedenfalls mit dem christlichen Menschenbild nicht vereinbar, so Bäumler.
Zuvor hatte Linnemann den Zeitungen der Funke-Mediengruppe gesagt: „Die Statistik legt nahe, dass eine sechsstellige Zahl von Personen grundsätzlich nicht bereit ist, eine Arbeit anzunehmen.“ In diesem Fall müsse der Staat davon ausgehen, dass derjenige nicht bedürftig sei. Doch wie viele „Totalverweigerer“ beim Bürgergeld gibt es wirklich?
Ein Sprecher der Bundesagentur für Arbeit sagte der „Tagesschau“ bereits im Frühjahr, dass man keine genauen Zahlen zu „Totalverweigerern“ habe. „Wir können statistisch nicht auswerten, wie oft eine Minderung festgestellt wurde, weil jemand eine Arbeit abgelehnt hat“, so der Sprecher weiter.
Statistisch erfasst werde aber der Minderungsgrund „Weigerung Aufnahme oder Fortführung einer Arbeit, Ausbildung, Maßnahme oder eines geförderten Arbeitsverhältnisses“, bei dem auch Weiterbildungen und Qualifikationen berücksichtigt werden. Laut Bundesagentur für Arbeit gab es zwischen Februar und Dezember 2023 insgesamt knapp 16.000 solcher Fälle. Für Januar 2023 liegt demnach keine Differenzierung nach Gründen vor.
Insgesamt zählten die Jobcenter im vergangenen Jahr mehr als 226.000 Fälle von Leistungskürzungen – das entspricht einem Anstieg von 77.520 Fällen gegenüber dem Vorjahr. Es kann aber auch sein, dass einem Leistungsempfänger das Bürgergeld mehrfach gekürzt wird, was die Fälle in der Statistik erhöht. Die meisten Kürzungen (84,5 Prozent) erfolgten demnach, weil Leistungsbezieher ohne Angabe eines wichtigen Grundes nicht zu Terminen erschienen waren.
„Generell lässt sich feststellen, dass zuletzt mehr als 80 Prozent der Minderungen wegen Meldeversäumnissen festgestellt werden“, so der Sprecher der Arbeitsagentur zur „Tagesschau“ weiter. Solche Meldeversäumnisse entstehen etwa, wenn Bürgergeldempfänger wichtige Termine beim zuständigen Träger, bei ärztlichen oder psychologischen Untersuchungen versäumen, ohne einen nachvollziehbaren Grund anzugeben.
Rund 5,5 Millionen Menschen in Deutschland erhalten Bürgergeld, davon gelten 3,9 Millionen als erwerbsfähig. Die Arbeitsagentur weist darauf hin, dass etwa 2,6 Prozent der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten im Jahr 2023 von mindestens einer Kürzung betroffen waren. „Damit kommen 97 von 100 Menschen mit Leistungsminderungen nicht in Berührung“, heißt es von der Arbeitsagentur weiter.
Bei den „Totalverweigerern“ kommt man nach Berechnungen von t-online nur auf einen Prozentsatz von 0,4 Prozent. Zumindest, wenn man die Daten der Monate Februar bis Dezember 2023 zugrunde legt. Die Rechnung sieht folgendermaßen aus: In absoluten Zahlen waren es 15.774 Fälle von „Totalverweigerern“ (siehe oben), geteilt durch rund 3,9 Millionen erwerbsfähige Bürgergeld-Empfänger.
Rechnet man den Anteil auf das gesamte vergangene Jahr hoch, kommt man auf eine absolute Zahl von rund 17.000 „Totalverweigerern“. Die Quote liegt entsprechend bei etwa 0,44 Prozent – ist also verschwindend gering. Beachten Sie jedoch, dass diese Rechnung stark vereinfacht ist.
Die Debatte dreht sich derweil auch um ukrainische Flüchtlinge, die in Deutschland Bürgergeld beziehen. CDU-General Linnemann kritisierte die Regelungen scharf. „Die Ukrainer verteidigen auch unsere Freiheit. Aber wenn es eine Leistung gibt, ist sie mit einer Gegenleistung verbunden. Dazu zählt, eine Arbeit aufzunehmen.“ Hier fehlten „ganz klar“ entsprechende Anreize. Ausnahmen sieht er bei Alleinerziehenden oder Menschen, die Angehörige pflegen.
Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine können seit Juni 2022 Leistungen der Grundsicherung (heute Bürgergeld) erhalten – anstelle der geringeren Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Darauf hatten sich Bund und Länder damals verständigt. Begründet wurde die Änderung auch damit, dass Flüchtlinge aus der Ukraine direkt Anspruch auf einen Aufenthaltstitel haben und keine Entscheidung abwarten müssen, wie es bei Asylbewerbern der Fall ist.