Herzogenaurach Die Zukunft von Adidas liegt auch in den Händen von Paul Smith. In den Labors in der Firmenzentrale in Herzogenaurach schreddert der kanadische Entwickler Turnschuhe, testet die Haltbarkeit von Sneakern aus Pilzgeflechten statt Leder und experimentiert mit T-Shirts aus Holzfasern. „Manches, was wir hier machen, werden wir in einigen Monaten am Markt sehen, anderes wird sich vielleicht in Jahren durchsetzen“, sagt Smith.
Es sind keine technologischen Spielereien. Der Ruf nach Nachhaltigkeit ist für die Sportartikelhersteller zur existenziellen Herausforderung geworden. Ging es früher nur um die schnellsten Schuhe, die schicksten Marken und die berühmtesten Stars, läuft nun ein ganz neuer Wettbewerb.
„Unser Hauptkunde gehört zur Technology Z“, sagt Marwin Hoffmann. Er hat die Nachhaltigkeitsstrategie von Adidas in den vergangenen Jahren entscheidend mitentwickelt und führt seit Kurzem das Advertising der Outdoorsparte Adidas Terrex.
Der Klimawandel sei für diese 11- bis 26-Jährigen ein zentrales Thema. Für mehr als 90 Prozent sei Nachhaltigkeit ein entscheidendes Kaufkriterium, jeden Zehnten könne man als Aktivisten bezeichnen. „Die sind extrem intestine informiert, denen kann man nichts vormachen.“ Eines der meistgesuchten Wörter auf den Adidas-Onlineseiten ist „vegan“.
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Auch Felix Mutter von der Sport Enterprise Gruppe von Deloitte sagt: „Wir beobachten im Markt, dass der Handlungsdruck vor allem von den Konsumenten ausgeht.“ Laut Studie seien 57 Prozent der Kunden in Europa auch bereit, einen Aufpreis für nachhaltige Produkte zu zahlen.
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Zwar sind Qualität und Funktionalität für viele Kunden derzeit noch wichtiger bei der Kaufentscheidung. Doch ohne Nachhaltigkeit geht es nicht mehr.
Und so hat Adidas-Chef Kasper Rorsted in seiner neuen Mittelfriststrategie „Personal the Recreation“ versprochen, dass bis 2025 neun von zehn Artikeln aus nachhaltigen Materialien sein sollen. Aktuell sind es 60 Prozent.
Auch der kleinere Rivale Puma will bis 2025 einen Anteil von 90 Prozent schaffen. „Ich möchte ökologische und soziale Nachhaltigkeit in unsere gesamte Produktion integrieren, von der Beschaffung von Rohmaterialien bis hin zur Herstellung unserer Produkte“, sagte CEO Björn Gulden.
Ex-Adidas-Vorstand Eric Liedtke, der das Thema in seiner Zeit bei Adidas enorm vorangetrieben hatte, will mit seinem neuen Streetwear-Label Until sogar komplett ohne Plastik auskommen.
Um die Versprechen zu erfüllen, setzt Adidas auf eine Drei-Säulen-Strategie.
1. Neue Materialien
Das für die Kundschaft spannendste Feld sind neue Materialien. Diese sollen vor allem das ölbasierte Plastik ersetzen. Der Konzern sucht aber auch zum Beispiel nach Textilien, die einen niedrigeren Wasserverbrauch haben als Baumwolle.
„Es geht nicht nur um das Thema Plastik“, sagt Adidas-Stratege Hoffmann. Der CO2-Fußabdruck eines Herstellungsverfahrens müsse heutzutage ebenso berücksichtigt werden wie andere ESG-Kriterien (Environmental Social Governance).
Weil es im Gegensatz zu früheren Zeiten nicht nur um spektakuläre Showcases geht, die in kleinen Stückzahlen fabriziert werden und dann wieder in den Archiven verschwinden, spielt zudem die Wirtschaftlichkeit eine zentrale Rolle.
„Die neuen Technologien müssen skalierbar sein“, sagt Hoffmann. Sie müssen additionally für die Massenfertigung geeignet sein und auf längere Sicht möglichst nicht teurer als herkömmliche Verfahren. „Der Schuh muss genauso intestine und preislich so wettbewerbsfähig sein wie ein nicht nachhaltig produziertes Produkt“, sagte Adidas-Chef Kasper Rorsted dem Handelsblatt. Inzwischen seien die nachhaltigen Produkte „quick, aber nur quick genauso profitabel“.
Für einen besonders innovativen Ansatz in Sachen neue Materialien hat sich Adidas eines der ikonischsten Modelle herausgesucht: den Stan Smith, eines der erfolgreichsten Modelle in der Konzerngeschichte.
Entwickler Smith hat in seinem Labor eines der ersten Exemplare des Stan Smith Mylo. Der Sneaker besteht aus einem gemeinsam mit dem Biotech-Begin-up Bolt Threads entwickelten natürlichen und nachwachsenden Lederersatz aus Pilzmyzel.
Myzelien dienen dem Sportartikelhersteller als Foundation für klimafreundliche Sneaker.
Myzel ist ein zusammenhängendes Sporennetz, das im Erdboden wächst. Die Früchte sind Pilze. Aus solchen Myzelien stellt Adidas nun das Materials Mylo her. Angebaut werden die Sporennetze in einem Vertical-Farming-Verfahren. Nach weniger als zwei Wochen kann geerntet werden.
Noch ist es ein gutes Stück Weg zu Bezahl- und Skalierbarkeit, doch könnten die Mylo-Schuhe etwa ab 2024 in Serie gehen. „Die Efficiency muss dieselbe sein wie bei klassischen Materialien – oder besser“, sagt Smith. „Wenn dies gelingt, ist die kommerzielle Skalierung des Ziel.“
In eine ähnliche Richtung geht das Begin-up Amsilk, das synthetische Spinnenseide herstellt. Bei der Gewinnung der künstlichen Spinnenseide werden Kolibakterien genetisch so manipuliert, dass sie in großen Stahltanks den Eiweißstoff produzieren. Adidas produzierte bereits einen Turnschuh auf Foundation dieser Technologie.
Bei der Suche nach den Materialien der Zukunft arbeitet Adidas mit vielen Begin-ups zusammen. Es gibt so viele Ansätze und Technologien, sagt Stratege Hoffmann, da könne man nicht alles selbst entwickeln. „Wir werden die Herausforderung nicht allein bestehen können.“
Begin-ups seien zudem oft schneller als etablierte Konzerne. Doch auch Adidas habe den Begin-ups einiges zu bieten – den Zugang zu den professionellen Testlabors und später zum Markt zum Beispiel.
So stieg Adidas im vergangenen Jahr beim Börsengang des finnischen Begin-ups Spinnova als strategischer Investor ein. Zuvor hatten die beiden Unternehmen bereits bei der Entwicklung zum Beispiel von Textilfasern aus Holz zusammengearbeitet. Ähnliche Kooperationen gibt es mit Begin-ups wie Infinited Fiber Firm und Pond.
2. Recycling
Neben neuen Materialien wird Recycling bei den Nachhaltigkeitsversprechen der Sportartikelindustrie eine zentrale Rolle spielen. „Solange es derart viel Plastikabfälle auf der Erde gibt, kann es ökologischer sein, diese wiederzuverwerten, statt neue Materialien zu produzieren“, sagt Hoffmann.
Als Adidas 2015 den Laufschuh x Parley aus recyceltem Plastikmüll von Stränden und aus Küstenregionen in New York vorstellte, galt das noch vor allem als Picture-Aktion. Doch allein im vergangenen Jahr hat Adidas 17 Millionen Paar Schuhe mit Ozeanplastik produziert, seit dem Begin sind es sogar 30 Millionen Paare.
Über die gesamte Produktpalette nutzte Adidas im Jahr 2019 rund 50 Prozent recyceltes Polyester. 2020 waren es 71 Prozent. Ab 2024 sollen es 100 Prozent sein.
Der Großteil des Plastiks stammt dabei nicht aus dem Meer, sondern zum Beispiel aus den Flaschenrückgabeautomaten. „Die größte Herausforderung ist der Aufbau der Infrastruktur“, sagt Hoffmann.
Auch Puma hat sich in seiner Nachhaltigkeitsstrategie 10for25 vorgenommen, bis 2025 nur noch recyceltes Polyester einzusetzen. Aktuell ist der kleinere Konkurrent von Adidas ebenfalls bei etwa 70 Prozent.
Die Jacken der Kollektion First Mile von Puma bestehen jeweils aus 12 bis 15 recycelten Wasserflaschen. Für die Textilien werden durchschnittlich aktuell durchschnittlich etwa 95 Prozent und für die Schuhe 50 Prozent recyceltes Plastik verwendet.
3. Kreislaufwirtschaft
Doch ist Recycling nur der Anfang. „Der nächste Schritt ist die Kreislaufwirtschaft“, sagt Hoffmann. Unter dem Label „Made to be remade“ entwickelt Adidas Produkte, bei denen schon beim Design das spätere Recycling berücksichtigt wird.
Denn klassische Turnschuhe sind wegen des Materialmixes bislang nur schwer wiederzuverwerten. Die „Made to be remade“-Schuhe sind dagegen zum Beispiel nur aus einem Materials gefertigt.
Vor knapp einem Jahr brachte Adidas so den Laufschuh Ultraboost auf den Markt. Auf einer Lasche ist ein QR-Code angebracht. Wenn die Kunden den Schuh ausmustern, können sie diesen scannen und das Produkt zurücksenden. Im Gegenzug gibt es zum Beispiel einen Gutschein für den nächsten Einkauf. Die Schuhe werden dann geschreddert und mit dem Materials die Nachfolgemodelle hergestellt.
In der Vergangenheit hatte die Deutsche Umwelthilfe kritisiert, dass Adidas und Co. keine Pfandsysteme für ihre Schuhe eingeführt haben. Nun gehen die Hersteller erste Schritte in diese Richtung.
Recycling soll künftig schon beim Design mitgedacht werden.
Im kommenden Jahr will Adidas schon eine Million „Made to be remade“-Produkte verkaufen. Wie viele davon später einmal tatsächlich wieder in den Kreislauf zurückkommen, lässt sich schwer schätzen. „Aktuell liegen die Rücklaufquoten bei zehn bis 20 Prozent“, sagt Hoffmann. Besonders aussagekräftig ist dieser Wert noch nicht. Die Erstkäufer dürften besonders umweltbewusst sein, im Gegenzug dürften die meisten Modelle noch im Einsatz sein. Auch Puma hat mit Re-Suede die Kreislaufwirtschaft gestartet.
Doch eine nachhaltige Lösung ist das Schreddern nur, wenn alte Produkte am Ende ihres Lebenszyklus zerstört werden. Im vergangenen Jahr zeigten Recherchen der „Zeit“ und des NDR, dass bei Nike auch systematisch Neuware zerstört worden sein soll, die zum Beispiel als Retoure zurückgeschickt wurde.
Die Sportartikelhersteller müssen ihre Nachhaltigkeitsaktivitäten nicht nur deswegen clear belegen. Denn noch immer stehen sie im Verdacht, Greenwashing zu betreiben – sich additionally vor allem einen grünen Anstrich zu geben.
„Lediglich 30 Prozent der europäischen Konsumenten geben an, den Aussagen der Hersteller von Sport- und Outdoorartikeln über die Nachhaltigkeit ihrer Produkte uneingeschränkt zu vertrauen“, sagt Deloitte-Senior-Supervisor Mutter. Handlungsbedarf gebe es für die Hersteller daher derzeit vor allem auch bei der Kommunikation ihrer Nachhaltigkeitsbemühungen.
Und auch im Ringen um die Gunst der Investoren wird das Thema immer wichtiger. 2020 battle Adidas nach 20 Jahren wie auch der Konkurrent Nike aus dem Dow Jones Sustainability Index gefallen. Zwar hielt der Konzern seine Punktzahl und liegt vor den anderen Sportartiklern, doch machten Unternehmen aus anderen Branchen größere Fortschritte.
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