Die Hauptversammlungssaison 2022 ist angelaufen. Klimakrise, geopolitische Konflikte und eine anhaltende Pandemie fordern die Aufsichtsräte weit stärker als üblich. Sie müssen strukturelle, strategische und personelle Neuerungen in den Unternehmen vorantreiben und darüber berichten.
Noch nie mussten Aufsichtsgremien so viel Experience vereinen wie heute. Sie müssen sowohl zahlreiche regulatorische Vorgaben erfüllen als auch mit Sachverstand die dringlichen Themen bewerten können.
Die Frage ist: Liegt in Aufsichtsratsgremien ausreichend Kompetenz vor, um mit den großen Transformationsprozessen und Krisen optimum umzugehen? Studien über die Aufsichtsratsbesetzung lassen zweifeln, dass bei der Besetzung vieler Aufsichtsräte ausreichend professionell verfahren wird.
Die Auswahl geeigneter Kandidatinnen und Kandidaten läuft zu etwa 20 Prozent über Personalberatungen. Im Umkehrschluss wird zu etwa 80 Prozent über Netzwerke rekrutiert – „household & buddies“, wie es so oft heißt.
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Eine Studie der Uni Speyer verdeutlicht die mangelnde Professionalität bei Aufsichtsratsbesetzungen: Ein enger Suchradius in bekannten Netzwerken, unzureichende Nutzung eines Kompetenzprofils sowie Verzicht auf das Mehraugenprinzip wurden bei fünf von sechs Aufsichtsräten festgestellt. Die Auswahlprozesse sind nach wie vor zu intransparent. Zugespitzt formuliert: Der Aufsichtsrat sucht sich oft selbst aus.
Einfluss nutzen, um höhere Transparenz zu schaffen
Gerade in diesen Zeiten ist es aber ungemein wichtig, dass Aufsichtsräte den Vorständen mit guter Beratung und nötiger Kontrolle zur Seite stehen. Es braucht entsprechende Experience, wenn es heißt: Mit welchen Themen ist das Unternehmen konfrontiert? Wo will das Unternehmen hin?
Gerade jetzt ist Diversität im Kompetenzprofil des Aufsichtsrats gefragt, um über die juristischen und finanzwirtschaftlichen Kompetenzen hinaus Anforderungen aus Geopolitik, Lieferketten, Klimakrise oder Cybersicherheit bewerten zu können. Um mit diesen unterschiedlichen Perspektiven umgehen zu können, ist für Transformationsfähigkeit zudem Range-Kompetenz gefragt.
Für die neue Hauptversammlungssaison sollten Aktionärinnen und Aktionäre deshalb nicht blind ihre Einflussmöglichkeiten an Stimmrechtsberater abgeben oder gar ihr Stimmrecht verfallen lassen.
Stattdessen sollten sie ihren Hebel nutzen, höhere Transparenz über Besetzungsprozesse zu verlangen, sowie die Profile der Aufsichtsratsmitglieder genau unter die Lupe nehmen. Sich aktiv mit den Transformationskompetenzen des Aufsichtsrats zu beschäftigen dient nicht nur ihrem ökonomischen Interesse an einem ertragreichen und langfristigen Bestehen des Unternehmens.
Es ist auch als Engagement zu verstehen, damit Unternehmen mit Nachhaltigkeitsorientierung und guter Unternehmensführung ihren gesellschaftlichen Beitrag leisten – gerade in diesen Zeiten.
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