Nach der Festnahme von Daniela Klette halten sich die Behörden bedeckt – wohl auch weil von ihren Komplizen weiter jede Spur fehlt. Kritiker fragen: Warum wurde die 65-Jährige nicht früher gefasst?
Für ihre Hausmitbewohner in Berlin-Kreuzberg war es schon der zweite Schock: Erst erfuhren sie, dass ihre freundliche Nachbarin mit dem grauen Zopf eine seit mehr als 30 Jahre gesuchte RAF-Terroristin ist.
Dann mussten die Bewohner des siebengeschossigen Mietshauses in der Sebastianstraße auf Anordnung der Polizei ihre Wohnungen verlassen – zu ihrer eigenen Sicherheit. Denn bei Daniela Klette, die mehr als 30 Jahre im Untergrund lebte, wurden „schwere Kriegswaffen“ entdeckt, wie ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Verden sagte.
Kriegswaffen und Granate in Wohnhaus
Am Mittwochabend mussten auch einige Bewohner eines weiteren Hauses ihre Wohnungen verlassen. Die Straße war komplett gesperrt. Erst am frühen Morgen wurde die Sperrung aufgehoben. Bei der Durchsuchung der Wohnung von Klette wurden Waffen, Pistolenmagazine und Munition gefunden.
Mittwochabend hatten Kriminaltechniker eine Granate aus dem Haus getragen, am Morgen wurde ein weiterer wohl gefährlicher Gegenstand herausgetragen und in ein Spezialfahrzeug verladen. Später folgte ein drittes Fundstück, wie dpa-Reporter beobachteten. Die Ermittler gaben zunächst nur wenige Informationen heraus, auch weil nach Klettes RAF-Komplizen Ernst-Volker Staub oder Burkhard Garweg weiter mit Hochdruck gefahndet wird.
Kritik an den Behörden
Die linksextremistische Vereinigung Rote Armee Fraktion (RAF) war über Jahrzehnte der Inbegriff von Terror und Mord im Westen des noch geteilten Deutschlands. Angehörige der Opfer kritisierten nach der Festnahme Klettes die Behörden.
„Die Tatsache, dass eine RAF-Terroristin 20 Jahre vom Verfassungsschutz unentdeckt und unbehelligt mitten in Berlin leben kann, ist mir unheimlich“, sagte Jörg Schleyer der „Bild“. Diesen Umstand müsse die Politik untersuchen und über Konsequenzen „nachdenken“. Der 70-Jährige ist der jüngste Sohn des 1977 von der RAF ermordeten Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer.
Journalist entdeckte Klette möglicherweise vor Polizei
Klettes Festnahme durch Zielfahnder des Landeskriminalamtes (LKA) Niedersachsen feierte die niedersächsische Innenministerin Daniela Behrens (SPD) als „Meilenstein in der deutschen Kriminalgeschichte“. Aber warum konnte die Linksterroristin nicht früher aufgespürt werden? Der Podcast „Legion“ der Sender NDR und RBB entdeckte bereits im Dezember 2023 bei der Suche nach Daniela Klette eine Frau in Tanzgruppen in Berlin, die ihr täuschend ähnlich sah.
Für den Podcast recherchierte Michael Colborne vom Recherchekollektiv „Bellingcat“ mithilfe einer Gesichtserkennungssoftware. Grundlage waren Fahndungsfotos der jungen Klette. Er habe nur 30 Minuten gebraucht, um zu bestimmen, dass die Fotos auf der Internetseite eines Berliner Capoeira-Studios mit hoher Wahrscheinlichkeit Daniela Klette zeigten, sagte Colborne der dpa.
„Die Tatsache, dass jemand wie ich, der kein Deutsch spricht, so kurze Zeit brauchte, um eine Spur zu finden, die direkt zu Daniela Klette führte, lässt mich fragen, wie sie 30 Jahre lang den Strafverfolgungsbehörden entgehen konnte“, kritisierte der kanadische Journalist.
Das Landeskriminalamt Niedersachsen äußerte sich zunächst nicht zu einer möglichen Fahndung mit Gesichtserkennungssoftware und zur Frage, ob diese überhaupt rechtlich zulässig wäre. Die Datenschutz-Grundverordnung der EU verbietet es, biometrische Daten ohne explizite Einwilligung zu verarbeiten.
Weitere „terroristische Mörder“ in Freiheit
Versuche der Bundespolizei mit Gesichtserkennung hätten zu hervorragenden Ergebnissen geführt, sagte der Bundesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), Rainer Wendt, auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur (dpa). Eine gesetzliche Befugnis, um die Technik bei der Suche nach gefährlichen Tätern, Terroristen oder flüchtigen Tätern anwenden zu dürfen, gebe es allerdings nicht. „Derzeit ist es den Ermittlern nicht erlaubt, das zu tun, das sollte sich ändern“, forderte der Polizeigewerkschafter.
Für die Aufklärung der Morde der linksterroristischen Vereinigung ist die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe zuständig. Michael Buback, Sohn des 1977 getöteten Generalbundesanwalts Siegfried Buback, kritisierte im Berliner „Tagesspiegel“, dass die Erinnerung an die RAF keine besondere Rolle im kollektiven Gedächtnis spiele.
„Da nur einer der 34 RAF-Morde vollständig aufgeklärt ist, dürfte noch eine größere Zahl terroristischer Mörder in Freiheit leben“, sagte der 79-Jährige dem Berliner „Tagesspiegel“. „Eine Zahl kann ich nicht nennen, da noch viel zu viel im Dunkeln liegt.“
Vorwürfe gegen Klette
Gegen Klette liegen laut Bundesanwaltschaft weiterhin Haftbefehle vor. Ermittelt werde gegen sie wegen Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion und versuchten Mordes bei Taten Anfang der 90er-Jahre. In Untersuchungshaft sitzt die 65-Jährige derzeit aber wegen sechs bewaffneter Überfälle auf Geldtransporter und Supermärkten in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen zwischen 1999 und 2016.