Die Schuldenbremse sei in ihrer jetzigen Form unnötig restriktiv. Zu diesem Urteil kommen die „Wirtschaftsweisen“ und schlagen mögliche Reformen vor.
Die „Wirtschaftsweisen“ halten die Schuldenbremse für unnötig streng und plädieren für eine umfassende Lockerung. Andernfalls werde die deutsche Schuldenquote in den nächsten Jahrzehnten viel stärker sinken als nötig, sagte die Vorsitzende des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Monika Schnitzer, der Deutschen Presse-Agentur. Die wichtigen wirtschaftspolitischen Berater regen eine Reform an, die der Bundesregierung jährlich einige Milliarden Euro Kreditspielraum bringen könnte.
„Die Schuldenbremse, wie sie jetzt ist, ist zu starr“, sagte Schnitzer. „Wir wollen die Flexibilität erhöhen und Spielräume schaffen, sodass man zukunftsorientierte öffentliche Ausgaben tätigen kann, ohne dabei die Tragfähigkeit der Staatsfinanzen auszuhöhlen.“ Wie kommen die Wissenschaftler darauf – und was genau schlagen sie vor?
Simulation: Wie entwickelt sich die Schuldenquote?
Die Schuldenregel in Paragraf 115 des Grundgesetzes besagt, dass der Staat im Regelfall nicht viel mehr Geld ausgeben darf, als er einnimmt. Abhängig von der Wirtschaftslage ist nur eine geringe Neuverschuldung erlaubt. Das soll sicherstellen, dass der Staatshaushalt tragfähig bleibt und auch, dass keine zu hohen Lasten an künftige Generationen weitergegeben werden.
Die „Wirtschaftsweisen“ haben simuliert, wie sich die Schuldenquote in den nächsten Jahrzehnten entwickeln wird, wenn an der Regelung nichts geändert wird. Das Ergebnis: Selbst wenn der Bund seine Möglichkeiten zur Schuldenaufnahme immer voll ausschöpft und es zusätzlich regelmäßig Notlagen mit höheren Krediten gibt, sinkt die Quote. Und zwar so stark, dass sie im Jahr 2070 deutlich unter dem Maastricht-Kriterium von 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts liegt.
Deutschland hätte dann womöglich gespart, obwohl man das Geld gut hätte einsetzen können. Die Schuldenregel sei unnötig restriktiv, meint Schnitzer deshalb. „Wir müssen nicht so restriktiv sein, um unsere Schuldentragfähigkeit zu sichern.“
Auch aktuell sinkt die Schuldenquote laut Finanzminister Christian Lindner. Nach einem Corona-Hoch im Jahr 2021 von 69 Prozent des BIP erwartet der FDP-Politiker für dieses Jahr rund 64 Prozent.
Ansatzpunkt 1: Übergangsregel nach einer Notlage
Die Vorsitzende der „Wirtschaftsweisen“ sieht drei Konstruktionsschwächen der Schuldenregel. Bisher gebe es etwa keine Übergangsregel für die Zeit nach einer Notlage mit hoher Kreditaufnahme. „Natürlich kann man für das Folgejahr wieder eine Notsituation erklären, das wird mit jedem Jahr aber schwieriger zu argumentieren“, sagte sie. Für die Wirtschaft sei eine solche Unsicherheit heikel, weil sie sich nicht auf zugesagte Unterstützung verlassen könne.
Die „Wirtschaftsweisen“ schlagen deshalb vor, dass die Kreditaufnahme nach einer Notsituation schrittweise zurückgefahren wird: „Man könnte das strukturelle Defizit jährlich um 0,5 Prozentpunkte reduzieren, wie es in der EU vorgesehen ist. Oder man fährt es über drei Jahr linear herunter.“
Ansatzpunkt 2: Flexiblere und höhere Verschuldungsgrenze
Der zweite Reformansatz betrifft die Verschuldungsgrenze von aktuell 0,35 Prozent der Wirtschaftsleistung. „Die ist unnötig gering“, sagte Schnitzer. Der Spielraum könne in Abhängigkeit von der Schuldenquote erhöht werden: auf 1,0 Prozent bei einer Schuldenquote unter der Maastricht-Grenze, auf 0,5 Prozent bei einer Schuldenquote von über 60 Prozent – und auf 0,35 Prozent bei einer Schuldenquote von 90 Prozent oder mehr.
„Eine Übergangsregel und höhere Defizitgrenzen würden dafür sorgen, dass die Schuldenquote nicht mehr so stark, aber weiter stetig abnimmt. Das ist noch immer sehr gut mit Schuldentragfähigkeit vereinbar und erweitert doch etwas den Spielraum“, sagte Schnitzer. Pro Jahr würde das der Bundesregierung nach Rechnung der Sachverständigen einen Kreditspielraum von 36 Milliarden Euro bringen – zumindest bei einer Schuldenquote unter 60 Prozent. Reißt Deutschland die Maastricht-Kriterien, wären es immer noch rund 18 Milliarden.
Ansatzpunkt 3: Die Konjunkturkomponente
Wie viele Schulden der Bund machen darf, wird auch von einer Konjunkturkomponente beeinflusst. Stark vereinfacht gilt: Je schlechter die Wirtschaftslage, desto höhere Kredite sind erlaubt. Das Problem ist, dass das auf Prognosen beruht – denn zu Beginn des Jahres ist die wirtschaftliche Entwicklung unbekannt.