Berlin Olaf Scholz spricht im Elysée-Palast über ein „starkes Europa“, neben ihm hört Frankreichs Präsident Emmanuel Macron aufmerksam zu. Die erste Auslandsreise eines deutschen Kanzlers nach Paris hat Custom, das Bekenntnis zur engen Zusammenarbeit in der EU ebenso. Dann kommt ein ungemütliches Thema zur Sprache: Es geht um die Atomkraft.
Frankreich will die Kernenergie mit einer Milliardensumme fördern, Deutschland im nächsten Jahr aussteigen. In Brüssel streiten beide Länder darum, ob Investitionen in die Atomkraft als nachhaltig gelten. Macrons Regierung hält die deutsche Ablehnung für einen Fehler im Kampf gegen den Klimawandel – und für eine Attacke auf ihre energiepolitische Strategie.
Scholz vermittelt in Paris dagegen den Eindruck, als könne er die „aufgeregte Diskussion“ nicht verstehen. Bei seinen Antworten ist am Ende nicht klar, ob und wo überhaupt ein Konflikt besteht. Es ist eine Methode, die auch seine Vorgängerin Angela Merkel immer wieder einsetzte, um schwierigen Fragen aufzuschieben.
Die Ansätze zum Klimaschutz seien eben unterschiedlich, sagt Scholz. Es gehe darum, „eine Kraft zu schaffen, die es möglich macht, jeweils unterschiedlich auf das gleiche Ziel zuzumarschieren, aber gleichzeitig auch etwas zu schaffen, auf das man sich miteinander verständigen kann“. In Brüssel, der zweiten Station seiner Reise, antwortet der Kanzler auf die Chancen für eine Einigung im Atomstreit später: „Mal sehen.“
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Frankreich übernimmt am 1. Januar für sechs Monate den EU-Ratsvorsitz. Am Tag vor dem Besuch von Scholz hatte Macron sein ehrgeiziges Programm für ein „Europa im Jahr 2030“ vorgestellt: Dem Präsidenten schwebt ein „neues europäisches Wachstumsmodell“ vor, eine Reform der Migrationspolitik und des Schengen-Raums, eine souveräne Staatengemeinschaft auf Augenhöhe mit den USA und China.
Scholz teilt Macrons Einschätzung, dass die EU vor großen Herausforderungen steht. „Es geht darum, wie wir Europa stark machen können, die europäische Souveränität in all den Dimensionen, die dazu gehören“, sagte er in Paris. Der neue Kanzler blieb aber vage, was er sich genau unter europäischer Souveränität vorstellt.
Keine klaren Antworten auf europäische Fragen
Klare Antworten auf seine ambitionierten Pläne struggle Macron auch schon von Merkel nicht gewohnt. Als der Präsident 2017 wenige Monate nach seiner Wahl an der Pariser Universität Sorbonne eine europäische Grundsatzrede hielt, wartete er vergeblich auf eine Reaktion aus Berlin.
Bei der Vorstellung seiner Ratspräsidentschaft hatte Macron auch gefordert, die europäischen Haushaltsregeln zu reformieren. Nach dem Gespräch mit Scholz bekräftigte der Präsident am Freitag seine Place: Um Investitionen der Mitgliedsstaaten in den grünen und digitalen Umbau der Wirtschaft zu ermöglichen, müssten die Regeln angepasst werden.
Die Verschuldung vieler Euro-Staaten, darunter Frankreich, liegt mittlerweile deutlich über der Grenze von 60 Prozent des BIP. Wegen der Kosten der Pandemie sind die 60-Prozent-Grenze sowie die Drei-Prozent-Grenze beim Haushaltdefizit noch bis Ende 2022 ausgesetzt.
Scholz steht einer Reform der Schuldenregeln dagegen skeptisch gegenüber. Es sei kein Gegensatz, „Wachstum aufrechtzuerhalten und für solide Finanzen zu sorgen“, sagte der Kanzler in Paris. Der Stabilitäts- und Wachstumspakt habe in der Coronakrise zudem seine „Flexibilität“ unter Beweis gestellt.
Nach der kurzen Visite in Paris flog Scholz weiter nach Brüssel. Dort erhielt er ein Lob von Kommissionschefin Ursula von der Leyen für die Ambitionen der Ampel-Koalition beim Klimaschutz und die Unterstützung für die auf EU-Ebene geplanten Regulierungen für große Internetplattformen. „Deutschland struggle und ist immer sehr wichtig für die Entwicklung unserer Gemeinschaft“, sagte von der Leyen. Den neuen Kanzler forderte sie auf: Die deutsche Politik „muss sich unmittelbar verantwortlich fühlen für den Fortschritt in Europa“.
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