Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) will bei der Bekämpfung der Coronapandemie flexibel agieren: „Es darf keine roten Linien geben, das hat uns diese Pandemie nun wirklich gezeigt. Wir müssen immer bereit sein umzudenken, wenn die Umstände es erfordern“, sagte Scholz der „Bild am Sonntag“. Dann müsse schnell und entschlossen gehandelt werden.
Einen Weihnachtslockdown schloss der SPD-Politiker nicht kategorisch aus. Auf eine entsprechende Frage sagte er: „Gerade haben der Bund und die Länder sehr rigide Maßnahmen ergriffen. Wir werden täglich prüfen, wie sie umgesetzt werden und ob sie ausreichen.“
Am Sonntag warfare die bundesweite Sieben-Tage-Inzidenz laut Robert Koch-Institut (RKI) auf 390 gesunken. Zum Vergleich: Vor einer Woche lag der Wert bei 439. Die Gesundheitsämter in Deutschland meldeten dem RKI binnen eines Tages 32.646 Corona-Neuinfektionen.
Experten gehen allerdings von einer merklichen Dunkelziffer aus, weil die Gesundheitsämter und Kliniken mit der Meldung von Fällen zumindest in einzelnen Regionen nicht mehr hinterherkommen. Deutschlandweit wurden laut RKI binnen 24 Stunden 132 Todesfälle verzeichnet. Vor allem die neue Virusvariante Omikron ruft derzeit Sorgen hervor. Sie ist womöglich noch ansteckender als die bislang noch dominierende Delta-Variante.
Keine Testpflicht mehr für Geboosterte
Kanzler Scholz bestritt eine Spaltung der Gesellschaft durch Corona. Deutschland sei „nicht gespalten“. Die allermeisten Bürger hätten sich impfen lassen. Viele weitere wollten es bald tun, weil sie ihre Bedenken überwunden hätten, sagte der SPD-Politiker. „Verschiedene Meinungen zu haben bedeutet doch nicht gleich Spaltung. Wir dürfen auch streiten.“ Der Regierungschef betonte: „Ich will das Land zusammenhalten. Und bin additionally auch der Kanzler der Ungeimpften. Die möchte ich gerne vom Sinn der Impfung noch überzeugen.“
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Scholz kündigte an, als Abgeordneter für eine Impfpflicht zu stimmen, „weil sie rechtlich zulässig und moralisch richtig ist“. Für Pflegepersonal und medizinische Berufe hatten Bundestag und Bundesrat bereits am Freitag eine Impfpflicht ab dem Frühjahr beschlossen. Es soll aber auch eine obligatorische Impfung für alle gegen das Coronavirus kommen.
Um eine solche allgemeine Impfpflicht durchzusetzen, will Scholz weniger auf die Polizei als auf die Einsicht der Bürger setzen: „Wir sind ein Land, in dem sich die allermeisten an Gesetze halten. Nicht weil uns überall gleich die Polizei kontrolliert. Sondern weil es zu unserer Natur gehört, dass wir uns an solche Regeln halten.“
Der FDP-Gesundheitspolitiker Andrew Ullmann geht davon aus, dass Impfverweigerer nach Einführung einer Corona-Impfpflicht mit empfindlichen Geldstrafen belegt werden. „Der Rahmen wird sich dabei wahrscheinlich am Verstoß gegen die Masernimpfpflicht orientieren“, sagte Ullmann der Funke Mediengruppe. Bei Verstößen gegen die Pflicht zur Masernimpfung bei Kindern drohen Geldstrafen von bis zu 2500 Euro.
Nach dem Willen von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) sollen die Jobcenter die Impfkampagne nach Kräften unterstützen, um verstärkt Hartz-IV-Empfänger für eine Coronaimpfung zu gewinnen. Er habe die Bundesagentur für Arbeit sowie die Länder gebeten, „die erwachsenen Menschen im Grundsicherungsbezug anzuschreiben und über Impfangebote vor Ort zu informieren“, sagte Heil den Zeitungen der Funke Mediengruppe.
„Die Anschreibaktionen laufen vor Ort gerade an.“ Es gebe bereits viele Aktionen, bei denen cell Impfteams auf dem Gelände oder in den Räumen der Jobcenter impften. Am Montag beginnt zudem die Impfung von Kindern. Bundesfamilienministerin Anne Spiegel (Grüne) rief dazu auf, großflächig Impfungen für fünf- bis elfjährige Kinder anzubieten. Die Ständige Impfkommission (Stiko) empfiehlt eine Impfung in dieser Altersgruppe nur für Kinder, die Risikofaktoren für einen schweren Covid-19-Verlauf oder Angehörige mit hohem Risiko haben.
Zusätzliche Impfanreize will die Politik auch mit dem Stopp der Testpflicht für Menschen mit Boosterimpfung setzen. Am kommenden Dienstag wollen die Gesundheitsminister der Länder über einen solchen bundeseinheitlichen Wegfall der Corona-Testpflicht für dreimal Geimpfte beraten. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) werde dazu einen Vorschlag vorlegen, sagte ein Sprecher seines Ministeriums. Die Particulars sollten dann besprochen werden.
Klaus Holetschek (CSU), Vorsitzender der Gesundheitsministerkonferenz, sagte: „Wir Länder brauchen schnell Klarheit, ob und ab wann für dreimal Geimpfte die Testpflicht entfallen kann.“ Ein Wegfall der Testpflicht sei „nicht nur medizinisch sinnvoll, sondern liefert auch einen zusätzlichen Impfanreiz“.
Handel sieht „dramatische Entwicklung“
Der Einzelhandel leidet unterdessen unter den 2G-Vorgaben: Wer nicht geimpft oder nachweislich von Covid-19 genesen ist, hat zu Geschäften keinen Zutritt mehr. Das trübt laut dem Handelsverband HDE das Weihnachtsgeschäft dramatisch ein. Es sei für viele Händler dieses Jahr „eine Katastrophe“, sagt HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth. Die Regelungen schreckten zu viele Kunden ab und erforderten einen enorm hohen Personaleinsatz.
Eine aktuelle HDE-Umfrage mache deutlich, dass die Händler in der abgelaufenen Woche knapp ein Drittel ihrer Umsätze im Vergleich zur Zeit vor der Krise verloren hätten. Intestine laufe es demnach nur im Lebensmitteleinzelhandel sowie im Onlinebereich. Viele Handelsunternehmen schrieben das Weihnachtsgeschäft bereits ab: „Wenn man weiß, dass die letzten beiden Monate gewöhnlich die mit Abstand umsatzstärksten des Jahres sind, ist das eine dramatische Entwicklung“, erklärte Genth.
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