München Russland plant nach Ansicht von US-Präsident Joe Biden, die Ukraine nächste Woche anzugreifen, inklusive der bevölkerungsreichen Hauptstadt Kiew. Er sei „überzeugt“, dass Russlands Präsident Wladimir Putin den Entschluss für einen Einmarsch in die Ukraine getroffen habe, sagte Biden am Freitag im Weißen Haus.
Die US-Regierung spreche so offen über Russlands Pläne, um Moskaus Bemühungen zu durchkreuzen, die Ukraine unter einem Vorwand anzugreifen, sagte Biden weiter. Falls Russland seine Pläne vorantreiben sollte, wäre es für einen „katastrophalen“ und selbst begonnenen Krieg verantwortlich. Russland bemühe sich unter anderem mit Falschinformationen darum, einen Vorwand für einen Angriff auf die Ukraine vorzutäuschen. Bislang hatte die US-Regierung stets betont, sie wisse nicht, ob Putin eine Entscheidung für eine Invasion der Ukraine getroffen habe.
Der US-Präsident hatte sich am Abend telefonisch mit Verbündeten verständigt. Westliche Demokratien schätzen die Gefahr eines russischen Angriffs auf die Ukraine auch nach Angaben Deutschlands als „sehr actual“ ein. Nach den Beratungen Bidens mit Bundeskanzler Olaf Scholz und weiteren Staats- und Regierungschefs teilte der deutsche Regierungssprecher Steffen Hebestreit am Freitag mit, man sei sich einig gewesen, dass Russland ein Sign der Deeskalation geben müsse.
Auch der US-Präsident bekräftigte am Abend im Weißen Haus: „Es ist nicht zu spät, an den Verhandlungstisch zurückzukehren.“ „Ich glaube nicht, dass er im entferntesten daran denkt, Atomwaffen einzusetzen“, fügte Biden hinzu. „Aber er versucht, die Welt zu überzeugen, dass er die Dynamik in Europa verändern kann, was er nicht kann.“
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Laut der Bundesregierung sei es jetzt die zentrale Aufgabe, das Fenster für die Diplomatie offen zu halten. In diesem Sinne wolle man auch die jüngste russische Antwort an die US-Regierung bewerten. Die Umsetzung der Minsker Vereinbarungen für die Ostukraine müsse im Normandie-Format von Deutschland, Frankreich, der Ukraine und Russland fortgesetzt werden.
Die westlichen Regierungen hätten der Ukraine erneut „ihre fortdauernde Solidarität und Unterstützung“ ausgedrückt, teilte Hebestreit mit. Zugleich hätten sie bekräftigt, im Falle einer weiteren russischen Aggression gegen die Ukraine zu sehr tiefgreifenden Maßnahmen gegen Russland bereit zu sein. Neben Scholz und Biden nahmen der französische Präsident Emmanuel Macron, der britische Premierminister Boris Johnson, die Präsidenten Polens und Rumäniens, der kanadische Ministerpräsident sowie die Spitzen der EU und der Nato an dem Telefonat teil.
Lage zunehmend angespannt
Angesprochen auf mögliche Differenzen mit den Europäern hinsichtlich der Sanktionen im Falle eines Angriffs sagte Biden, dass es eher mehr als weniger werden könnten. Das Telefonat fand an einem Tag statt, an dem sich die Lage in der Ukraine weiter zugespitzt hatte.
Russland, das an der ukrainischen Grenze mehr als 150.000 Soldaten versammelt hat, will am Samstag zudem Manöver seiner Atomstreitkräfte durchführen. Die Übung an diesem Samstag steht laut Verteidigungsministerium unter Führung von Staatschef Wladimir Putin. Ziel sei, die strategischen Nuklearwaffen auf ihre Zuverlässigkeit zu testen.
Außerdem ist es nach Angeben der Regierung in Kiew in den von russischen Separatisten kontrollierten Provinzen Donezk und Luhansk in der Ostukraine erneut zu Gefechten gekommen. Der russische Außenminister Sergej Lawrow sprach von einem alarmierenden und starken Anstieg des Beschusses in der Ostukraine. Auch die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) stellte vermehrte Verstöße gegen die vereinbarte Waffenruhe fest.
Wegen der Gefahr einer militärischen Eskalation in der Ostukraine haben die moskautreuen Separatisten Zivilisten zur Flucht in das Nachbarland Russland aufgefordert. Zuerst sollten „Frauen, Kinder und ältere Leute“ in Sicherheit gebracht werden, sagte der Chef der Donezker Separatisten, Denis Puschilin, in einer am Freitag veröffentlichten Ansprache. „Eine zeitweise Ausreise bewahrt Ihnen und Ihren Verwandten das Leben.“
Die Separatisten warfen dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj vor, er wolle „in nächster Zeit“ eine Offensive starten. Kiew hat wiederholt den Vorwurf der Angriffsvorbereitungen zurückgewiesen. Außerdem seien die Vorwürfe falsch, dass ukrainische Soldaten Siedlungen beschießen würden.
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