Mit einer Teilmobilmachung rückt der Waffengang immer näher.
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Kiew, Moskau Die Ukraine ist alarmiert: Nachdem Russland damit begonnen hat, erste Einheiten in die von Moskau protegierten Separatistengebiete zu schicken, bereitet sich Kiew auf einen möglichen Militärschlag vor. Kremlchef Wladimir Putin hatte am Montag die Unabhängigkeit der Regionen Donezk und Luhansk in der Ostukraine anerkannt und eine Entsendung russischer Soldaten angeordnet. Dies wird als klare Absicht gedeutet, zum zweiten Mal nach 2014 in die Ukraine einzumarschieren.
Angesichts dieser Bedrohung rief der ukrainische Sicherheitsrat den Ausnahmezustand aus, zunächst begrenzt auf 30 Tage. Damit könnten zusätzliche Schutzvorkehrungen für öffentliche Einrichtungen, Verkehrsbeschränkungen sowie weitere Kontrollen im Verkehrswesen und Überprüfungen von Dokumenten einhergehen, erklärte Olexij Danilow, der Vorsitzende des Rats.
Auch kündigte der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski eine Teilmobilmachung von Reservisten an. „Wir müssen operativ die Armee und andere militärische Formationen auffüllen“, sagte das Staatsoberhaupt in einer Videobotschaft. Die ukrainischen Streitkräfte verfügen über etwa 250.000 Soldaten, außerdem gibt es rund 140.000 Reservisten.
„Wir müssen operativ die Armee und andere militärische Formationen auffüllen“, sagte der Präsident in einer Videobotschaft.
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Flankierend dazu billigte das ukrainische Parlament in erster Lesung einen Gesetzentwurf, der das Tragen von Schusswaffen erlaubt. Das sei wegen der „bestehenden Bedrohung und Gefahr für die Bürger“ nötig. Zudem forderte die Regierung in Kiew ihre Landsleute zum „unverzüglichen“ Verlassen des Nachbarlands auf. Schätzungen gehen von mehr als drei Millionen Ukrainern aus, die dauerhaft oder zeitweise in Russland leben.
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Zahlreiche Länder sagten der Ukraine erneut Unterstützung zu. Wegen der Zuspitzung der Krise um Russland und die Ukraine hat EU-Ratspräsident Charles Michel für diesen Donnerstag einen EU-Sondergipfel einberufen. Er habe die 27 EU-Staats- und Regierungschefs eingeladen, um darüber zu diskutieren, „wie wir Russland für seine Handlungen zur Rechenschaft ziehen“, schrieb Michel in seinem Einladungsschreiben am Mittwoch. Es gehe darum, die auf Regeln basierende internationale Ordnung zu schützen und die Ukraine und ihre Bevölkerung zu unterstützen.
Auslöser sind Berichte aus Sicherheitskreisen, dass Russland es nicht bei einer Anerkennung der von prorussischen Separatisten kontrollierten Gebiete in der Ostukraine belassen könnte, sondern militärisch in der Ukraine vorgehen will. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock warf Putin Lügen vor, signalisierte aber auch Gesprächsbereitschaft. „Wenn man vor einer Woche A gesagt hat und jetzt das Gegenteil tut, dann hat man nicht die Wahrheit gesagt. Oder auf Deutsch: Dann hat man gelogen“, sagte sie. „Auch in der härtesten Krise müssen wir das Fenster für Gespräche aber immer offenhalten.“
Das Weiße Haus schloss ein Treffen von US-Präsident Joe Biden mit Putin unterdessen vorerst aus und kündigte an, zusätzliche Soldaten und Ausrüstung nach Osteuropa zu verlegen. Biden nannte Putins Vorgehen den „Beginn einer Invasion“. Auch der britische Regierungschef Boris Johnson kündigte weitere Waffenlieferungen an. „Angesichts des zunehmend bedrohlichen Verhaltens Russlands und im Einklang mit unserer bisherigen Unterstützung wird das Vereinigte Königreich der Ukraine in Kürze ein weiteres Paket militärischer Unterstützung zur Verfügung stellen“, sagt Johnson im Parlament.
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Derweil spitzt sich die Lage in der Ostukraine mehr und mehr zu. Internationale Beobachter zählten am Dienstag erneut 1000 Explosionen. Dort stehen sich die ukrainische Armee und prorussische Separatisten gegenüber. In den sozialen Medien zeigen Movies, wie schweres Kriegsgerät und Panzer in die von den Separatisten besetzten Regionen gebracht werden. Trotz einer ersten Sanktionswelle westlicher Staaten drückte Russlands Präsident Wladimir Putin aufs Tempo: Gleich nachdem das Oberhaus des russischen Parlaments ihm freie Hand zur Entsendung von Truppen ins Ausland gegeben hatte, schickte der Kremlchef erste Einheiten in die Separatistengebiete „Donezker Volksrepublik“ (DVR) und „Luhansker Volksrepublik“ (LVR).
Zahlreiche Movies in den sozialen Medien zeigen, wie Panzerkolonnen in Richtung Ukraine rollen. Der Umfang der Truppenbewegung wird derzeit auf mehrere 1000 Soldaten und Hunderte Militärfahrzeuge geschätzt. Nach offiziellen russischen Angaben handelt es sich um Einheiten aus dem Wehrkreis Süd, der von Rostow bis zum Kaukasus reicht.
Ukrainische Soldatinnen nehmen an einer Demonstration teil.
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Indiz für eine bevorstehende militärische Intervention ist zudem die eilige Evakuierung des russischen diplomatischen Korps aus der Ukraine. Die Diplomaten sind vor ihrer Abreise offenbar darum bemüht, Daten zu vernichten. Movies zeigen, wie sie Dokumente verbrennen. Sowohl bei der Botschaft als auch beim Generalkonsulat in Odessa sind die russischen Flaggen heruntergenommen worden. „Mehrere Autos verließen am Morgen das Gelände des Konsulats“, sagt ein Angehöriger der ukrainischen Nationalgarde, der in der Nähe des russischen Konsulats in Odessa Dienst hat.
Putins patriotischer Pathos
Währenddessen verstärkt Putin sein Bemühen um patriotisches Pathos. Zum „Tag des Vaterlandsverteidigers“ legte der Präsident einen Kranz am Seize des „Unbekannten Soldaten“ nieder. In seiner Rede zu diesem offiziellen Feiertag betonte er, dass Russland in den vergangenen Jahren seine Streitkräfte stark modernisiert habe. „Unsere Armee besitzt nun Waffen, die weltweit ihresgleichen suchen“, sagte er. Der Kreml werde auch künftig die Modernisierung der Streitkräfte forcieren und dabei auf Hyperschallwaffen, neueste digitale Technologien und Künstliche Intelligenz setzen, kündigte er an.
Die Aufrüstung begründete er mit der „schwierigen“ internationalen Lage, der „Zerrüttung des Techniques für Rüstungskontrollen“ und der „militärischen Aktivität der Nato“. Auch Außenminister Sergej Lawrow erneuerte seine Vorwürfe an den Westen. Dieser versuche, die Konfrontation mit Russland auf die Spitze zu treiben.
Zugleich kritisierte Lawrow UN-Generalsekretär António Guterres. Der hatte sich am Dienstag nicht nur besorgt über die Eskalation im Donbass geäußert. Er hatte auch die russische Deutung eines ukrainischen Genozids an der russischsprachigen Zivilbevölkerung als substanzlos bezeichnet und Moskaus Ansinnen zurückgewiesen, sein Militär als Friedenstruppen anzuerkennen. Guterres sei unter den „Druck des Westens“ geraten, rügte Lawrow.
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