Nächstes Level russischer Desinformation: Mit einem gefälschten Kaufvertrag wird die Lüge verbreitet, der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj habe die Villa von Hitlers Propagandaminister Goebbels bei Berlin gekauft.
Die bewegte Geschichte der Villa des Reichspropagandaministers Joseph Goebbels abgelegen im Wald vor den Toren Berlins ist um ein weiteres Kapitel reicher: Offenbar von Russland gesteuert wird die Lüge verbreitet, dass das „Goebbels Liebesnest“ einen prominenten Käufer gefunden habe: den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj über eine Firma seiner Frau. t-online-Recherchen zeigen, dass mit einigem Aufwand eine falsche Geschichte produziert wurde, die Teil einer Kampagne ist: Selenskyj werden in verschiedenen Teilen der Welt frei erfundene Käufe von Luxusanwesen angedichtet.
Bisher dienten diese Erfindungen dazu, Hilfen für die Ukraine infrage zu stellen, weil der Präsident so reich sei und dass das vielleicht mit internationalen Geldern möglich wurde – doch dafür gibt es keinerlei Belege. Beim erfundenen Kauf in Deutschland gibt es noch eine weitere Dimension: Zu behaupten, das Haus des NS-Propagandaministers sei jetzt im Besitz Selenskyjs, passt voll und ganz in russische Propaganda: Seit Beginn von Russlands Angriffskrieg verbreitet Moskau ständig, die ukrainische Führung seien Nazis, von denen man das Land befreie.
Die Quelle: Den Anfang macht dabei die Behauptung einer jungen Frau in einem Video auf YouTube, hochgeladen an Heiligabend. Sie sitzt mit einem weißen T-Shirt mit Antifa-Aufdruck vor der Kamera, im Video ist das Antifa-Symbol eingeblendet und sie spricht davon, von der „Antifaschistischen Aktion“ zu sein. Deshalb sei sie auch so empört darüber, dass Berlin es zulasse, dass der geschichtsträchtige Ort zu einem möglichen neuen Nazi-Anlaufpunkt werde. Das Video dient als Quelle für Berichte in aller Welt.
Frau gibt sich als frühere Mitarbeiterin aus
In der Aufnahme ist ein Kaufvertrag zu sehen: Verkäufer soll das Land Berlin über seine landeseigene Gesellschaft Berliner Immobilienmanagement GmbH (BIM) sein. Die junge Frau, die sich „Sabine Mels“ nennt, will früher bei der BIM gearbeitet haben und den Vertrag von früheren Kollegen bekommen haben. Die Pressestelle der BIM war am Wochenende nicht zu erreichen. Der Account, auf dem das Video veröffentlicht wurde, besteht seit dem August 2022. Es gibt dort aber nur drei Videos. Alle wurden am 24. Dezember hochgeladen, alle vermeintlich zum Thema Antifaschismus.
Auch auf X, ehemals Twitter, ist das Phantom „Sabine Mels“ angemeldet: „Mitglied der Antifaschistischen Aktion. Neonazi-Gegnerin“ steht dort. Ihre fast 6.000 Follower sind zum großen Teil aus dem arabischen Raum und aus Indien, auch die Nachrichten sind dort überwiegend auf Arabisch erschienen. Fragen von t-online hat Mels nicht beantwortet. In ihrem Video spricht sie den Nationalsozialisten langgezogen „Göhbels“ aus und spricht mit einem nicht zuzuordnenden Akzent, während das vermeintlich brisante Dokument eingeblendet wird.
Der Kaufvertrag: Zu sehen ist ein an vielen Stellen geschwärzter Vertrag, der nach t-online-Recherchen gefälscht ist. Gut und mehrfach zu lesen ist dort der Kaufpreis von 8,2 Millionen Euro. Zu erkennen ist, dass eine Person mit geschwärztem Namen und geschwärzter Personalausweisnummer für die „Film Heritage Inc“ als Käufer aufgetreten sei. Diese Firma ist im Unternehmensregister von Belize tatsächlich mit der Nummer 000001989 seit dem 2. Februar 2016 registriert.
Selenskyj, früher mit Comedy ein TV-Star, hat sie mit Partnern aus der Filmbranche gegründet, berichtet das internationale Recherchenetzwerk OCCRP. Die Firma findet sich auch in Transparenzunterlagen von Selenskyj zu seiner Präsidentschaftskandidatur, gehört seit 2019 seiner Frau und war Teil einer Überprüfung von Selenskyjs Geschäften durch die Antikorruptionsbehörde – ohne Beanstandung. Der Verkauf soll bei einem Notartermin am 11. Oktober 2023 perfekt gemacht worden sein. Spätestens hier lässt sich die Geschichte als Lüge überführen.